setzen. Dies'jedoch nur zum Ausdruck dafür, daß martius in seiner Geschichte eine major -
artige Stufe durchlaufen habe, nicht aber, um mit Bestimmtheit zu behaupten, er habe -sich
aus major selbèr entwickelt.
Von den dem großen Buntspecht ähnlichen Spechten bleiben nun noch leuconotus,
medius und tridactylus übrig. Diese drei Arten zeigen untereinander große Ähnlichkeit,
wenn auch tridactylus durch einige Merkmale den übrigen ferner steht (die Dreizehigkeit
trennt ihn von den ändern phylogenetisch nicht weit ; ist doch bei allen Spechten die innere
Hinterzehe mehr oder weniger kümmerlich ausgebildet). Leuconotus und medius stimmen
in ihrem Zungénbau so vollständig überein, daß sie in dieser Beziehung fast gar nicht zu
unterscheiden sind; überhaupt scheiden nur einige äußere Merkmale, z .B . die Größe, diesè
Arten voneinander. Wir behandeln sie zusammen. Es fragt sich nun, welche Stellung sie
zu den übrigen Spechten und im besonderen zu dem ihnen ähnlichen tridactylus einnehmen.
Die relative Zungenlänge steht der von martius nach; die Zungenmuskulatur hat im allgemeinen
große Ähnlichkeit mit der von major; aber der musc. tracheo-hyoideus dieser
drei Arten hat sich anders entwickelt als bei martius. Die Insertionen an der Trachea
sind noch weiter herumgerückt als bei diesem und die Durchflechtungen der musc. tracheo-
hyoidei .‘sind im Bègriff, einfacher zu werden und streben eine einfache Überkreuzung an.
Die drei Arten können also nicht auf der. Verbindungslinie major-martius liegen; sie
können aber auch nicht über martius liegen, dagegen spricht außer der relativ kürzeren
Zunge ihr ganzer Bau, der sie durchaus als Buntspechte kennzeichnet. Sie sind also auf
Seitenzweige zu stellen, und zwar medius und leuconotus auf einen Zweig, der von major
herkommt. Tridactylus dürfte nun, trotzdem die Art der Ausbildung seines Zungenapparates
mit der der beiden anderen fast genau übereinstimmt, doch von diesen zu trennen sein.
Wir erinnern uns nämlich, daß tridactylus keinen Stirnhöcker hat, der bei den ändern
beiden die Veranlassung ist, daß die Hörner nach rechts abweichen, während sie bei ihm
genau medial bis zum Schnabelfirst verlaufen. Man könnte nun annehmen, daß tridactylus
zwar aus major hervorgegangen sei, im Läufe seiner Geschichte aber den Stirnhöcker, den
major als eine funktionelle Erwerbung besitzt, wieder verloren habe, indem der Widerstand
des Schädels weniger beansprucht worden sei, weil tridactylus das starke Hacken auf gegeben
habe. Er wäre dann neben medius und leuconotus zu stellen. In der Tat ist tridactylus,
was sowohl aus seinem Schnabelbau als auch aus Magenuntersuchungen zu
schließen ist, ein schwacher Hacker, der, abgesehen von vegetabilischer Nahrung, kranke
Nadelholzstämme angeht und die zahlreichen Käferlarven fängt, die . unter der leicht loszulösenden
Rinde solcher Bäume zu finden sind. Genau dasselbe ist aber bei medius und
leuconotus der Fall, und diese besitzen den Stirnhöcker noch. Einfacher ist die Annahme,
daß der Dreizehenspecht sich aus einer Form entwickelt habe, die major im wesentlichen
entspricht, aber keinen Stirnhöcker hat, und eine solche Form ist minor.
Wie früher ausgeführt wurde, dürfte major den Stirnhöcker als Verstrebung des
Vorderschädels gegen die Schläge des Schnabels beim Hacken erworben haben. Der kleine
Buntspecht bedarf einer solchen Verstärkung des Schädels nicht, da seine Schläge bedeutend
schwächer sind und außerdem der kleine Schädel infolge seiner stärkeren Wölbung relativ
widerstandsfähiger ist als der größere und daher flacher gewölbte von major. Er hat also
den. Stirnhöcker verloren, oder was einfacher und wahrscheinlicher anzunehmen ist, er hat
ihn nie besessen und sich neben major direkt aus den Urformen entwickelt, die keine
Hacker waren und daher auch keinen Stirnhöcker hatten. Minor und major stehen also
auf selbständigen Ästen gleicher Ordnung, rfjnd höher hinauf in den Bereich des Astes
von minor ist tridactylus zu stellen.
Es ist nun noch die Stellung des Grün- und Grauspechts einerseits und des Wendehalses
andrerseits zu besprechen, zwei Gattungen, welche die äußersten Extreme in der Entwicklung
der Spechte darstellen, indem bei beiden die Zungenlänge das höchste Maß erreicht
hat. Daß sie phylogenetisch trotzdem sehr fern voneinander stehen, ist nach ihrem
ganzen anatomischen Bau klar und es ist interessant, zu verfolgen, wie beide zu den extremen
Formen geworden sind. Vergleichen wir den anatomischen Bau ihrer Zunge, so
finden wir freilich manche auffallende Ähnlichkeit in ihrer Konstruktion. Die musc. cerato-
glossi sind bei beiden Gattungen über das bei allen übrigen Spechten eingehaltene Maß
verstärkt; die Zungenbeinhörner bilden bei beiden, nachdem ihre Spitze den äußerst möglichen
Punkt erreicht hat, in den Hals sich hinabsenkende Schlingen; bei beiden zeigen sie
den merkwürdigen asymmetrischen Verlauf auf dem Schädel und das einseitige Eindringen
in den Oberschnabel, und der Verlauf des musc. genio-hyoideus an den Hörnern ist bei
beiden derselbe. Alle diese Übereinstimmungen sind aber streng genommen physiologische
und können als solche Konvergenzen sein.
Die Zungenspitze dagegen enthält ein morphologisches und zwar im oben angeführten
Sinn negatives Merkmal, das allein schon ly n x von allen eigentlichen Spechten trennen
dürfte. Eine physiologische Erscheinung freilich ist es, daß die Zungenspitze glatt ist. Auch
martius und viridis streben diesen Zustand an, wie aus einem Vergleich mit der Zungenspitze
von major hervorgeht; denn sie brauchen bei ihrer Art des Nahrungserwerbs keine
so scharf bewehrte Zunge wie der große Buntspecht, fast so .wenig wie der Wendehals.
Betrachtet man aber den feineren Bau der Zungenspitze des Wendehalses und der der
Spechte, so findet man, wie schon gesagt wurde und Tab. I, Fig. i, 2 und 4 dargestellt
ist, daß bei diesen das Hornepithel der Zungenspitze aus einzelnen Lamellen besteht,
die in einem Winkel zur Achse liegen und deren äußere Enden in die Widerhaken
übergehen. Beim Wendehals dagegen ist -das Hornepithel parallel zur Zungenachse geschichtet,
was schon morphologisch das Fehlen der Widerhaken erklärt und uns beweist,
daß der Wendehals nie solche besessen hat, wenigstens nicht in der Weise der übrigen
Spechte. Das ist ein phylogenetisch negatives Merkmal, welches uns veranlaßt, den Wendehals
abseits von allen übrigen Spechten zu stellen. Ein zweites liefert der musc. tracheo-
hyoideus. Die Art und Weise, wie sich dieser Muskel verlängert hat, beweist uns mit Bestimmtheit,
daß der Wendehals ganz unabhängig von den übrigen Spechten zu einer lang-
zungigen Form geworden ist.
.Difese beiden Tatsachen dürften an sich wohl genügen, M a r s h a l l s Ansicht
(32 pag. 48), der Wendehals sei eine aus den Spechten hervorgegangene Form, die sich das
Klettern abgewöhnt habe, zu widerlegen und ihn mit F ü r b r in g e r (11 pag. 1397 und 12
pag. 243— 244) als eine Gattung aufzufassen, die vor den übrigen eine eigene Richtung
der Entwicklung einschlug. Der Mangel eines Stirnhockers weist im Verein mit den übrigen
negativen Merkmalen auf die frühe Abzweigung des Wendehalses hin, wenn er auch, für
sich allein betrachtet, als eine Rückbildungserscheinung aufgefaßt werden könnte.