Führungs flächen. Bisher haben wir eine Besonderheit des Bosminenkörpers noch nicht
behandelt, die M u c r o n e n, die am hinteren Band der beiden Schalenklappen liegen und in Länge
und Stellung fast ebenso variabel sind wie die Hörner. Wir wollen die Mucronen beider Bosmina-
Arten im Zusammenhang kurz besprechen, sodaß für Abschnitt c) nur noch diejenigen Bosminen
übrig bleiben, welche die Mucronen zurückbilden.
Sie erstrecken sich bei B. longirostris durchweg, bei B. coregoni (soweit sie vorhanden sind)
meistens in der Bewegungsrichtung der Tiere: es haben demnach auch diese Gebilde eine ähnliche
Aufgabe, wie die Stabilisierungsflächen bei Luft- und Unterwasser-Fahrzeugen. Und zwar werden
die Führungsflächen ursprünglich von den grade gestreckten v e n t r a - l e n S c h a l e n r ä n d e r n
gebildet, ähnlich wie wir sie oben bei Chydorus im Entstehen begriffen sahen. D ie Mu c r o n e n
s e t z e n d i e s e F ü h r u n g s f l ä c h e n al s V e r l ä n g e r u n g e n ü b e r de n B e r e i c h
des Körpers hinaus fort. Der ganze Apparat
erschwert ein Abweichen von der Fahrtrichtung.
Daß bei solcher Stellung zugleich der Sinkwiderstand
(Sommer)
durch Vergrößerung des Horizontalquerschnitts
erhöht wird, kann ihre Existenz schon deshalb
nicht erklären, weil sie in manchen Fällen auch
senkrecht nach unten getragen werden (Fig. 22, c, d).
Sobald daseintritt, sobald also diese Mucronen
gegen die Bewegungsachse geneigt sind, wirken
auch sie naturgemäß als S t e u e r f l ä c h e n , und
zwar im gleichen Sinne die Fortbewegung ventral-
wärts ablenkend, wie wir es eben für die Vorderantennen
kennen lernten. Interessant ist, daß es
einige wenige Bosmina-'Foimen gibt, bei welchen
die Mucronen stark dorsalwärts gebogen sind, also
den ventralsteuernden Hörnern entgegen wirken.
Es kann aber nicht wundemehmen, wenn bei
einem so kompliziert gesteuerten Fahrzeug in einzelnen
Fällen Gegenkompensationen nötig werden.
In ändern Fällen sehen wir, daß — im Interesse
schnellerer Fortbewegung—die Hörner, welche
'(Winter)
Fig. 21. Saisonvariatiqn von Bosmina (coregoni) longispina
nach R ü h e . Die Hörner (Steuer) sind im Sommer verkürzt/
die Mucronen (Führungsflächen) gleichzeitig verlängert.
wie jedes stark gegen die Fahrtrichtung geneigte Steuer zugleich h e m m e n d wirken, verkürzt und
durch eine der Fahrtrichtung größtenteils parallele Verlängerung der Mucronen ersetzt werden. Das
gilt sowohl für die gewöhnliche Sommervariation von B. c. longi'spina, als auch für den sehr extremen
Fall der Fig. 22, b.
Ebenso wie hier Stabilisierung und Steuerung von den gleichen Organen besorgt werden kann,
ebenso ist es auch mit den Vorderantennen. Deren Haupt- und ursprüngliche Funktion ist zwar
sicherlich das Steuern, aber oft sehen wir auch Teile von ihnen in der Bewegungsrichtung entfaltet,
also stabilisierend wirken und zwar besonders dann, wenn die Mucronen die stabilisierende Funktion mit
einer steuernden vertauscht haben (Fig. 22, d). Beide Funktionen gehen übrigens ineinander vielfach über.
Zwischen all diesen die Bewegungsrichtung regelnden Fortsätzen bestehen natürlich sehr mannigfache
Ausgleichsbeziehungen. Erst als dritte Funktion kommt die „Erhöhung des Horizontalquerschnitts“
hinzu und zwar nur bei solchen Formen, welche ihre Hörner zu einem beträchtlichen Teile horizontal
halten (Fig. 22, a, b). —
Bisher haben wir vorzugsweise die Bichtungsorgane der Bosmina longirostris und B. coregoni
longispina berücksichtigt, von denen besonders die erstere in kleineren und flacheren Gewässern,
auch in den seichteren Teilen der Seen zu Hause ist. Die andere „Art“ mit all ihren lokalen Formen
steht ihr relativ nahe, beide stellen nach W e s e n b e r g und B ü h e den ursprünglicheren Bos-
minentypus dar, der, wie W e s e n b e r g zuerst gezeigt hat, besonders im kalten Wasser hervortritt.
d
Fig. 22. Ausbildung der M u c r o n e n vorwiegend als Führungsflächen (a und b) oder als Steuer (c und d), ferner der
V o r d e r a n t e n n e n lediglich als Steuer (c) oder zugleich als Führungsflächen (a und d).
a) Bosmina c. berolinensis, b) B. c. reflexa.
c) B .. c. longicornis, d) B . c. longicornis.
(a, b, d nach R ü h e, c nach L i 11 j e b o r g.) In Fig. c is t in Gy—G6 gezeigt, welche Wirkung die Schwerkraft (Drehung
der Längsachse in b) auf verschiedene Punkte des Körpers ausübt.
Auch die gleich zu besprechenden pelagisch differenzierten Arten ähneln im Winter diesem gemeinsamen,
ursprünglichen Typus. Sie haben dann einen rundlichen Bückenkontur, mäßig lange Antennen
und — falls solche nicht ganz fehlen — ebenfalls mäßig lange Mucronen. Für alle Einzelheiten dieser
kaum übersehbaren Formenfülle verweise ich auf die große und überaus verdienstvolle ArbeitvonBühe
(diese Zeitschrift 1912).
c) Bosmi na coregoni gibbera etc.
Während nun bei longirostris etc. aus dieser gemeinsamen Winterform (Fig. 21 unten) im
Sommer k u r z h ö r n i g e , s c h n e l l s c hw imme n d e Tiere hervorgehen, bildet die zweite
Formengruppe l a n g h ö r n i g e u n d im V e r g l e i c h zu j e n e n vi e l w en i g e r
s c h n e l l s c h w imme n d e Somme r t i e r e .