Diese schlagen formphysiologisch zwei ganz verschiedene Wege ein.
B. coregoni gibbera, Ihcrsiics d e . verlängert den Rücken und spreizt die 1. Antennen bcinnli rechtwinklig zur morphologischen
Längsachse vom Körper ah (Fig. 23). S ie besitzt keine Mucronen.
B . coregoni bemliaensia, longicornis etc. dagegen verlängert die Mucronen um das Vielfache und se tz t an die Hörner Verlängerungen
an, die o ft parallel zur Körperlängsachse gerichtet sind (Fig. 22 a, d).
Uns interessiert vorwiegend die diesen beiden Typen g e m e i n s a m e , s omme r l i c h e
V e r l ä n g e r u n g de r Hö r n e r , weil hierin ein so starker Gegensatz zu den bisher von uns
analysierten Verhältnissen liegt,.daß an unserer Erklärung Zweifel entstehen könnten. Ich möchte
mich auf eine Analyse der S. coregoni gibbera beschränken, weil ich berolmemis-VoTmen nur kürzere
Zeit kultiviert habe, und weil die yziAera-Formen die auffälligsten und auch verbreitetsten eupe-
lagischen Bosminen sind.
Ihre Charakteristika sind 1. der hohe Rücken, der einen großen, bis zu 20 Eiern fassenden
Brutraum umschließt; 2. das Eehlen der Mucronen; 3. die Vorspreizung der stark verlängerten
Antennen; 4. die langsame Bewegung, bei welcher der Rücken nach hinten oben, die Hörner nach
vom unten gehalten werden, derart, daß d ie v o r d e r e R ü c k e n l i n i e h o r i z o n t a l
Fig. 23. Entstehung der „ g ii* r a “-Formen v on Bosmina coregoni durch Verlagerung des Schwerpunkts (g) und durch die
davon bedingte Divergenz zwischen morpholog. Längsachse (M. L. A.) und ventralem Schalenrand einerseits und wirklicher
Längsachse nebst statischer Achse (b—g) anderseits.
im Wasser liegt, während der Kontur des „Hinterrückens“ rechtwinklig oder unter spitzem. Winkel
nach unten verläuft (Fig. 23 b, c)..
Von diesen drei Charakteren kann die Rücken Verlängerung, welche ihrerseits vielleicht
eine. Folge der erhöhten Eiproduktion.1) ist, als das primum movens aufgefaßt werden. Sie verursachte
eine Verlagerung des Schwerpunkts dorsalwärts; die statische Achse b—g, die bei den
ursprünglichen Formen der morphologischen Längsachse und ebenso den v e n t r a l e n Führungsflachen
der Schale parallel liegt (Fig. 23 a), geriet dadurch in eine immer wachsende Neigung zu
dieser Achse und Fläche (Fig. 23 b).
*) Diese dM le dadurch nötig (d. li. selektionswertig) geworden sein, daß die großen cupelagischen Bosminen in vielen
Gewässern einer viel stärkeren Dezimierung durch F i s c h e , Bythotrephen etc. unterliegen als die kleinen Uferbosminen. Eine
Anzahl pelagischer Fische nährt sich bekanntlich vorwiegend und dauernd von diesen Tieren (Coregonus), dazu kommen
grade im Sommer die Schwärme von J u n g f i s c h e n anderer Arten. Da die Tiere diesen Feinden durch noch so schnelle
Bewegungen nicht entgehen können, so h a t sich als arterhaltend eine g e s t e i g e r t e V e r m e h r u n g wie so o ft
in ähnlichen Fällen durch Selektion herausgebildet. (Diese Verhältnisse können h e u t e in einigen Seen verwischt sein.)
Ganz anders st e h t es m it den l i t o r a l e n .Bosminen (und Cladoceren überhaupt). Ihre Feinde rekrutieren sich
zum großen Teil aus Insekten, Milben und dgl., und wer einmal gesehen h a t, wie z. B. die Larven unserer Wasserkäfer
mit ihren Kiefern auf Gladoceren Jagd machen, der versteht, daß in dieser Region K l e i n h e i t und S c h n e l l i g k e i :t
die besten S chutzmittel sind. Daher der Habitus der „kleinen“ Bosminen. _ Von den Daphnien der Litoralzone zeigt
d ie Gattung Ceriodaphnia eine entsprechende Verkleinerung, während Daphnia magna und pulex wiederum durch überaus
starke Eiproduktion für die Erhaltung der Art sorgen.
Der ventrale Schalenrand hört infolgedessen auf. Führungsfläche für die Bewegung zu sein,
da ein Körper, dessen Vorderende mit genügender Geschwindigkeit fortbewegt wird, bestrebt ist,
sowohl seine jeweils längste Achse als auch seine statische Achse (b—g) in d e Bewegungsrichtung
einzustellen, wobei der Schwerpunkt so weit als möglich hinter dem Ansatzpunkt der Bewegung
zurückbleibt. Wenn auf diese Weise die wirkliche Längsachse auf hört, der morphologischen und den
ehemaligen Führungsflächen parallel zu sein, gehen d i eMue r o n e n , welche bisher die Führungsflächen
verlängerten, verloren, während sie bei anderen Coregoni-Foimen(berolinensis), welche keine
Rückenverlängerung zeigen, in der Bewegungsrichtung verlängert oder auch als Steuer gegen die
Bewegungsrichtung eingestellt werden können, falls nämlich die Antennenverlängerung in die Bewegungsrichtung
fällt- und dadurch ihrerseits neue Führungsflächen schafft (longicornis, Fig. 22). —
Das gibbera-Fahrzeug nimmt durch Rückenverlängerung
und Mucroverlust eine stark veränderte
Gestalt an; der Dorsalumriß ist vergrößert, der Ventralumriß
verkleinert. Die Bewegungsrichtung erfährt
dabei durch den erhöhten Widerstand, den der
Rücken dem Wasser darbietet, eine kräftige Steuerung
dorsalwärts. Da unser Boswima-Fahrzeug ohnehin
infolge der Schwerkraftwirkung dorsalwärts „luvgierig“
ist (vergl. Fig. 16), so muß, da diese Tendenz durch
die Ventralhörner von bisheriger Länge nicht mehr
kompensiert wird, kräftiger ventralwärts gesteuert
werden, wenn dennoch eine gradlinige Bewegung
resultieren soll. Und das geschieht durch die monströse
Verlängerung und durch die Vorspreizung der
Hörner. Die Kompensierung geht aber nur so
weit, daß die vordere Rückenfläche in die Fahrtrichtung
eingestellt wird, also — anstelle der „aufgegebenen“
Ventralränder nebst1) Mucronen nunmehr
(Sommer)
nach R ft h e. Im Winter mittellange Hörner und
niedriger Rücken, im Sommer korrespondierende Verlängerung
als F ü h r u n g s f l ä c h e (ähnlich dem Vorderrücken
des pelagischen Chydorus, S. 504) wirkt.
beider Steuerflächen.
Es ist, wenn man eine größere Anzahl solcher Tiere beisammen hat, sehr hübsch zu sehen,
wie immer d ie L än g e u n d S t e l l u n g de r Hö r n e r d e r j e n i g e n d es R ü c k e n s
en tsp rich t (vergl. Fig. 23, b, c und 24). Immer ist das Verhältnis zwischen den kopfhebenden
Faktoren (Schlagrichtung, Schwerkraft, Rücken-Dorsalsteuer) auf der einen Seite zu der einzigen
den Kopf herabdrückenden Kraft (Gegendruck des Wassers gegen die Ventralsteuer) so reguliert,
daß eine g r a d l i n i g e B ewe gung dabei herauskommt. —
Es ist nun aber nicht die einzige Wirkung dieser monströsen Veränderung des Körpers, daß die
Gradlinigkeit der Bewegung erhalten bleibt. Vielmehr sind auch Bewegungs a r t und Bewegungs-
e f f e k t (Kurs) des Fahrzeugs mit der Gestalt andere geworden. Während der eiförmige Körper der
k l e i n e n Bosminen schnell und in beliebiger Richtung durch das Wasser schwirrt, rudern die
wunderlichen gibbera- und thersites-Gestalten erstens relativ langsam und zweitens, was wohl das
l ) Bei einigen ändern hochrückigen Bosminen helfen übrigens auch die Mucronen steuern, an statt wie son st zu
verschwinden (Fig. 22 c); überhaupt herrscht eine überaus reizvolle Mannigfaltigkeit der dynamischen Methoden.