Kap. I. Übersicht der ..Schwebe-Einrichtungen“ bei Cladoceren.
Die pelagischen Phyllopoden stammen unzweifelhaft von kriechenden Formen der Flachgewässer
ab. Man hat Gründe für die Annahme geltend gemacht, daß ihre Differenzierung erst im
Zusammenhang mit den nacheiszeitlichen Seenbildungen erfolgt ist. Hier interessieren uns nur die
Me t hoden, welche sie angewandt haben, um sich der total veränderten Lebensführung anzupassen,
zu der sie bei Verwandlung morastiger Wohngebiete in tiefe Gewässer oder bei Einwanderung
in neu entstandene Seen gezwungen waren.
Ich schicke voraus, daß die heutigen pelagischen Cladoceren sich von vier verschiedenen
Ausgangsformen herleiten und auch in ihrer Art und Weise, die pelagische Zone zu behaupten sowie
in ihrem Körperbau diese Stammesverschiedenheit bekunden (Fig. 1—4).
Die erste Reihe beginnt mit Sida crystallina, einer Form, die sich bekanntlich an Blätter
der Uferpflanzen vermittels ihres dorsalen Haftapparats anzuheften pflegt, übrigens aber sehr kräftige
Ruderantennen besitzt. In dem großen Furesee fand Wesenberg-Lund sie in der Mitte des Sees
freischwimmend, einige Verwandte von ihr (S.limnetica, Limnosida) haben sich ganz an das Planktonleben
angepaßt. Ferner ist Diaphanosoma eine noch weiter „pelagisch differenzierte“ Sidide, auch
das merkwürdige Holopedium mit seiner Gallerthülle (Fig. 1 c) gehört hierher, und es ist nach Wesenberg
Lund wahrscheinlich, daß auch Leptodora trotz der sehr weitgehenden Umgestaltung ihres
langgestreckten Körpers von Sida-ähnlichen Vorfahren stammt. (Besonders die Beinzahl und die
Vorderantennen der $$ sprechen dafür.) Übrigens müssen ja die Sididen wegen des gleichmäßigen
Baus ihrer 6 Beinpaare als diejenigen Cladoceren betrachtet werden, die dem gemeinsamen Ursprungsund
Grundtypus am nächsten stehen. Alle hier genannten Formen — meist von stattlicher Größe
— besitzen voluminöse Ruderantennen, welche entweder in langen, ungleichen Intervallen kräftige
Schläge ausführen (Diaphanosoma), oder in kürzeren Zwischenräumen relativ langsam bewegt werden
(Leptodora).
Eine zweite Reihe pelagischer Cladoceren besitzt im Gegensatz dazu sehr kleine Ruder,
welche dafür aber sehr schnelle und schnell aufeinander folgende Schläge ausführen, Die Ruder
können zwischen die Schalenklappen „eingezogen“ werden. Wenn wir die Bewegungen der oben genannten
Tiere als ein Springen und langsames Rudern bezeichnen, so müssen wir die Bewegung
der nun zu besprechenden Formen ein „Schwirren“ nennen. Chydorus sphaericus, ein kleiner,
runder Kruster der Uferzone, gehört hierher, der zeitweise die pelagische Region der Seen bewohnt.
Ferner die formenreiche Gattung Bosmina, deren Abstammung von Chydoriden-artigen Formen von
W e s e n b e r g - L u n d und neuerdings Behning (auf Grund eines Vergleichs der Extremitäten)
wahrscheinlich gemacht wurde. Von ihrem Formenreichtum gibt Fig. 2 nur einen schwachen Begriff.
Diese zweite Reihe umfaßt die kleinsten Cladoceren, selbst die „großen“ Bosminen (B. coregoni)
erreichen kaum den Umfang einer kleinen Daphnienrasse.
Die dritte Reihe wird von eben diesen bekanntesten „Wasserflöhen“ gebildet und zwar
sind es trotz der auch hier wieder kaum übersehbaren Formenmannigfaltigkeit nur wenige Gattungen,
von denen die Hauptgattung Daphnia entweder im Litoral bezw. in flachen Tümpeln (D. magna und
pvlex), oder pelagisch lebt (D. cucuUata etc. etc.). Alle sind durch die gleiche rhythmisch „hüpf
e n d e “ Bewegung ausgezeichnet, die aus der regelmäßigen Abwechslung zwischen Antennenschlag
und Absinken mit gespreizten Antennen resultiert. Auch die litoralen Formen leben gelegentlich
pelagisch (Fig. 3 c).
Fig. 1. Die von S id a ausgehende I. Reihe der pelagischen Anpassung bei Cladoceren: a. Sid a crystallina, im allgemeinen litoral.
m it dem Haftorgan des Rückens an Blättern festsitzend, in einigen Seen zeitweise pelagisch, b. Diaphanosoma brachyurum, ste ts
pelagisch, in T eichen und S een, c. H olopedium gibberum. Schale zu einer gallertigen Schwimmhülle verändert, pelagisch, d u n d e .
Leptodora K in d tii, m it verlängertem Körper und rudimentärer Schale. Gliedmassen zu einem Fangkorb umgebildet. Pelagisch.
(Fig. a, b nach L i 11 j e b o r g, Fig. c—d von Dr. E. W a g 1 e r nach der Natur gezeichnet).