Aus den Lücken und Fragen der vorangegangenen Untersuchungen ergaben sich
ohne weiteres d i e b e i d e n H a u p t a u f g a b e n für die folgende Arbeit:
Die e r s t e bestand darin, noch möglichst viele Gattungen und mindestens alle Familien
auf ihre symbiontischen Einrichtungen hin zu durchsuchen; denn bisher hatte ja
fast jede neu geprüfte Form neue Symbionten- und Organtypen gezeigt, so daß von einer
solchen systematischen Musterung der Fulgoroiden noch weitere Symbioseformen zu erwarten
waren. Das letzte Ziel dieser Bearbeitung sollte natürlich in einem Vergleich der
so gefundenen symbiontischen Einrichtungen, der Organtypen und Symbiontenkombina-
tionen, mit dem System der Zikaden liegen, der unter Umständen Rückschlüsse auf ihre
Stammesgeschichte und auf die phylogenetische Entstehung der Symbiose mit Mikroorganismen
gestattete. Die Hauptschwierigkeit lag bei dieser Aufgabe in der Beschaffung
gut fixierten und bestimmten Materials aus den auf fremde Erdteile beschränkten Gruppen.
Die z we i t e A u f g a b e war, das Schicksal der Symbionten während des Individualzyklus
des Wirtes, insbesondere im Verlaufe der Embryonalentwicklung zu verfolgen;
denn die bisher erschienenen Arbeiten hatten mangels embryonalen Materials immer nur
zeigen können, daß jedes Ei vom Muttertier eine bestimmte Symbiontenmenge, hei poly-
symbionten Formen ein Gemisch aller im W irt lebenden Symbiontentypen, in Gestalt
eines Symbiontenballens mitbekommt. Die Ursache für diese Lücken in der Kenntnis der
Zikadensymbiose liegt in der Schwierigkeit, Embryonen zu erhalten. Einmal ist die Biologie,
besonders der in Frage kommenden einheimischen Zikaden, noch so unvollständig
geklärt, daß man bisher — von den seltenen großen Singzikaden abgesehenE- fast nichts
über Art und Ort ihrer Eiablage wußte; zum anderen begegnet ihre Haltung in der Gefangenschaft
und erst recht ihre Aufzucht vom Ei meist erheblichen Schwierigkeiten.
Infolgedessen ist die E m b r y o n a l e n t w i c k l u n g der Zikaden überhaupt nu r sehr
mangelhaft erforscht und lange Zeit blieb die Darstellung der Embryonalentwicklung der
Singzikaden durch H e y m o n s (1899) die einzige auf diesem Gebiet. Sie beschäftigt sich in
der Hauptsache aber nur mit den Mundwerkzeugen und der Segmentzahl, enthält jedoch,
natürlich ohne die richtige Deutung, schon recht gute Angaben über das Schicksal des
Symbiontenballens und die Anlage der larvalen Mycetome, die dann 1912 von B ü c h n e r
durch eigene Untersuchungen ergänzt und klargestellt wurden, obwohl auch diesem die
wichtigsten Stadien fehlten. Auch die Arbeit von M u i r und K e r s h a w (1912), die vor
allem der Entwicklung der Mundwerkzeuge bei der Fulgoroide Siphanta acuta gewidmet
ist, bringt nu r in großen Zügen einige wenige Angaben über die allgemeinen und
histologischen Probleme der Embryonalentwicklung.
Die Untersuchung der symbiontischen Verhältnisse während der Embryonalentwicklung
der Fulgoroiden war aber vor allem aus zwei Gründen von besonderem Interesse.
Erstens mußte die dabei zu erwartende S o n d e r u n g der v e r s c h i e d e n e n Sym-
b i o n t e n s o r t e n aus dem gemischten Infektionshallen die innigsten Anpassungserscheinungen
zwischen W irt und Symbionten zeigen, und zweitens hatte sich gerade bei den
polysymbionten Formen ein Problem ergeben, das mit Sicherheit n ur durch die Kenntnis
des symbiontischen Zyklus während der Embryonalentwicklung zu lösen war. Es betrifft
einmal die X-Organe mit den rätselhaften, oft amöboid gelappten R i e s e n s ym b i o n t e n ,
deren Symbiontennatur anzuerkennen B ü c h n e r sich zunächst gar nicht entschließen
konnte, und zum anderen das in die Enddarmwandung eingefügte R e k t a l o r g a n , das
nach den Feststellungen B ü c h n e r s stets nur im weiblichen Geschlecht hei denjenigen Formen
auf tritt, die zugleich auch X-Organe besitzen; eine Tatsache, die S u l c völlig entgangen
war, die aber von höchster Bedeutung für das Problem der Riesensymbionten zu
sein schien. Während nun ÖULC in den Symbiontenballen der Ovarialeier neben den Vertretern
aus den übrigen Organen stets auch Abkömmlinge des Rektalorgans u n d der X-
Organe unterscheiden zu können glaubt, weist B ü c h n e r (1925) nach, daß Infektionsformen
aus dem Rektalorgan zwar stets auf treten, nie aber Formen, die als Propagationsformen
der Riesensymbionten aufzufassen sind, und daß ein knospenartiges Abschnüren solcher
Zustände von den Riesensymbionten, wie es S u l c gesehen haben will, auf einer fälschlichen
Deutung tangentialer Anschnitte der extrem gelappten Riesensymbionten beruht.
Aus der Tatsache, daß die Riesensymbionten der X-Organe keine Infektionsstadien in die
Symbiontenballen der Ovarialeier entsenden und andererseits Rektalorgane nur bei den
Weibchen Vorkommen, fordert B ü c h n e r folgerichtig den Zusammenhang beider Organsysteme
und Symbiontentypen dergestalt, daß sich im Laufe der Embryonalentwicklung
aus den im Symbiontenballen vorhandenen Abgesandten des Rektalorgans in beiden Geschlechtern
die Riesensymbionten heranbilden, während im Weibchen ein Teil davon sich
auf irgend eine Weise absondert und kleinbleibend später das Rektalorgan füllt. Somit
wären die Rektalorganinsassen als die Normalformen, die Riesensymbionten dagegen als
abgespaltene und hypertrophierte Involutionsformen eines einzigen Symbionten anzusehen,
und B ü c h n e r bezeichnet die X-Organe deshalb als Filialmycetome. E r versucht
auf dem indirekten Wege des Vergleichs der histologischen Eigenschaften der Symbionten
(Anzahl, Form und Größe der Granulationen im Plasma der Symbionten) die Verwandtschaft
der beiden Symbiontenformen zu beweisen, betont aber selbst, daß der sichere Nachweis
hierfür erst durch die Untersuchung der Embryonalentwicklung erbracht werden
kann.Z
u dieser Arbeit regte mich mein hochverehrter Lehrer, Herr Prof. Dr. P. B ü c h n e r
an, dem ich dafür und für das große Interesse, das er meiner Arbeit immerfort entgegengebracht
hat, und für seine Bemühungen um die Beschaffung des exotischen Materials
auch an dieser Stelle herzlich danken möchte. Großen Dank schulde ich vor allem
auch meinem väterlichen Freund und Berater, Herrn Otto M i c h a l k , Leipzig, der mir
nicht allein bei der Sammlung des einheimischen Materials, auf Exkursionen und in der
Angabe von Fündplätzen ein unersetzlicher Helfer war, sondern mich auch mit nimmermüdem
Eifer in allen Fang-, Zucht- und Präparationsmethoden unterwies. Ferner danke
ich Herrn Prof. Dr. J a c o b i , Dresden, und Herrn H. H a u p t , Halle, für die mühevolle Bestimmung
des brasilianischen Materials, letzterem auch für die Angabe von Fundplätzen
in Mitteldeutschland und für die gastliche Aufnahme in der Biologischen Station in Bellin-
chen an der Oder im Herbst 1935, sowie Herrn Prof. Dr. A. W e t z e l und Herrn P riv a tdozent
Dr. E. R i e s für mancherlei Unterstützung und Anregung.
II. Material und Technik.
Im systematischen Teil der vorliegenden Arbeit wurden 173 Arten untersucht, die sich auf alle elf Familien und
auf 22 der insgesamt 30 Unterfamilien der Fulgoroiden verteilen. 157 Arten sind davon erstmalig im Hinblick auf ihre
symbiontischen Einrichtungen geprüft worden, während die restlichen 16 den Teil d er 29 schon von anderen Autoren beschriebenen
Arten darstellen, der mir in Form frischen Materials z. T. zu Lebenduntersuchungen oder in Form fertiger Schnittpräparate
zur erneuten Durchsicht zur Verfügung stand. Im Ganzen sind also nun 186 Fulgoroiden bearbeitet und hier
berücksichtigt worden. Ich verzichte an dieser Stelle auf eine raumverschwendende tabellarische Übersicht der einzelnen
Formen und verweise auf die am Anfang jeder Unterfamilie zu findende Aufzeichnung der dort behandelten Arten, die
auch über die Herkunft derselben Auskunft gibt, sowie auf die Tabelle I im allgemeinen Teil.