Exspirationsluft wird aber auf die Unterlippe drücken, und daher muß jetzt der Abduktor
eingreifen, um sie von der Oberlippe abzuziehen. Die Bewegung der Unterlippe erfolgt in
der Weise, daß sie einen einarmigen Hebel bildet, der im vorderen Mundwinkel seinen
Drehpunkt hat und von oben nach unteii bewegt wird. Um die Öffnung klaffender zu
machen, sinkt der Lippenrand außerdem durch die Wirkung des Abduktors nach innen und
unten zurück; beim Schließen wird er dann wieder nach oben und außen gehoben und
über die Oberlippe gepreßt.
Wir können die Bewegung der Unterlippe mit unserem Unterarm nachahmen, indem
wir mit einer Beugung des Ellenbogengelenkes zugleich eine Pronationsbewegung und mit
der Öffnung eine Supination ausführen.
Der Bau und Verschlußapparat der ü b r ig e n A b d o m in a l s t igm e n stimmt völlig
mit dem des Tympanalstigmas überein. Zu bemerken ist nur, daß sie nach hinten zu allmählich
an Größe abnehmen. Sie liegen in jedem Segment im vorderen unteren Winkel
der Lateralplatte (Taf. I, Fig. i a2) in schräger, fast vertikaler Stellung, so daß wir die Unterlippe
hier als Vorderlippe bezeichnen können. In Fig. 7 a2 (Taf. II) sehen wir den Verschlußapparat
des zweiten Abdominalstigmas. Wir erkennen den kurzen Abduktor ad2, welcher
oberhalb und hinter dem Stigma am Integument entspringt und sich am Ansatzhebel der
Unterlippe befestigt. Der Abduktor (ab2) ist ebenso wie der des Tympanalstigmas ein langer,
überall gleich dicker Muskel. Er nimmt dicht neben einem Atmungsmuskel an der oberen
Kante der Chitinzunge, die vom Sterniten des zweiten Abdominalsegmentes ausgeht, seine
Anheftung.
Wir haben aus dieser vergleichenden Beschreibung die bestimmte Überzeugung gewonnen,
daß das Tympanalstigma mitsamt seinem Verschlußapparat den übrigen Abdominal-
stigmen vollständig homolog ist, und daß es trotz der erlittenen Lageverschiebung keine
Modifikation erfahren hat.
Ganz fehl gehen wir aber, wenn wir auch eine Homologie zwischen den Thorakal -
und den Abdominalstigmen suchen wollen. G r ä b e r (1875, p. 95) stellt nämlich die Behauptung
auf, „daß das tympanale Luftloch kurzweg als ein nach innen umgestülptes Mesothoraxstigma
bezeichnet werden kann, insofern seine beiden Lippen, die bei den Brustlüftern
äußerlich angebracht sind, hier nach einwärts gerichtet sind, während die beiden Verschlußmuskeln
im allgemeinen dieselbe Lage wie am Thorax besitzen und nur hinsichtlich ihrer
Form und Stärke sich etwas abweichend verhalten.“
D a s zw e ite T h o r a k a ls t igm a (Taf. I, Fig. 1 st2) finden wir dicht über dem Hüftgelenk
des zweiten Beinpaares, in einem kleinen Felde von ziemlich elliptischer Form,
welches anscheinend zwischen Meso- und Metathorax eingeschoben ist, nach G r ä b e r aber
dem Mesothorax angehören soll. Sein Stigmenfeld ist rings umgeben von hohen und starken
Chitinleisten und liegt ebenso wie das Stigma in der Richtung der Pleuren, d. h. von oben
und vorn nach unten und hinten. Die äußere Form des Stigmas wird von G r ä b e r sehr
gut beschrieben, indem er sagt, „daß es von äußerlich stark hervortretenden Lippenwülsten
gebildet wird, die namentlich am atmenden Tiere den Schalen eines winzigen, nach oben
klaffenden Muschelgehäuses gleichen.“ Zwischen den Lippen sehen wir, wenn das Stigma
offen steht, den Stigmenmund als schmalen Spalt. Nur die beiden schalenförmigen Lippen
sind hart chitinisiert, in beiden Lippenwinkeln und rings um das Stigma herum ist das Chitin
sehr weich, d ie L ip p e n s in d d a h e r b e id e b ew e g lic h sow o h l g e g e n e in a n d e r wie
g e g e n ih re U m g e b u n g . Die Form der Lippen ist aus dem oben angeführten treffenden
Vergleich mit Muschelschalen ohne weiteres klar, zu bemerken ist nur noch, daß die größere
Hinterlippe beim Schließen den Rand der Vorderlippe etwas übergreift. Das Tracheenrohr
geht, wie nebenstehender schematischer Querschnitt
zeigt, aus den Lippenrändern hervor.
Was nun den Verschlußapparat des
Tärda'ijjpe Jä/Uerhfjpe,
Thorakalstigmas betrifft, so will ich hier nicht
weiter auf den falschen Befund G r ä b e r s ein-
gehen, welcher auch hier zwei Muskeln und
Pleura, Buchet. '
einen Fortsatz der Vorderlippe, ähnlich den
Tex tfig. 5.
Verhältnissen am Tympanalstigma, gesehen
haben will. Ich konstatiere dagegen, daß d ie s e s S t igm a n ur e in en g an z k u r z en und
k r ä f t ig e n M u sk e l b e s itz t . Derselbe entspringt von einem starken, niedrigen Chitinvor-
sprung, welcher ganz nahe am Stigma im unteren Winkel des Stigmenfeldes steht, nimmt
seine Richtung nach oben und außen und inseriert nicht etwa an einer der beiden Stigmenlippen,
sondern ganz genau unterhalb des unteren Lippenwinkels an der weichen Gelenkhaut
des Stigmenfeldes. An der Außenseite (Taf. I, Fig. 1 st2) können wir diese Stelle unter dem
Stigma als kleine Vertiefung erkennen, welche uns andeutet, daß hier das Integument zum
Zwecke einer Sehnenbildung tütenartig nach innen gezogen ist. Bei unseren kleinen Acri-
diodeen ist der Muskel schwer zu präparieren, ich habe ihn aber bei Aerid. aegyptic. sehr
schön freilegen können, und es fiel mir hier besonders die kräftig entwickelte, relativ lange
Insertionssehne auf.
Die Schließwirkung des Muskels ist eine indirekte. Durch seine Kontraktion wird
das ganze Stigma nach innen gezogen, hierbei erhalten die Lippen einen seitlichen Druck
und werden so zusammengepreßt. Beim Nachlassen der Kontraktion öffnet sich das Stigma
teils durch die Elastizität des Chitins, teils durch die andrängende komprimierte Exspirationsluft.
In der Literatur habe ich nur noch bei K r a n c h e r (1881) eine detaillierte Beschreibung
von Orthopteren-Stigmen (Orthopteren im modernen Sinne) gefunden (p. 549— 551), und
zwar haben ihm Gryllotalpa vulgaris und Gryllus campestris als Untersuchungsobjekte gedient.
Er ist zu dem Resultate gekommen, daß das zweite Thorakalstigma in seinem Bau
völlig mit denen des Abdomens übereinstimmt. Von den Abdominalstigmen von Gryllus
campestris sagt er nun, daß sie aus zwei großen Platten von halbkreisförmiger Gestalt bestehen.
„Da wo die Platten mit ihren Breitseiten aneinander stoßen, wulsten sie sich etwas
nach oben empor, so einen Chitinring bildend, der die Stigmenöffnung umgibt. Nach der
einen Seite läuft der Rand in einen stark angeschwollenen Zapfen aus, welcher in sich eine
Öffnung trägt, einem Nadelöhr nicht unähnlich.“ Bei Gomphocerus sollen die Stigmen in
ganz gleicher Weise eingerichtet sein. „Der einzige Unterschied liegt darin, daß sich der
Zapfen zu einem ganz bedeutenden Hebel entwickelt, an dem dann ein Muskel sitzt, der
sich an die Hypodermis der Körperhaut ansetzt.“ Wie weit die Angaben K r a n c h e r s über
die Grillenstigmen zutreffend sind, kann ich nicht beurteilen, da ich diese nicht genauer
untersucht habe. K r a n c h e r befindet sich aber im Irrtum, wenn er seine Befunde auch auf
Gomphocerus überträgt; bei dieser Acridierspezies liegen die Verhältnisse genau so, wie ich