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Die craspedoten Medusen des „Vettor Pisani“.
Von E. Vanhöffen-Berlin.
Mit Taf. I und II und 6 Textfiguren.
Es ist eine alte Schuld, welche ich hier abtrage, und wenn sie mich auch nicht gedrückt hat,
so freue ich mich doch, diese Arbeit meinem hochverehrten Lehrer Herrn Geheimrat Professor
Dr. C h u n zur 60. Geburtstagsfeier darbringen und endlich das vor vielen Jahren mir entgegengebrachte
Vertrauen rechtfertigen zu können. Die lange Verzögerung, welche die Fertigstellung
dieser Arbeit erfuhr und die es mit sich brachte, daß einige damals neue Arten inzwischen von
anderer Seite beschrieben worden sind, bedarf der Entschuldigung.
Als mir Professor C h u n nach der Untersuchung der acraspeden Medusen auch die Craspedoten
des „V e t t o r P i s a n i “ zur Bearbeitung übertrug, kannte ich von diesen Formen fast nichts
und weder lebendes noch totes Vergleichsmaterial stand mir zur Verfügung. Aber erst nachdem
ich die sämtlichen Formen skizziert hatte, sah ich ein, daß das Material größere Schwierigkeiten bot,
als von vornherein anzunehmen waren. Zwar waren die Tiere für jene Zeit nach den Methoden der
Neapeler Station von dem damaligen Schiffsleutnant C h i e r c h i a gut konserviert, doch blieb
bei reichlicher Anwendung von Osmiumsäure manches dunkel, was man klar zu sehen wünschte,
anderes war durch Chromsäure brüchig geworden oder im Alkohol geschrumpft. Aüch waren einige
neue Arten nur in einem Exemplar vorhanden, das nicht genügend Sicherheit bot, ob normale Verhältnisse
Vorlagen, und endlich handelte es sich zum Teil um Gattungen der Trachymedusen und
Narcomedusen, deren Systematik noch heute, trotz der vielen modernen Sammlungen und trotz
bester Erhaltung in Formol nicht endgültig geklärt werden konnte.
Da es sich so herausstellte, daß die Kenntnis lebender Medusen eine notwendige Vorbedingung
für eine brauchbare Bearbeitung des toten Materials war, erhielt ich durch Vermittlung von Professor
C h u n ein Stipendium und einen Arbeitsplatz für 6 Monate an der Station in Neapel. Meine Erwartung,
dort reiches Material an Medusen zu erhalten, wurde nicht erfüllt. Man sagte mir, daß
ich ein ungünstiges Jahr getroffen hätte, wahrscheinlich aber war die Zeit von Dezember bis Mai
nicht richtig gewählt, da z. B. auch die Strobilisation von Spongicola, die ich festzustellen hoffte,
erst einen Monat nach meiner Abreise eintrat. Immerhin gelang es mir, von eingesammelten Polypen
eine größere Zahl von Medusen zu erziehen und — was zur Beurteilung der Formen sehr wertvoll
war — die ersten Jugendstadien von Anthomedusen und Leptomedusen kennen zu lernen.
Als ich nach dieser Vorbereitung die Arbeit dann in Kiel wieder aufnahm, zeigte sich neue
Schwierigkeit. Das System H a e c k e l’s mußte von überflüssigen Gattungen und Arten befreit
werden, wenn man eine Übersicht erhalten wollte. Der erste Anfang dazu wurde in dem „Versuch
einer natürlichen Gruppierung der Anthomedusen“ 1891 gemacht. Dann trat durch die Grönlandexpedition
1892—1893 und durch die Bearbeitung der „Fauna und Flora Grönlands“ eine mehrjährige
Unterbrechung der Arbeit an den craspedoten Medusen ein und erst durch die Teilnahme an
Zoologica. Heft 07. 1