a) Stigmen und Stigmenmuskeln.
Wir wissen bereits, daß das erste Abdominalstigma mit in die Tympanalbildung
hineingezogen ist und in der vorderen Tympanaleinfassung im sogenannten Stigmenfelde
seine Lage hat. Diese Tatsache war schon B u rm e is te r bekannt (1832, p. 174 und 512),
S ie b o ld war dann der erste, welcher auf den Unterschied im Bau der Thorakalstigmen
und des Tympanalstigmas hinwies (1844, p. 59 und 60). Von dem letzteren weiß er allerdings
weiter nichts zu sagen, als „daß ihm die beweglichen hornigen Lippenwülste fehlen, und es
daher stets offen steht“ . Bei den leichter erkennbaren zweiten Thorakalstigmen nahm er
dagegen wahr, daß sie „von zwei hornigen Lippenwülsten umgeben sind, durch welche sie
verschlossen werden können“ .
Außer den ausführlichen Mitteilungen G r ä b e r s finden wir dann nur noch bei
K r a n c h e r (1881, p. 551) in seiner Arbeit über den Bau der Stigmen bei Insekten eine
ziemlich nichtssagende Bemerkung über die Stigmen von Gomphocerus.
Um die nachstehenden Ausführungen verständlicher zu machen, will ich zum Überfluß
daran erinnern, daß die Tracheen schlauchartig in den Körper hineingestülptes Integument
sind. Das Stigma stellt entweder die zu einem Tracheenverschluß-Apparat umgemodelte
äußerste Partie der Trachee (K r a n ch e r p. 515), oder eines Teiles des äußeren In-
tegumentes dar. Der Übergang des Stigmas in die Trachee zeigt sich als schmaler, in der
Längsrichtung des Stigmas liegender Schlitz. Den Schlitz bezeichne ich als Stigmamund und
die Teile des Stigmas, welche den Mund bilden, als Lippen. Die seitlichen Partien, welche
zwischen Mundwinkel und äußerem Integument liegen, möchte ich dem ersteren zurechnen.
An den Stigmenmund setzt sich nach innen die Trachee, welche sich sofort blasig erweitert
und sehr leicht an ihrer chitinigen Spiralhaut kenntlich ist.
Suchen wir nun zuerst das uns am meisten interessierende T ym p a n a l s t i g m a auf,
so finden wir seine äußere Öffnung in der Mitte des Stigmenfeldes als eine fast horizontal
gestellte, etwas schräg von vorn und oben nach hinten und innen gerichtete Spalte (Taf. I,
Fig. 1 und 4 ax). Es ist lang bei Mec. gr. cf 240 p, breit 160 p, beim 9 lang 280 n, breit 180 |x.
Der obere Rand hebt sich ein wenig leistenartig über das Stigmenfeld, der untere ist
dagegen schon mit in die Bildung des Stigmenfeldzapfens hineingezogen und kommt dadurch
viel tiefer zu liegen. Die Stigmenlippen sind nach innen eingestülpt. Zwischen den
Lippen wird der Zugang zur Trachee als feiner Spalt sichtbar. Die Oberlippe (Taf. I, Fig. 4
und 5 OL) ist schmaler als die Unterlippe (UL) und zu einem festen, unbeweglichen, dachartig
nach innen vorspringenden Chitinstück geworden, welches nach unten und außen
konkav ist. Dadurch, daß die Unterlippe mehr nach innen geschoben, und da sie ferner
breiter ist als die Oberlippe, muß sie von unten her den Innenrand derselben übergreifen.
Die Unterlippe ist außerordentlich beweglich. Zunächst ist ßie im vorderen Winkel
mit der Oberlippe durch eine weiche Chitinpartie zu einem Qharniergelenk verbunden. Damit
dieses Charniergelenk nun in Tätigkeit treten kann, wird auch die ganze übrige Verbindung
der sonst harten Unterlippe mit dem Stigmenfelde durch ein weiches Gelenkband
hergestellt, welches nach hinten zu immer breiter wird. Am hinteren Winkel des Stigmamundes
schiebt sich die Unterlippe nach hinten und innen weit über die Oberlippe hinweg.
Sie bildet hier einen nach dem Trommelfell gerichteten, anscheinend freien Fortsatz (Taf. I,
Fig. 5 H), welcher den Stigmenmuskeln als Ansatzhebel dient. Es handelt sich in Wirklichkeit
nicht um einen „kegel- oder fingerartigen Fortsatz“ , wie ihn G r ä b e r beschreibt, wir
haben uns vielmehr vorzustellen, daß der Mundwinkel nach dem Trommelfell zu in der
Weise tutenartig ausgezogen ist, daß er eine von außen zugängliche Tasche bildet, die von
oben nach unten etwas zusammengedrückt ist. Als Fortsatz der Unterlippe hat dann nur
die innere Kante, welche in der Verlängerung des Lippenrandes liegt, mit einem Teil der
oberen und unteren Partie eine Verhärtung erfahren. Für sich allein betrachtet würde demnach
der verhärtete Teil der tutenartigen Einstülpung die Gestalt eines zusammengedrückten
Löffels haben. Um die Kante zu verbreitern, ist ihr dann noch eine nach innen vorspringencje
kielartige Leiste aufgesetzt. Der übrige Teil des Chitins ist weich geblieben und gestattet
so der Unterlippe eine ausgiebige Bewegung. Der Zweck dieser Bildung ist leicht verständlich:
Es ist hierdurch eine Ansatzstelle für die Stigmenmuskeln geschaffen, die zugleich so
exponiert ist, daß weder der Stigmenmund, noch die Trachee eingeengt werden kann.
Im Gegensatz zu L a n d o is und T h e ien (1867, p. 188), welche es als Norm für alle
Insekten aufstellten, daß an jedem Verschlußapparat sich nur ein einziger Muskel befindet,
konstatierte G r ä b e r (1875, P- 95 un(i 9^) zuersb daß bei den Acridiodeen zwei Muskeln
vorhanden sind, und zwar ein Schließmuskel, den er Adduktor nennt, und sein Antagonist,
der Abduktor, dessen Ansatzpunkt er aber nicht hat ermitteln können. „Der Adduktor
schließt das Stigma, resp. das an den Rändern seiner Lippen entspringende Tracheenrohr,
und der Abduktor hebt die Arbeit des ersteren wieder auf.“
D e r S c h l ie ßm u s k e l (Adduktor) ist ein kurzer, kräftiger Muskel, welcher im oberen
Winkel des Stigmenfeldes mit breiter Basis entspringt und darauf nach unten und etwas
schräg nach hinten verläuft, um sich an der oberen Ansatzfläche des Hebelarmes der Unterlippe
zu inserieren (Taf. II, Fig. 7 adx). Ihm gegenüber, an der unteren Seite des Hebels,
setzt sich der A b d u k to r (abx) an. Dieser Muskel ist etwas schwächer als der Adduktor
und fällt durch seine außerordentliche Länge auf. Er nimmt dieselbe Richtung wie der
vordere Tympanalmuskel; im oberen Teil ist er von ihm noch durch einen schmalen Spalt
getrennt, weiterhin legt er sich dem vorderen Rande des hier schon abgeplatteten Muskels
eng an und vereinigt sich in seinem unteren Drittel so vollständig mit ihm, daß sie äußerlich
nur einen Muskel darstellen. Auf Querschnitten habe ich jedoch den Stigmenmuskel
bis zu seiner Insertionsstelle verfolgen können. Er unterscheidet sich nämlich dadurch von
dem Tympanalmuskel, daß er, der selber nicht breiter ist als ein Faserbündel des anderen,
aus einer großen Zahl kleiner Faserbündel zusammengesetzt ist. Der Stigmenmuskel liegt
bis zur Insertionsstelle am vorderen Rande des Tympanalmuskels Und nimmt mit ihm gemeinsam
seine Anheftung an der bekannten Hautfalte hinter dem Hüftgelenk.
Was nun die Wirkung der Muskeln betrifft, so müssen sich dieselben natürlich alternierend
kontrahieren, um ihre Funktion, welche im Öffnen und Schließen des Stigmas besteht,
ausüben zu können. Eine Kontraktion des Abduktors hat zur Folge, daß die Unterlippe
nach oben und etwas nach außen gegen die zurückliegende Oberlippe gepreßt wird
und so einen Verschluß des Stigmas herbeiführt. Die Elastizität der Chitinteile genügt
jedenfalls nicht, um beim Nachlassen der Kontraktion des Adduktors die Lippen weit genug
zu öffnen, denn die Öffnung geschieht schon vor Beginn der Inspiration, um die verbrauchte
Luft unter der noch anhaltenden Kompression des Abdomens herauszutreiben. Die