ad 3: Die Mucronen von Bosmina und Scapholeberis sind an derselben Stelle entstanden,
welche bei jungen Daphnien einen Winkel bildet und welche bei Latona und einigen anderen Formen
mit mehreren Borsten bezw. Zähnen besetzt ist. Die Mucronen können wieder innerhalb des gleichen
Biotypus ganz fehlen oder vorhanden sein; sie können ferner ein kurzes Zähnchen darstellen oder
zu Hakenbildungen heranwachsen, die ihrerseits mit Zähnchen ausgerüstet sind. Es ist sehr wahrscheinlich,
daß ihre Geschichte ganz dieselbe ist, wie diejenige der nun zu schildernden Daphnien-
Fortsätze. Man wird bei näherem Nachsehen die S. 530 genannten Etappen wohl auch für diese
Bildungen nachweisen können.
Daphnia.
Eine ganze Reihe von verschiedenen Fortsätzen kennen wir an der Schale und dem Kopfe
pelagischer Daphniden. Ihre nähere Untersuchung hat gezeigt, daß sie wahrscheinlich sämtlich,
sicher zum größeren Teil aus dem gleichen Strukturelement des Chitinpanzers entstanden und heute
noch entstehen.
1. Der „Helm“ als nach vorn gerichtete Verlängerung des Kopfes.
2. Die Rückenfortsätze („Nackenzähne“) an der dorsalen Grenze von Kopf- und Rumpfschale.
(Fig. 40.)
3. Der unpaare Stachel („Spina“) am kaudalen Ende der Schale.
4. Der Schnabelfortsatz als Verlängerung des Rostrums (Fig. 7 c).
5. Die zahnartigen Verlängerungen der Fornices an den Seiten des Kopfes (Fig. 36)..
6. Die Dornen des ventralen Schalenrandes (Fig. 34—35, 37).
Alle diese Bildungen können fehlen oder in verschiedener Stärke bis zu den abgebildeten
Extremen entwickelt sein. Ihnen allen ist ferner gemeinsam — auch hierin schließen sich die vorhin
besprochenen Mucrones als Weiterbildung von No. 6 an — daß ihr Minimal-Stadium nichts weiter ist
als ein einfaches Chitin-Zähnchen, ein ebensolches Gebilde, wie wir sie überall auf der Oberfläche dieser
Cladoceren finden können. Und zwar erheben sich solche Zähnchen s te ts in den Winkeln der
„Rauten“ (Fig: 35a), welche für den Panzer dieser Tiere so charakteristisch sind, wie etwa die
„Schuppen“ für die Körperbedeckung eines Fisches oder Reptils, oder wie die Federn und Haare" für
Vögel und Säugetiere, oder endlich wie die Wimpern für die Zellwand der Infusorien.
Und wie alle diese Hautgebilde sich in einzelnen Körperregionen zu allerlei Organen spezialisieren
können, ohne dabei ihre Herkunft aus den gemeinsamen Strukturelementen zu verleugnen,
ebenso entstehen aus den Rautenwinkeln bei Daphnia die genannten verschiedenartigen Gebilde.
Am stärksten pflegt nun die Umbildung der Hautelemente dann zu sein, wenn eine tiefgreifende
ökologische Veränderung eintrat und damit die Funktion der Körperbedeckung sich ändern mußte.
Ich verweise nur auf die Verwandlung, welche mit den ursprünglichen, deckenden und schützenden
Reptilien-Schuppen vor sich gegangen sind, als die Vorfahren des Archaeopteryx und der Vögel aus
Kriechtieren zu Flugtieren wurden, wobei die Horngebilde der Haut zu teils schützenden teils
tragenden Federn, die Vorderbeine zu Flügeln, die Schwanzschuppen ebenfalls zu Federn, und zwar
hier zu Steuerorganen wurden. Diesem vielleicht berühmtesten Beispiel von Funktions- und zugleich
Strukturwechsel kann man die Ausbildung jener Cladocerenorgane um so eher vergleichen,
als auch in unserm Falle eine vollständige Änderung der Lebensweise (der Übergang vom Kriechen
zum freien Schwimmen) das primum movens so tiefgreifender morphologischer Umbildungen darstellt;
hier wie dort werden „ de c k e n d e u n d s c h ü t z e n d e “ Hautelemente zu „ t r a g e n d e n
und s t e u e r n d e n “ Organen.
Im folgenden wollen wir die teils noch zu wenig untersuchten, teils auch relat iv unwichtigen
Umbildungen an Rostrum (z. B. Fig. 7 c) und Fornix (Fig. 36), ferner Spina und Mucro beiseite lassen,
um die drei übrigen Punkte: Randdornen, Nackenfortsatz und vor allem den He l m etwas näher
ins Auge zu fassen. Am meisten habe ich mich mit der Entstehung des letztgenannten Organs
(bei Daphnia cucullata) beschäftigt.
Fig. 34. Fig. 35.
Fig. 34. Die verschiedenen Bildungsstellen von „pelagischen Fortsätzen“ am Daphnia-Körper (D. obtusa). Die einzelnen
Stellen (Rostrum, Scheitel, Nacken, kaudales Ende und ventrale Ränder der Schale, Fornix) sind durch * bezeichnet.
Fig. 35. Die „Rauten“ der Daphniden-Schale (nach W a g 1 e r).
ä) Die typischen Chitinrauten der Seitenwandung. Das kaudale Ende jeder Raute greift als Zähnchen über die nächste,
b) Verlängerung der Rauten zähnchen zu Dornen am ventralen Schalenrande.
Alle Daphniden besitzen auf ihrem Kopf in Fortsetzung des Rückenkiels einen Scheitelkiel,
der entweder mehr dachförmig ist {Daphnia magna und pulex) oder mehr leisten- bezw. schneidenartig
ausläuft (D. longispina u. a.). Solche Kammleisten oder cristae (Fig. 36) lassen den Kopf mehr oder
weniger verlängert erscheinen, je nach dem Grad ihrer Ausbildung. Immer aber ist ihr Umriß, solange
keine Helmbildung dazukommt, von der Seite gesehen, rundlich, nicht zugespitzt.
Ich glaubte nun früher, daß auch die Helme von D. galeata und cucullata nichts weiter seien
als Weiterbildungen dieser crista; später zeigte sich mir aber, daß solchen Helmen ein neues morphologisches
Element zugrunde liegt, nämlich ein oder einige der crista aufsitzende Chitin-Zähnchen.
Diese Scheitel-Zähnchen führte ich 1909 auf Grund einiger Befunde von E. W a g 1 e r und mir auf
verlagerte Nackenzähnchen zurück. Inzwischen sahen wir, daß Nackenzahn und Scheitelzahn
selbständige Gebilde sind, welche indes aus den gleichen Strukturelementen entstehen, nämlich aus
den erwähnten, überall vorhandenen Dornen der Rautenwinkel. Ich fand am Scheitel von D. cucullata
folgende Stadien der Helmbildung:
Zoologioa. Heft 07. ¡¡1