der jeweiligen Turgeszenz der Helmhypodermis ablesen kann (Fig. 38). leb füge hinzu, daß auch
an der Turgeszenz der weichhäutigen Abdominalfortsätze, welche den Brutraum abschließen, ferner
an der Bindegewebswandung der Augenkapsel (Fig. 12) .diese Veränderungen konstatiert werden
können. Endlich dadurch, daß man mit Hilfe einer Zuckerlösung bestimmt, welcher osmotische
Außendruck notwendig ist, damit das Abdomen eben zu schrumpfen beginnt (vergl. Anm. S. 531).
Bei Steigerung der Energiezufuhr (Ernährung) kann nun auf zweierlei Weise eine hypernormale1)
Verlängerung von irgendwelchen Körperfortsätzen als Blastovariante zustande kommen. Entweder
steigt der Blutdruck über das vorher für den Biotypus mögliche Höchstmaß, indem die
Reaktionskonstanten der Blutbildung sich ändern. Dann kann eine hypernormale Dehnung der vom
Blutdruck in ihrer Länge abhängigen Organe die Folge sein. Oder unter dem Einfluß des bloß maximalen
(normgemäßen) Blutdrucks und der gleichzeitigen optimalen Ernährung der Hypodermis-
zellen können Varianten der Fortsatz-Längen auftreten durch hypernormale Vermehrung der Zellengröße,
Zeilenzahl oder Zellenelastizität in der Hypodermis. Über 'diese Einzelvorgänge steht die Entscheidung
noch aus. J e d e n f a l l s a b e r wi r k t v e rme h r t e M i l i e u e n e r g i e an
u n d für s i ch wa h l l o s a uf alle von B l u t d r u c k u n d B l u t e r n ä h r u n g
abhängigen Organlängen steigernd ein. Dieser Faktor allein würde es daher wohl erklären
können, wenn al l e von ihm abhängigen Organe gesteigert würden. Aber er allein erklärt keinesfalls
die disproport ionale Verlängerung einzelner Fortsätze der Schale und des Kopfes.
Auch die Tatsache, daß manchmal normgemäß mit einer Milieusteigerung das Gegenteil des
Üblichen verbunden sein kann, nämlich die sommerliche Ve r k ü r z u n g der ersten Antennen
von Bosmina longirostris und B. coregoni longispina (Fig. 8), der Mucronen von B. coregoni oder der
Fortsätze von Geratium, zeigt, daß die Beziehungen unmöglich so einfache sein können.
Soviel aber scheint mir jetzt für mein Material gewiß zu sein: Milieusteigerung kann auch
erbliche Hypertrophie aller vom Quantum der zugeführten Energie abhängigen Organe bewirken,
indem sowohl die im somatischen Substrat (determinierend) als die im Keimplasma (gen-assimilierend)
wirksamen Enzyme mit ihren Reaktionskonstanten verändert werden. Ich glaube damit wenigstens
für die vom Blutdruck in ihrer Länge abhängigen Körperfortsätze eine vorläufig befriedigende
Erklärung der erblichen Plusvarianten gefunden zu haben. —
Nun bestehen aber bekanntlich die Artänderungen bei Cladoceren keineswegs darin, daß die
Ausbildung aller möglichen Organe gesteigert, daß also der ganze Organismus hypertrophisch wird,
sondern es werden e inz e lne Körperfortsätze verlängert (andere dagegen verkürzt) und zwar im
Einklang mit bestimmten Erfordernissen des Milieus und ihrer Funktion. Für diese „Anp
a s s u n g e n “ liefert die Milieuänderung weiter nichts als Ma t e r i a l , nämlich alle möglichen
Blastovarianten, in unserm Falle Plusvarianten.
So ist also der Anteil der direkten Milieu Wirkung an der Artänderung unserer Tiere im
Prinzip ein sehr wesentlicher: Hervorrufung von Konstantenänderungen; in der Praxis der Transmutation
aber ist dieser Anteil bescheiden, da vom Milieu allein nur allseitige, proportionale
Hypertrophie bewirkt werden kann, die an sich ebensogut zu lebensunfähigen wie zu zweckmäßig ’
veränderten Geschöpfen führen könnte. — Es muß noch Zweierlei dazukommen, wenn wir die
e i n s e i t i g e n (disproportionalen) Fortsätze, welche für gewisse pelagische Cladoceren so charakteristisch
sind, verstehen sollen.
*) „normal“ bedeutet hier natürlich - n ic h t : mittelwertig, sondern: normgemäß, umfaßt also auch die der Reaktions-
norm entsprechenden Plus- und Minusvarianten.
B. Die Bedeutung der Selektion. Der Nutzwert einiger Anfänge und Fortbildungs-Etappen
neuer Merkmale.
Je länger ich mich experimentell mit den Artbildungsfaktoren bei Cladoceren beschäftige,
um so mehr kehre ich zu der alten, heute noch vielfach diskreditierten Anschauung zurück, daß
der eigentlich schöpferische, d. h. neuartige Organe und Merkmale herausmodellierende und
steigernde Faktor hauptsächlich die Selektion ist. Daneben konnte ich als den dritten wichtigen
Faktor eine d i s p r o p o r t i o n a l e L a b i l i t ä t einzelner Körperregionen nachweisen
(Abschnitt 0).
Von sekundärer aber n ich t unbeträchtlicher Bedeutung is t die I s o l a t i o n , sowohl die örtliche: in getrennten S ee becken,
als die physiologische: durch fortgesetzte Parthenogenese. —
Eine recht geringe, positive Bedeutung sche int endlich der Bastardierung zuzukommen, die bei den Cladoceren
sicherlich v ie l weniger in der Richtung einer A r t ä n d e r u n g als in der einer A u s g l e i c h u n g der Gegensätze wirksam
ist. Ich habe 1911/1912 wieder zahlreiche Kreuzungen v on lang- und kurzköpfigen Rassen v on Hyalodaphnien ausgeführt
(Prederiksborg X Leipzig und Fr. X Borsdorf). Das Resultat waren wieder i n t e r m e d i ä r e Formen, die auch,
wie nicht anders zu erwarten, in der parthenogenetischen Nachzucht intermediär blieben.
Alle genannten Faktoren a u ß e r de r S e l e k t i o n können nun zwar ein — auch erbliches
—- V e r s e h i e d e n s e i n der Cladoceren-Linien bewirken oder begünstigen, aber niemals
die Ausbildung und Erhaltung jener stets z w ec k mä ß i g e n Formänderungen erklären, die bald
eine Verlängerung, bald eine Verkürzung irgend eines Körperteils darstellen, bald einen ganz
neuen Fortsatz schaffen, bald einen ändern zum Verschwinden bringen. Ein Durchblättern der
ersten Seiten dieser Arbeit (Fig. 1—12) und ein Überlegen des stets nachweisbaren Nutzwertes all
dieser Gebilde sollte, meine ich, Jeden überzeugen, daß hier weder direkte Milieuwirkung, noch
„Kombination“, noch richtunglose Mutation zur Erklärung ausreichen — daß wir aber auch anderseits
keinerlei metaphysischen oder pseudopsychischen Vervollkommnungs- und „Zweckmäßigkeitstendenzen“
heranzuziehen brauchen.
Vor solcher Bankerotterklärung kausaler Naturforschung bewahrt uns im vorliegenden Fall das
S e l e k t i o n s p r i n z i p (das aus nur Verschiedenartigem das Zweckmäßige herausmodelliert) in
besonders unzweifelhafter Weise, denn die beiden Hauptschwierigkeiten, die sonst dessen Annahme
entgegenzustehen pflegen, lassen sich für die Entstehung der von uns untersuchten „pelagischen Fortsätze“
als nicht vorhanden erweisen. Diese beiden Schwierigkeiten sind bekanntlich:
1. Herkunft der als Material nötigen Blastovarianten;
2. Nutzwert („Selektionswert“) dieser Anfangsvarianten und der weiteren kleinen, durch
Blastovariation gegebenen Merkmaletappen.
ad 1: Die alte Selektionslehre erhielt den schwersten Stoß durch den von J o h a n n s e n
glänzend geführten Nachweis, daß durch Auslese der regelmäßig vom Milieu bedingten Reaktionsextreme
(„fluktuierende“ Variation) an sich keinerlei Artänderung erzielt werden kann.
Ich habe bereits betont, daß ich diese Entdeckung J o h a n n s e n s vollauf bestätigen konnte,
daß aber neben den normgemäßen Reaktionsextremen, deren Auslese wirkungslos ist, noch kleine
„ultranormale“ Abweichungen, K o n s t a n t e n ä n d e r u n g e n Vorkommen können, die besonders
im Gefolge von Milieusteigerungen konstatiert wurden. Es wäre irreführend, für diese häufigen,
kleinen, mit Milieusteigerung zusammenhängenden, durchaus transgressiven, bestimmt gerichteten
B l a s t o v a r i a t i o n e n den Ausdruck „Mutation“ anzuwenden, der ursprünglich von alledem