Ich konnte nun aber niemals sehen, obwohl ich nach der Sc o u r f i e l d s e h e n Methode1)
und in Quittenschleim viele Tiere darauf hin untersuchte, daß die Ruder a ls Ganzes in den genannten
„verkehrten“ Richtungen bewegt werden. Es zeigt sich vielmehr, daß die Antennen als
Ganzes (also zumal ihr Stammglied) stets in der oben als typisch bezeichneten Richtung bewegt
werden, daß aber die S t e l l u n g und Wi r k u n g d e r b e i d e n A u ß e n ä s t e e i n e
v a r i a b l e i st .
In der typischen Haltung und wenn beide Äste gleich straff gespannt sind (Fig. 17 a), schlagen
die Antennen von Daphnia dorsalwärts nach hinten, bewirken also eine Bewegung des Kopfes ventral-
Fig. 17. S t e l l u n g d e r R u d e r a n t e n n e n v o n D a p h n i a w ä h r e n d d e r S c h l a g p a u s e n .
a) (D . longispina) von oben gesehen, v Ventralruder, d und dx Haltung des Dorsalruders bei zwei lebend in dieser Körperstellung
festgehaltenen Tieren. (Zeichenapparat.)
b) Ruhehaltung der Ruder v on vorn gesehen (Hyalodaphnia). Nach einem lebend in dieser Körperstellung festgehaltenen Tier
. (Zeichenapparat.)
wärts nach vorn (Fig. 15II). We nn a b e r de r d o r s a l e Au ß e n a s t durch Entspannung
seiner Muskeln s c h l a f f g e h a l t e n wi rd, s o. daß h a u p t s ä c h l i c h d a s V e n t r a l -
r u d e r wi rkt , so drängen die Antennen das Wasser mehr ventralwärts nach hinten, die Vorbewegung
des Vorderendes ist also mehr dorsalwärts nach vorn gerichtet. -— Neben der Entspannung
der Ruderteile spielt auch ihre Stellung eine Rolle, die aber weniger wichtig als jene zu sein scheint.
Die Richtigkeit meiner Beobachtung konnte durch einfache Experimente an Daphnien bestätigt
werden. Ich amputierte2) nämlich entweder die beiden Ventraläste oder die beiden Dorsaläste
und fand im ersteren Falle, daß die Tiere nur noch vornüber rollen konnten (durch Wirkung
der Dorsalruder allein), während sie im zweiten Falle von den unkompensierten Ventralrudern'
hintenüber gerollt wurden.
Nun erst verstand ich, wie denn eigentlich alle die verschiedenen Richtungen des Vortriebs
und die plötzlichen Wendungen zustande kommen, die man zumal dann bei Daphnien und Bos-
minen beobachten kann, wenn sie in Aquarien durch Lichtreize irritiert werden.
3) Fixierung des Rückens an einer Nadel m it Siegellack, D a m a r h a r z oder Kanadabaisara.
2) Vergl. Anm. S. 487.
Die Tiere k ö n n e n sowohl vornüber als hintenüber in beliebiger Richtung schwimmen,
weil sie nicht, wie man bisher annahm, nur zwei „Ruder“ haben, die im Ganzen bewegt werden —
sondern in Wirklichkeit über v i-er Ruder verfügen, deren jedes seine Spannung und Stellung und
damit seine relative Wirkungsweise momentan ändern kann.
Die Spannung und Erschlaffung, zugleich auch die Stellung der einzelnen Antennenglieder,
wird durch besondere Muskeln besorgt, deren Innervierung mit der des oben beschriebenen Augenmuskelapparates
im Zentrum verbunden ist. Und zwar werden die Dorsalruder, wie wir
die beiden dorsalen Antennenäste nennen können, gespannt (oder die Ven tralru d er im
Vergleich zu ihnen erschlafft), wenn die ventralen Augensektoren verdunkelt,
die Senker des Auges alsö kont rahiert werden. Umgekehrt bewirkt das Heben des Auges
eine Verstärkung des Ventralruders und dadurch ein Heben des Kopfes.
Während des ruhigen Vorwärtsschwimmens, das uns hauptsächlich interessiert, bewirkt diese
Regulierung des Ruderschlags nicht eine völlige Vertauschung der Schlagrichtungen von Daphnia
einerseits, Bosmina und Chydorus anderseits. Vielmehr ist die gewöhnliche Schlagrichtung von
Daphnia stets dorsal gerichtet, wird aber durch Oberlicht von genügender Intensität m e h r dorsal
gelenkt, als sie im Dunkeln oder sehr schwachem Licht ist. Und der Ruderschlag von Bosmina erfolgt
stets ventralwärts, ist aber nach dem gleichen Lichtreiz w e n i g e r ventral gerichtet als sonst.
Wir erhalten für Daphnia — um das Resultat dieses und des vorigen Abschnittes zusammenzufassen
— folgende Reaktionskette für das normale Schwimmen des Tieres im belichteten Wasser:
1. „Normalstellung“ (der Gleichgewichtslage des Körpers sich nähernd, wie Figur 14a):
ventrale Augenmuskeln infolge Verdunkelung der ventralen Augensektoren kontrahiert; D o r s a l r
u d e r v e r s t ä r k t .
2. Infolgedessen Senkung des Kopfes (beim Vorstoß); ventrale Augenmuskeln entspannt.
3. Schwerkraft senkt in der Schlagpause den Rumpf und hebt den Kopf; dadurch stärkere
Verdunkelung der ventralen Augenteile: Dorsalruder v e rstä rk t.
Für Bosmina können wir eine solche Zerlegung der Vorgänge noch nicht vornehmen, weil hier
weder durch Schwerkraft noch durch Änderung der Bewegungsrichtung die Senkung des Kopfes geschieht,
die schon während jedes kopfhebenden Vorstoßes sich bemerklich macht. (Vergl. S. 502p.)
5. Richtungsorgane (Stabilisierungs- und Steuerflächen).
Von den Faktoren der Bewegungsrichtung haben wir bisher die S c hwe r k r a f t und die
von Lichtreizen regulierte E i g e n b e w e g u n g kennen gelernt, wobei wir der Übersichtlichkeit'
wegen von der Schwerkraft nur die wichtigere, a c h s e n d r e h e n d e Wirkung betrachtet haben.
Daneben zieht die Gravitation auch den ganzen Körper herab, sowohl während der Bewegung als
auch besonders in den Schlagpausen. Letztere spielen bei Bosmina und Chydorus keine Rolle, wohl
aber, wie wir später sehen werden, bei Daphnia. Während der Vorwärtsbewegung macht sich die Sinkwirkung
der Gravitation dadurch geltend, daß die Tiere nicht genau in der Richtung ihrer Eigenbewegung
vorwärts kommen, sondern von dieser Richtung stets etwas nach unten abweichen. Die
resultierende Richtung stellt den Vo r t r i e b dar, in dieser Richtung drückt der Körper auf das
zu verdrängende Wasser und empfängt dessen Gegendruck.
Man pflegt nun seit S c o u r f i e l d s Analyse der Daphnienbewegung die Schwimmrichtung
der Cladoceren als Resultante der Eigenbewegung und Schwerkraft aufzufassen. Daß diese Erkenntnis
noch der Ergänzung bedarf, ist vielleicht an Chydorus und denBosminen am einfachsten klar zu machen.