B. Eigene Beobachtungen.
I. Untersuchungen über die systematische Stellung des von Cretzschmar als
C. an th u s beschriebenen Wildhundes. [C. (Alopedon) thooides Hilzh.]
a. Unterschiede zwischen dem Alopekoid- und Thooid-Schädel und deren Konstanz.
Bevor wir in unsere eigentlichen Untersuchungen eintreten, ist es nötig, einige Vorbemerkungen
über den Unterschied zwischen Wolf und Fuchs zu machen. Wir werden dadurch eine Basis gewinnen,
von der aus wir die Stellung einiger Wildhunde mit größerer Sicherheit beurteilen können, als dies bisher
geschehen ist.
1. Ist das Fehlen o d e r Vorhandensein von Stirnhöhlen ein sicheres
Unterscheidungsmerkmal ?
ct. C. (Simenia) simensis.
Nach H u x 1 e y’s (18) seither immer maßgebenden Untersuchungen besteht der Hauptunterschied
zwischen seinen Alopekoiden und Thooiden darin, daß die letzteren Stirnhöhlen haben. Das
Fehlen der Stirnhöhlen bei den Alopekoiden soll sich schon äußerlich durch eine Grube etwas einwärts
der Postorbitalfortsätze bemerkbar machen. Auf die Schwächen der H u x l e y ’sehen Darstellung
hatte seinerzeit schon S c h ä f f (30) in einer viel zu wenig beachteten Arbeit über den C. adustus
hingewiesen. Auch mir sind in H u x 1 e y ’s Untersuchungen verschiedene Mängel aufgefallen, als
ich mich mit der von G e o f f r o y St. H i 1 a i r, Pel z ein und neuerdings von K e l l e r (21, 22, 23)
auf gestellten Hypothese von der Abstammung der Windhunde von C. simensis befaßte, die zuerst
von N e h r i n g (30), dann mit Recht von S t u d e r (40) bekämpft wurde. Damals hatte ich 3 von
Herrn Prof. 0 . N e um a n n selbstgesammelte Schädel von C. simensis zur Untersuchung, und mir
fiel deren große Fuchsähnlichkeit auf. Aber die Tiere hatten Stirnhöhlen, deshalb mußten sie konsequenter
Weise als Wölfe angesprochen werden, trotz der abweichend gebauten, fuchsähnlichen
Schneidezähne und Prämolaren, auf die N e h r i n g (1. c.) und S t u d e r (1. c.) schon hingewiesen
haben. Durch die Auffassung des C. simensis als abessinischer „Wolf“ ist es auch zu erklären, daß
N e h r i n g den Bau des Schädels für so ganz eigenartig und abweichend hielt. Hätte er ihn einfach
als einen riesigen Fuchsschädel angesehen, der Stirnhöhlen hat, so wäre ihm die Form sicherlich nicht
so besonders merkwürdig erschienen. Es zeigen übrigens die Schädel von C. simensis vielfach
eine schwache Aufbiegung des oberen Augenrandes, wie wir sie auch bei südamerikanischen Caniden
kennen, und nur wenig stärker bei einigen echten Füchsen sehen werden. Ich habe hier auf diese
Tatsachen um so lieber hingewiesen, als K e il er’ s*) Hypothese infolge ihrer halbpopulären Darstellung
sehr weit verbreitet ist. So habe ich kürzlich in einem soeben erst erschienenen Werk „Der Mensch
zur Eiszeit in Europa etc.“ von Dr. Ludwig R e i n h a r d t (36), den Satz gefunden: „Und in der
Tat hat das Tier (derWindhund) den schlanken und hochbeinigen abessinischen Wolf zum Stammvater
.................. “
Die von mir so vorgetragene Auffassung der systematischen Stellung von C. simensis, die
wohl den Tatsachen am besten entspricht, widerlegt dann schon am einfachsten die K e l l e r’sche
Hypothese, woran er trotz aller Gegenbeweise noch immer festhält. Übrigens macht C. simensis auch
im Leben ganz den Eindruck eines Fuchses. So hat z. B. wie mir Herr Prof. 0 . N' e uman n mitteilte,
sein Präparator, der zuerst ein Exemplar davon erlegte, ihn einfach als Fuchs bezeichnet. Und
N e u m a n n (38) selbst nimmt dann auch Stellung gegen die Bezeichnung „abessinischer Wolf“ .
ß. C. (Alopex) lagopus.
Schon die Behandlung dieser Frage, nach der systematischen Zugehörigkeit des C. simensis,
die G r a y (u) zu einer eigenen Gattung Simenia erhob, zeigt, daß wir mit diesem einen Merkmale,
dem Vorhandensein oder Fehlen von Stirnhöhlen, nicht auskommen, um Wölfe und Füchse zu unterscheiden.
Dieses Merkmal wird aber noch unzuverlässiger, wenn wir erfahren, daß bei ein und derselben
Art Stirnhöhlen vorhanden sein oder fehlen können. C. lagopus wird sicher überall mit Recht
zu den Füchsen gestellt. Nun haben wir in der Straßburger Sammlung den Schädel eines
C. lagopus, der keine Einsenkung der Frontalia innerhalb der Postorbitalfortsätze besitzt. (T. I,
Fig. 1). Der Schädel ist sonst gestaltet, wie ein typischer Polarfuchsschädel, so daß an seiner Zugehörigkeit
zu C. lagopus nicht gezweifelt werden kann. Die Beschaffenheit der Zähne, der porösen,
rhachitischen Kieferränder legen allerdings die Vermutung nahe, daß das Tier aus der Gefangenschaft
stammt. Der Schädel ist von H e n s e 1 gesammelt, trägt die No. 1808 und als Angabe der
Herkunft Berlin. Dieses letzte bestärkt noch den Verdacht, daß das Tier aus der Gefangenschaft
herrühre. Man könnte mir nun allerdings einwenden, daß daraus die erwähnte Eigentümlichkeit
zu erklären sei. Ich will dies gern zugeben, wenn es mir auch nicht bekannt ist, daß C. vulpes in der
Gefangenschaft jemals einen derartigen Schädel bekommen hätte; sondern die Delle innerhalb der
Postorbitalfortsätze, welche ja das Zeichen für das Fehlen der Stirnhöhlen sein soll, ist bei C. lagopus
und Verwandten überhaupt gering entwickelt. So zeigt uns T. I, Fig. 2 einen Schädel eines wilden
C. lagopus aus Grönland (Bezeichnung in der Straßburger Sammlung: 1850 z. Balg No. 1). Dieser
hat eine kaum noch wahrnehmbare Einsenkung an der fraglichen Stelle. Sie ist kaum viel stärker
als bei einem C. simensis der hiesigen Sammlung. Es sind somit beim C. lagopus schon die ersten
Anfänge einer Stirnhöhlenentwickelung gegeben, die dann bei jenem anderen Schädel (Fig. 1. T. I)
aus irgend einem Anlaß ausgebildet worden sind.
Einen sehr wichtigen Charakter hat H a gm a n n (13) noch in der Form des m2 gefunden:
„Als ein sehr charakteristisches und immer zu erkennendes Merkmal für V. lagopus,“ sagt er, „darf
*) Anm.: Wenn übrigens Keller (2I) in der außerordentlichen Senkung des Gesichtsteiles einen Hinderungsgrund
sieht, den Windhundschädel vom normal gebauten Hundeschädel abzuleiten, so ist darauf hinzuweisen, daß zwar der Schädel
der domesticierten Wildhunde zunächst zur Verkürzung neigt, daß es aber, wie die moderne Zuchtrichtung bei sehr vielen
Haushunderassen gezeigt hat, garnicht schwer ist, dieser Tendenz entgegenzuarbeiten und selbst aus verkürzten Köpfen wieder
außerordentlich lange zu formen.