bewiesen, denn wir kennen die speziellen Systembedingungen der „Katalase*‘-Reaktion noch, zu
wenig, um sagen zu können, ob sie für andere Superoxyde gleich gute Reaktionsmöglichkeiten bietet.
Wie vorsichtig man mit der Deutung bestimmter Reaktionen organischer Lösungen als „spezifisch“
sein muß, zeigt folgende Tatsache. Die „Wassermannsche Reaktion“ des Serums Syphiliskranker,
die diagnostisch als einwandfreie spezifische Reaktion für die durch Spirochaete pallida erzeugten
Veränderungen der Bluteiweißkörper angesehen wurde, ist in neuester Zeit auch an anderen Eiweißlösungen
künstlich hervorgerufen worden. Das würde heißen, daß auch hier das Spirochaete-virus
im Organismus nur bestimmte Systembedingungen der kolloidalen Lösung des Serums geschaffen
hat, die dann eine physikalische Reaktion (Ausfällung) bei bestimmter Behandlung ermöglichen,
aber auch auf ganz andere Weise erzeugt werden können.
Auch die Metallsole reagieren nicht mit allen Superoxyden gleich leicht und es ist nicht verwunderlich,
daß bei den weit komplizierteren Gewebskolloiden die Bedingungen für das Eintreten
der Reaktion viel feiner abgestuft sind.
Wichtiger scheint uns der zweite Einwand zu sein. Man kann die ursprünglichen Gewebs-
lösungen in der einschneidendsten Weise umgestalten, ohne daß die Katalasewirkung verloren geht.
So z. B. bei den Reinigungsverfahren. Man fällt die Eiweißkörper mit Alkohol, kann sie trocken monatelang
aufbewahren und erhält doch durch Extraktion mit Wasser die gleiche Katalasereaktion
wie vorher. Wo. Ostwald hat gezeigt, daß man Raupen abtöten und bis zur Gewichtskonstanz
eintrocknen lassen und dann nach Monaten noch aus dem zerriebenen Material Katalase extrahieren
kann. Es wäre natürlich sehr merkwürdig, wenn die Fähigkeit, bei Extraktion mit Wasser
die gleichen Systembedingungen hervorzubringen, trotz dieser Manipulationen, bei denen gerade die
Eiweißkörper weitgehend verändert sein müssen, erhalten geblieben wäre.
Einer experimentellen Prüfung ist das Problem insofern zugänglich, als man versuchen kann,
künstlich Katalase herzustellen, d. h. kolloidale organische Lösungen zu finden, welche die gleiche
Katalasereaktion zeigen, wie die Gewebsextrakte. Wir sind zur Zeit mit Versuchen in dieser Richtung
beschäftigt. Die so eventuell zu gewinnenden künstlichen „organischen Fermente“ würden zum Studium
der Fermentreaktionen insofern jedenfalls geeigneter sein, als die „anorganischen Fermente“
Bredigs, als es sich bei ihnen, wie bei den Gewebslösungen, um Emulsionskolloide handelt im Gegensatz
zu den Metallsolen, die Suspensionskolloide darstellen. Zwischen diesen beiden Formen kolloidaler
Lösungen bestehen aber so erhebliche Unterschiede, daß die Übertragung der an der einen Gruppe gewonnenen
Resultate auf die andere nicht ohne weiteres statthaft ist.
4. Stellt man sich auf den Standpunkt, daß die Katalase gar kein chemisch charakterisierbares
Ferment ist, so erhebt sich natürlich die Frage: Hat es überhaupt Zweck, die Fähigkeit zur
H202 Zersetzung der verschiedenen Gewebe zu prüfen? Denn es könnte ja der Fall vorliegen, daß
diese in vitro beobachtete Reaktionsfähigkeit im Organismus gar nicht zur Verwendung käme. Darauf
ist zu sagen, daß die ursprüngliche Vorstellung nicht als gesichert angesehen werden kann, daß die
Katalase im Organismus tatsächlich die Aufgabe hat, H202 zu zersetzen. Wenn auch die Bedenken,
welche Pfeffer gegen die Möglichkeit des Auftretens von H202 im Organismus erhoben hat, gegründet
auf die Tatsache, daß sein Nachweis bisher noch niemals gelungen sei, nicht als völlig stichhaltig
angesehen werden können, da ja eben das H202 sofort bei seinem Auftreten wieder umgesetzt
werden soll, so ist doch auch ein positiver Beweis noch nicht geführt. Es könnte also die Fähigkeit,
H202 zu zersetzen, nur eine zufällige Eigenschaft der Katalase sein, von der im Organismus
kein Gebrauch gemacht wird. Nun aber anzunehmen, daß dieses sehr reaktionsfähige und so allgemein
verbreitete System im Organismus überhaupt ohne Bedeutung sei, würden wir für durchaus verfehlt
halten. Es kann ja dort eine Unmenge uns vorläufig unbekannter Superoxyde geben, mit denen es
reagieren kann. Es scheint uns vielmehr diese „Katalase“ in vieler Beziehung gerade das Prototyp
eines „Ferments“ zu sein. Einmal ist seine leichte Beeinflußbarkeit durch Säure und Alkali für den
Organismus vom höchsten Werte. Durch die Produktion minimaler Mengen von H- oder OH-
Jonen kann eine Zelle die Katalasereaktion verlangsamen, beschleunigen oder ganz zum Stillstand
bringen, alles in reversibler Weise. Ferner ist der Einfluß des Reaktionsproduktes von höchster Bedeutung.
Wie bei der H202Zersetzung, so könnte ja auch im Organismus bei der Reaktion Sauerstoff
entstehen und die Reaktion lähmen. Durch anderweitige Verwendung dieses (oder evtl. eines
anderen) Reaktionsproduktes würde dann der Prozeß wieder in Gang gebracht. Es erweist sich also
nach diesen Vorstellungen die Katalasereaktion in vorzüglicher Weise geeignet zur Beteiligung an
den komplizierten, kettenartig ineinander greifenden Prozessen, wie wir sie uns im Organismus
ablaufend vorstellen.
Es würde damit die messende Verfolgung der Fähigkeit von Gewebsextrakten, H202 zu
zersetzen, keineswegs- an Bedeutung verlieren, sie würde uns vielmehr als Indikator dienen für die
Reaktionsfähigkeit der betreffenden Gewebe bei bestimmten Stoffwechselvorgängen, wenn sie uns
natürlich auch keine Sicherheit gibt, daß die Vorgänge im lebenden Organismus, wirklich in gleicher
Weise verlaufen, da wir z. B. über die Konzentrationsverhältnisse der einzelnen Stoffe in der Zelle gar
kein Urteil haben. Die im ersten Teil dieser Arbeit mitgeteilten Tatsachen zeigen, daß in der Intensität
der Reaktion zwischen Gewebsextrakten verschiedener Herkunft und verschiedener Entwicklungsstadien
gesetzmäßig definierbare Unterschiede bestehen, deren genauere Untersuchung
zweifellos sehr lohnend ist.
Somit wird durch diese Überlegungen die „Katalase“ in ihrer biologischen Bedeutung durchaus
nicht entwertet, wir erblicken vielmehr in den Angriffspunkten, die sie der Analyse bietet, einen aussichtsvollen
Weg, tiefer in die komplizierten Probleme der Fermentreaktionen einzudringen.