das Gegenteil bezeichnen sollte. Gleichwohl verkenne ich nicht, daß der Sache nach Johann-
sen ’s und meine Befunde besser übereinstimmen, als ich früher glaubte. Nilsson - E h le ’s
Resultate dürften die Brücke bilden.
Für unsere jetzige Fragestellung ist die Konstatierung wichtig, daß auch in reinen Linien, unter
Einfluß der einwirkenden Milieuenergien, überhaupt Blastovarianten entstehen können. Wenn wir
dazu bedenken, daß in der freien Natur ja in den meisten Fällen Kreuzbefruchtung verschiedener
Linien stattfindet, so verstehen wir, daß solche kleinen erblichen Varianten in den Daphnienpopulationen1)
wie auch sonst in der Welt etwas durchaus Alltägliches sind, wobei die Frage unerörtert
bleiben mag, ob jene Kreuzungen mehr einen variierenden oder mehr einen nivellierenden Einfluß auf
den Gesamtcharakter der Population haben. Sicher ist, daß durch jene, wie wir gesehen haben, ursprünglich
vom Milieu verursachten Blastovarianten und durch den sie bald steigernden, bald
dämpfenden Einfluß der Kreuzbefruchtung allein keinerlei einseitige und progressive Steigerung
e ine s Organs zu Stande kommen kann, daß aber sehr wohl schon auf diese Weise mannigfach
verschiedenes Material für die Zuchtwahl bereitgestellt wird. Im Abschnitt C werden wir das
besondere Material der Cladoceren-Artbildung etwas näher kennen lernen.
ad 2 ( Nu t zwe r t de r B l a s t o v a r i a n t e n ) :
Jene beiden Faktoren: Blastovariation und Linienkreuzung sind die primäre und sekundäre
Ursache der generellen Erscheinung, daß in jeder Population überhaupt Normunterschiede vorhanden
sind.
Wenn wir nun sehen, daß in solchen Populationen eine Merkmaländerung in b e s t immt e r
z we ckmä ß i g e r R i c h t u n g geschieht oder geschehen ist, daß z. B. der Helm progressiv
länger wird (genauer: daß von der zugeführten Milieuenergie ein immer größerer Teil auf die Helmbildung
verwendet wird) so würden wir diesen Umstand schon jetzt g j nach Erfüllung der ersten
Bedingung von S. 539 — der Selektion zuschreiben können, falls es uns gelingt auch noch nachzuweisen,
d a ß e ini ge j e n e r k l e i n e n B l a s t o v a r i a n t e n e i n e n p r a k t i s c h e n
N u t zw e r t für i h r e T r ä g e r haben.
Dieser Nachweis läßt sich nun für die hier behandelten pelagischen Fortsätze des Cladöceren-
körpers wirklich erbringen, sowohl für ihre erste Entstehung aus nicht pelagischen Anfängen, als für
alle die zahllosen Schrittchen, welche, von lauter einzelnen Blastovarianten gebildet, bis zu dem
in manchen Biotypen verwirklichten Extrem geführt haben und noch heute führen.
Da wir die wirklichen Funktionen dieser Fortsätze im II. Abschnitt bereits besprochen haben,
können wir uns hier kurz fassen.
Zunächst konstatierten wir, daß kleine Blastovarianten der Helm-, Spina-, Hörnerlänge keinen
Selektionswert haben könnten, wenn diese Organe wirklich nur dazu dienten, den Formwiderstand
zu erhöhen. Für Tiere von sehr variablem spezifischem Gewicht (Fettquantum etc.) und ebenso
variabler Bewegungsenergie können kleine Varianten des Formwiderstandes keinen Nutzwert haben,
weil dieser Faktor verglichen mit jenen Beiden für das Schweben (= Niveau-halten) nur eine verschwindend
geringe Rolle spielt. Davon kann man sich schon dadurch überzeugen, daß man die
„Schwebfortsätze“ (Spina, Helm, Hörner) bis auf kurze Stümpfe abschneidet und nun bemerkt, daß
3) Wie mir eine große Anzahl von Parallelkulturen aus einzelnen Ephippien und einzelnen $ $ des Frederiksborger Sees
beweisen.
die so operierten Daphnien und Bosminen in ihrem Aquarium mindestens ebenso häufig und
lange in den oberen Schichten sich aufhalten wie die nicht operierten Tiere.1)
Nach solchen Operationen ist aber, wie wir früher sahen, stets ein Unterschied der Bewegung
vorhanden, dieser betrifft jedoch nicht das „Schweben“, sondern einerseits das Gr a de a us -
s c h wimme n und anderseits das stetig h o r i z o n t a l e oder in möglichst flachen Bahnen
erfolgende Vorwärtsschwimmen.
Wir sahen, daß die untersuchten Fortsätze dreierlei Funktion haben (außer der bisher für
die Hauptsache gehaltenen Nebenfunktion, das „Schweben“ zu erleichtern), nämlich sie dienen:
1. zur V e r 1 e g u n g d e s S c h w e r p u n k t s ;
2. als S t e u e r o r g a n e (festgelegte Steuer);
3. als S t a b i l i s i e r u n g s o r g a n e für die Beibehaltung einer bestimmten Schwimmrichtung.
Sehen wir von der dritten Funktion ab, die ja aufs Engste mit der Steuerung verknüpft
ist, so bemerken wir, daß in den beiden ersteren Beziehungen in der Tat jede noc h so k l e i n e
Veränderung einen merklichen Nutzwert oder Schadenwert haben muß, wenn wir bedenken, daß
die Tiere darauf angewiesen sind, vermittels ihrer aus Gravitation und Lichtreizen, Antennenschlag
und Steuerflächen resultierenden Bewegungsweise wenigstens im Sommer bestimmte R i c h t u n g e n
innezuhalten, nämlich ihre Nahrungszone in horizontalen und wenig gegen die Horizontale geneigten
Bahnen zu durchschwimmen, ohne daß sie doch imstande sind, Richtungsänderungen mittels verstellbarer
Steuereinrichtungen aktiv herzustellen. Wenn wir uns nun vorstellen, daß etwa ein Lenk-
ballon oder ein Unterseeboot nach der Einstellung der Fahrtrichtung auf ein bestimmtes Ziel eine
Vef Schiebung des Schwerpunkts oder eine Verstellung der Steuerflächen erfahren würde, ohne diese
Veränderungen korrigieren zu können, so ist uns klar, daß von n o c-h so k 1 e i n en Veränderungen
dieser beiden Faktoren sehr bedeutende Richtungsstörungen bewirkt werden müßten. Am besten
vergleichbar unsern Objekten ist vielleicht ein unterseeisch lanciertes Torpedo, das bei der geringsten
Verlegung seines Schwerpunkts oder seines Steuers das Ziel weit verfehlen muß.
Die richtungändernde Wirkung solcher Verlagerungen wächst nun bei allen diesen toten und
lebenden Fahrzeugen „mit festgelegtem Steuer und Schwerpunkt“ proportional der Lä n g e des
Weges; und die von den Seen-Cladoceren zurückgelegten Horizontal- und Schrägbahnen sind ungemein
lang im Verhältnis zur Größe der Tiere. Falls also ein Individuum im Vergleich mit der übrigen
Population vermöge seiner Steuerorgane und Schwerpunktslage auch nur einen kleinen Deviationswinkel
aufweist, so wird das Endresultat sein, daß dieses Tier ganz andere (schneller oder langsamer
an den surface film, zur Sprungschicht öder in die Uferregion führende) Wege beschreibt als jene
nicht veränderten Tiere — woraus, wie wir im II. Abschnitt sahen, zuzeiten ein erheblicher Voroder
Nachteil, immer aber ein meßbarer Un t e r s c h i e d erwachsen muß.2)
J) Bylhotrephes dagegen kann sich nach Entfernung seines langen Abdominalfortsatzes nicht mehr weit über den
erheben (W e s e n b e r g - L u n d ) . Dabei sp ie lt wahrscheinlich der B lu tv e r lu st.ein e Rolle (vergl. Anm. 1 S. 487).
Ein wesentlicher Unterschied dieses Falles gegenüber Daphnia und Bosmina lieg t darin, daß Bythotrephes, w ie ich
¡eugte, sein verlängertes Abdomen v e r s c h i e d e n e i n s t e l l t , je nachdem ob er aufwärts, abwärts oder
ich über:
geradeaus schwimmt.
") Wir können z. B. berechnen, welcher Unterschied der Steuerflächen oder der Schwerpunktlage dazu gehört, damit ein
Tier a, das zugleich und gleichen Orts mit einem ändern Tier b in 5 m Tiefe seine gradlinig schräg aufwärtsführende Wanderung
beginnt, 1 Stunde früher oder 100 m weiter vom Ufer entfernt die Oberfläche erreicht. Es kommen dabei W erte heraus, die innerhalb
der Variationsgrenzen liegen. Selbst wenn die Aufstiegwinkel um einen noch so geringen Betrag verschieden sind, ihre
Schenkel müssen doch weit „auseinanderlaufen", auch wenn es sich etwa nur um einen Weg von 50 Meter Länge handelt.