nämlich sonst ihre Bedeutung gegenüber jenen beiden Faktoren und deren f o r tw ä h r e n d e n
Än d e r u n g e n zu gering ist, um als a u s s c h l a g g e b e n d betrachtet zu werden.
Es ist daher vor allem die phyletische Entstehung solcher Fortsätze, die wir uns auf Grund
dieses Nutzens kaum vorstellen können, oder wenigstens nur dann, wenn wir sehr große Variations-
Sprünge annehmen, deren Annahme aber hier durch die experimentellen Erfahrungen1) widerlegt wird.
3. Auch die bisher als Hauptargument für die „Schwebe“-Funktion betrachtete Temp
o r a l v a r i a t i o n von Hyalodaphnia spricht nicht durchaus für eine solche Deutung: die Helme
werden zwar im Sommer länger, aber das beweist noch nicht die postulierte Funktion, zumal da die
Köpfe im oft besonders warmen Wasser des Spätsommers (22° C. im September) erheblich kürzer
werden. Dem entsprechen die experimentellen Erfahrungen: wir können im warmen Wasser niedrige
Helme und im kalten Wasser hohe Helme bei diesen Tieren erzielen, je nach der Intensität der Assimilation,
die wir in den Tieren verursachen (Wo l t e r e c k 1909). Doch wurde auch damit, wie
(Sommer)
wir im IV. Kapitel sehen werden, nur ein Hilfsfaktor
erkannt.
4. Besonders bedenklich machten mich einige
—unpublizierte—Versuche mit der kleinen Bosmina
longirostris und Bosmina (coregoni) longispina. Als
Schwebfortsätze der Bosminiden lernten wir bereits
die als „Rüssel“ oder besser „Hörner“ zu bezeichnenden
Vorderantennen kennen, die bei den übrigen
pelagischen Cladoceren mehr oder wemger rudimentäre,
kurze Anhänge oder Höcker am Kopfe bilden,
hier aber als lange, meist gebogene und äußerst
variable starre Fortsätze entwickelt sind. Nur bei
den (relativ seltenen) <J<? sind sie beweglich mit dem
Kopfe verbunden.
Nun ist bekannt, daß diese kleinen Bos-
minen mancherorts im Sommer kurze, im Winter
lange „Schwebefortsätze“ auf weisen (Fig. 8), also
eine der Schwebetheorie strikt widersprechende
Tem p o r a l v a r i a t i o n 2) besitzen; meine Experimente
(1907 und 1910) bestätigen dieses Verhalten.
Wenn man solche Bosminen aus etwa 12°
Wasserwärme in 22° C. bringt und sie hier reichlich
(Winter) b (Winter)
Fig. 8. Temporal Variation \<
nach W a g 1 e r) und Bosmina coregoni longispina (b, nach
R ü h e ) - Im S o m m e r s i n d d i e H ö r n e r v e r k ü r z t .
Im Winter haben sie normale (ursprüngliche) Länge.
ernährt, so verkürzen sich ihre Antennen ganz auffällig, um annähernd 50 %.
Eine andere Reihe von Bosminen, B. coregoni gibbera etc., in vielen verschiedenen Lokalrassen,
zeigt das entgegengesetzte Verhalten; sie verlängert im Sommer ihre Antennen um das Mehrfache.
') J o h a n n s e n (1911) verwertet meine Angabe, daß spruhgartige Rostrum-Änderungen bei .
lern er sagt, daß demnach auch bei Daphnia M u t a t i o n e n als Material der .
n ich t sehen wolle. „H ow much depends upon our mental eyesight. w h a t we se e“ . — Indessen
seitherigen Untersuchungen nur b e stä tig t was ich damals sagte, daß solche sprungartigen, hall:pathologischen
von T h a l l w i t z an einzelnen Daphnien des Moritzburger Großteichs beobachtet
wurden) keinerlei Rolle in der Artbildung dieser Tiere spielen. Übrigens vergl. Kap. IV, C.
2) Das g ilt nicht für die dänischen Seen, in welchen B. longirostris nach W e s e n b e r g -L u n d im Sommer d ie kalten
Tiefenschichten bewohnt.
Aber diese Hörner werden nur bei wenigen Formen teilweise horizontal, meist dagegen nach unten
gerichtet getragen! (Fig. 9; weitere Einzelheiten bei Rü h e 1912.)
Für diese Bosminen haben wir demnach gleich mehrere zwingende Gründe, nach einem ändern
Motiv solcher Bildungen zu suchen, da das Motiv der „Schwebanpassung“ offenbar nicht ausreicht.
Auch viele C e r a t i e n des Süßwassers zeigen im Winter längere Hörner als im Sommer, während umgekehrt d ie marinen
Ceratien nur in warmen Stromgebieten jene monströsen Verlängerungen und Verbreiterungen der Anhänge zeigen, wie sie durch
die Funde der Valdivia-Expedition bekannt geworden sind. Auch hier ist also eine e i n h e i 1 1 i c h e Erklärung der beiden
entgegengesetzten „Temperatur“ -Variationen einstweilen unmöglich.
B. Die Körperfortsätze als „Balance-Organe“ .
Nun hat schon G h u n in der eingangs erwähnten Arbeit, später W e s en b e r g (besonders
für Bosmina) und im Anschluß an ihn neuerdings Rü h e geltend gemacht, daß die Körperanhänge
als B a l a n c e o r g a n e zu erklären seien „to prevent the high body (Bosmina) from rolling over“,
wie We s e n b e r g (1908) schreibt. Demnach würden die langen Hörner dieser Tiere und ebenso
vielleicht die langen Helme und Spinae der 'Daphnien dadurch zweckmäßig (also erklärbar) sein,
daß sie V e r s c h i e b u n g e n , welche d e r S c hwe r p u n k t durch sonstige Körperumbildungen
(Som
erleidet, kompensieren, indem sie auch
ihrerseits die Lage des Schwerpunkts beeinflussen
und so die Erhaltung der ursprünglichen Gleichgewichtslage
im Wasser ermöglichen.
Die experimentelle Prüfung dieser Ansicht ergab
kurz gesagt Folgendes:
1. Amputation1) des langen Helms von D.cucidlata
bewirkt, daß die Tiere durchschnittlich eine mehr aufrechte
Haltung im Wasser einnehmen, so wie sie für die
kurzköpfigen Daphnien charakteristisch ist. Als Folge
davon sehen wir die operierten Tiere durchschnittlich
steiler aufwärts gerichtete Bahnen durchschwimmen.
Eine Gleichgewichtsstörung, die sich durch unnatürliche
Haltungen und Bewegungsrichtungen dokumentieren
müßte, tritt nach Verlust des Helmes nicht ein.2) Dieser
hat daher nicht die Funktion, die Beibehaltung der
Fig. 9. Temporalvariation von Bosmina
typischen Daphnienstellung zu ermöglichen, also eine
(nach R ü h o ) . Im S o m m e r s i n d d i e
sonstige einseitige Belastung auszubalancieren. Sondern
A n t e n n e n v e r l ä n g e r t . Im Winter haben
er hat die Funktion, jene typische Daphnienhaltung
(der helmlosen ursprünglichen Formen) in bestimmter Weise zu v e r ä n d e r n . Deshalb können
wir ihn, obwohl er die Schwerpunktslage beeinflußt, dennoch als B a 1 a n c e-Organ nicht erklären.
i Nach der Operation des Helms oder von Teilen der A ntennen tr itt zunäcli
5 Schrumpfung des Körpers und Bewegungslosigkeit der Antennen
jderhergesteilt zu sein, nachdem die verlorene Flüssigkeit
2) Man muß nur sorgfältig beachten, daß bei der Operation, die mit
men .wird, die Ruderantennen v ö llig unbeschädigt bleiben.
eine Lähmung ein, weil der Blutverlust eine
Nach ca. 10—15 Minuten pflegt
ist.
Objektträger vor