Hier ist es aber dringend nötig, auf das biologische Verhältnis zwischen der Phorocyte und der
ihr aufsitzenden Larve der Cunina parasitica wenigstens mit ein paar Worten einzugehen.
Schon im Vorjahre war ich geneigt, die Ausscheidung chromatischer Körnchen (Chromidien?)
aus dem Kern als eine Hungererscheinung aufzufassen. An diesem Standpunkt möchte ich auch
jetzt festhalten, da mir in diesem Jahr der Nachweis gelang, daß sich der Sekretionsprozeß chromatischen
Kernmaterials ausnahmslos bereits an den Phorocvten derjenigen Larven der C. parasitica
bemerkbar macht, welche sich noch in der Gallerte des Wirtstieres befinden. Da sich solche Larven
gleichwohl recht lebhaft entwickeln, wüßte ich wenigstens nicht, aus welcher Quelle sie sonst die nötige
Nahrung beziehen sollten, wenn nicht aus ihrer Nähr- und Bewegungszelle (Phorocyte).
Ich nehme infolgedessen an, daß die Sekretion chromatischen Kernmaterials und dieses selbst
(teilweise!) der Ernährung der der Phorocyte aufsitzenden Larve dient.
Mag dem nun im einzelnen sein, wie ihm wolle. Auf jeden Fall wird aber durch die tatsächlichen
Vorgänge eine Konzentrations- und damit eine Druckänderung im Kernraum geschaffen. Trotzdem
bleibt die Kernmembran im großen und ganzen gleichmäßig straff gespannt. Da nun die Konstanz
der Membranspannung eine Konstanz der Differenz von Außen- und Binnendruck voraussetzt, letzterer
sich aber wie gesagt ändert, so muß eine Druckausgleichung stattfinden und wir gehen wohl nicht
fehl in der Annahme, daß das Gleichgewicht durch eine D i f f u s i o n von Was s e r in den
K e r n r a um hergestellt wird. Diese würde also d ie u n m i t t e l b a r e F ol g e d e r p r i m
ä r e n S e k r e t i o n s e r s c h e i n u n g e n in u n s e r e n P h o r o c y t e n sein und da
wir bereits festgestellt haben, daß m i t d i e s e n die Au f s p a l t u n g des b a s o p h i l e n
P a r a n u c l e i n -K om p l e x e s c o i n c i d i e r t , so wäre in diesem Sinne eine h y d r o l
y t i s c h e S p a l t u n g zu vermuten.
Die ausgefällte1) Nucleolarsubstanz hat nun die bemerkenswerte Eigenschaft, durch Aufnahme
von Wasser ihr Volumen zu vergrößern. Dabei handelt es sich keineswegs etwa um eine
periphere Quellungserscheinung; denn diese würde sich in einem färberisch differenten Verhalten
der peripheren und zentralen Zone zu erkennen geben. Man hat vielmehr den Eindruck, als ob sich
der Plastinköjrper wie eine Pfeffer’sche Zelle mit einer semipermeablen Membran verhielte. Somit
würde das Wachstum eines Plastinkörpers in einer Ausgleichung osmotischer Druckdifferenzen
begründet sein. Der Schließlich erreichte Gleichgewichtszustand wäre aber dem status quö ante,
der zur Entwicklung des 1. Plastinkörpers führte, zu vergleichen und müßte — soweit hydrolytisch
spaltbares Material vorhanden — ganz analog zur Entwicklung eines zweiten kleineren Plastinkörpers
führen u. s. f.
Es ist leicht einzusehen, wie sich in der angedeuteten Weise so wechselvolle und rätselhafte
Erscheinungen, wie es Anisochronie, zentrifugaler Wachstumsdruck und die Volumen-Unterschiede
der einzelnen Plastinkörper sind, verhältnismäßig einfach aus gleichen Motiven erklären; und dies
Moment kann vielleicht zugunsten der vorgetragenen Auffassung verwendet werden, zumal die nun
zu beschreibenden degenerativen Veränderungen der chromatischen Substanz im Phorocytenkern
als notwendige Konsequenz dieser Auffassung erscheinen.
Über die Mechanik der gen. Prozesse, die wie alle anderen degenerativen Erscheinungen
>) Es muß, auch h ier wieder darauf hingewiesen werden, daß die chemischen Umsetzungen, die w ir aus dem Farbenumschlag
in unseren Kempräparaten erschließen, nur ein Symbol für die tatsächlichen Vorgänge im lebenden Objekt sind. Daher darf mit
dem Ausdruck „Ausfällung“ nicht etwa d ie Vorstellung verbunden werden, daß die ausgefällten Körper (Chromatin, Plastin) nunmehr
physiologisch to t seren, oder ähnlich wie ausgefällte anorganische Substanzen nur noch bei Konzentrationsänderungen innerhalb
der Flüssigkeit, aus der sie ausgeschieden wurden, wieder in Aktion treten könnten.
bei unseren Phorocytenkernen ausnahmslos an der Peripherie beginnen, habe ich mich in meiner
früheren Arbeit wie folgt ausgesprochen:
„Man könnte sich vielleicht vorstellen, daß unter dem zentrifugal gerichteten Strömungsdruck
(= Wachstumsdruck der Plastinkörper) das Nucleoplasma an der Peripherie des Kerns eine Verdichtung
erfährt, da andererseits die Kernmembran1) diesem Drucke nicht ausweichen kann, weil
diesem Bestreben die zähe Konsistenz des Phorocytenplasmas entgegenwirkt.“ (Vgl. hierzu die
Kopien der Textfigg. 8 und 9 meiner früheren Arbeit S. 244, Textfigg. 33, 34.)
I-Iier m ö ch te ich e in scha lten, d a ß u n s d a s V orkom m en d eg en e rie rte r K e rn su b s tan z im Ke rn in n e rn (1911,1. c. S. 244. Anm.
als Schlieren b e z e ichne t), welche s ich fä rbe risch u n d au ch o p tis c h g e n a u wie d ie p e rip h e r v e rd ic h te te n Ke rn sch ich ten v e rh ä lt u n d
d a h e r w ohl a u ch a u f p rinz ipie ll gleiche Weise e n ts te h t, zu d e r A n n ahm e zwingt, d aß je d e r d e r P la s tin k ö rp e r se in eigenes S tröm u n g s z
en trum b e s itz t (vgl. T extfig. 32 u n d h . 1. T afel X X X I I I , Fig. 23).
„Die Verdichtung dieser Nucleoplasmateile (hervorgerufen durch die besprochenen Ausbreitungserscheinungen
der Plastinkörper) könnte nun wiederum die erste Voraussetzung sein für
die eigentümliche Degeneration einzelner Abschnitte der oberflächlichen Kernschichten, wie wir sie
an Kernen älterer Phorocyten ausnahmslos beobachten.“
Hand in H and m it der mechanischen Verdichtung greift nämlich eine chemische Dekonstitution
Platz, derzufolge die ursprünglich feinkörnige, chromatische Masse bei Anwendung eines Methyl-
grün-Säurefuchsin- oder Hämatoxylin-Säurefuchsin-
gemisches sich nicht mehr grün, bezw. blau färbt,
sondern violett bezw. bei fortschreitender E ntartung
dunkelweinrot (cf. die Anm. zur Erklärung von
Figur 22, Tafel XXXIII).
Im Vorjahr glaubte ich, daß die beschriebene
Degeneration sich auf einzelne Partien der Kernoberfläche
beschränkt. Dies war ein Irrtum, der dadurch
hervorgerufen wurde, daß dieser Prozeß
gradatim von einem Pol zum ändern fortschreitet,
so daß Phorocyten-Kerne jüngerer Entwicklungsstadien
Textflgur 34.
[Cerne. (Schematisch.)
ükieden weit degenerierte!
seigt die Schnittrichtunj
p = Plastinkörper.
der Cunina parasitica häufig an einem Pol von einer Kappe aus entarteter Kernsubstanz
(cf. Textfigur 34 und Tafel XXXIII, Fig. 18; es handelt sich hier um einen Flachschnitt) bedeckt
érscheinen, während am gegenüberliegenden Pol (im extremsten Fall) die typische Sonderung von
Nuclein und Paranuclein kaum eingesetzt hat.
Dies i s t jedenfa lls eine s eh r in te re s s an te E rsch e in u n g , d e ren Ursa che m ir n ic h t ganz k la r geworden ist. Sie t r i t t a u ch in d en
üb rig en degen e ra tiv en Vorgängen, die z u r to ta le n Ze rstö ru n g d e s Ke rns führen, d eu tlich zutage.
Gegen Ende dieser speziellen Entartung des Kerns erscheint dieser — wie ich mich an Schnittserien
durch Phorocyten mittlerer Knospenähren überzeugen konnte — von einer Art Membran
umgeben, die homogen und etwas durchscheinend ist, die oben erwähnte Farbenreaktion zeigt und
deren Breite sehr wechselt. (Dies liegt in der Natur der Sache und richtet sich nach dem lokal wechselnden
Verbrauch chromatischer Kernsubstanz) cf. Tafel XXXIII, Figg. 22—26.
Auf diesem Stadium ist der gesamte Kern eigentlich nichts anderes mehr als einePa r a n u c l e in k
u g e l m i t e in e r K a p s e l a u s d e g e n e r i e r t e r c h r o m a t i s c h e r S u b s t a n z (Textfigur 34).
*) E ine „ e c h te “ Ke rnm em b ran ve rm ochte ich a lle rdings be i unse ren P h o ro cy ten k e rn en nie m it S ich e rh e it nachzuweisen.
Meine B ild e r en tsp ra ch en e igentlich m e h r d en von P f i t z n e r (1880), R e t z i u s (1881), F l e m m i n g (1876, ’77, ’80)
gegebenen Da rste llu n g en . Möglich also, d aß sie unse rem e n ta r te te n Ke rn fehlt. G en e ra lisie rt m ö ch te ich a b e r diese E rfa h ru n g
n ic h t wissen. In te r e s s a n t is t übrigens, d a ß au ch P i a n e s e (1896, S. 132) a n d en K e rnen s e in e r Geschwulstzellen vergeblich
n a c h e ine r e chten Membran suchte.