Hierbei handelt es sich nicht lim die von mir 1911 (b) als Induktion und Präinduktion beschriebenen
norm ge mäßen Änderungen, auch nicht etwa um eine erfolgreiche Selektion der nur durch
Milieueinfluß besonders langköpfigen oder besonders kurzköpfigen Tierel), sondern es wurden diejenigen
Tiere isoliert, die und deren Nachkommen bei einer bestimmten Energiezufuhr andere
Helme bildeten, als der Norm entsprach.
Ich füge sogleich hinzu, daß diese Konstantenänderungen (,,BlastoVarianten“ der Autoren)
in etwa 90 Prozent der Fälle die extrem intensiven Reaktionen der betreffenden Biotypen und
Linien, also die Relation optimales Mi l ieu/maximale Helmlänge betrafen.
Daraus geht, glaube ich, hervor, daß die Reaktionskonstanten für die ererbten Maximal leistungen
des Organismus weniger fixiert sind als diejenigen für die mittleren Leistungen (Energie-
Umsatz werte). —
Nur im Vorübergehen können wir hier die Frage behandeln, wie diese Inkonstanz der Konstanten
wohl zu erklären sei. Nur soviel darüber: die fraglichen Konstanten2) bestimmen den Grad
des determinierenden Einflusses der vererbten Gene auf die Reaktion zwischen Milieu und Substrat.
Dabei kann, entsprechend der chemischen Terminologie von Luther und Schilow das plasmatische
Substrat als „Akzeptor“, die Milieuenergie als „Aktor“, das Gen als „Induktor“ der Reaktion aufgefaßt
werden.3) Dieser Induktor muß in unserem Falle ein stoffliches Etwas sein, das im Keimplasma
übertragen und immer durch Assimilation neugebildet4) wird.
Ich habe früher (1911 aund b) im Anschluß an andere Autoren auseinandergesetzt, daß es sich
wahrscheinlich um enzymartige, katalytisch wirkende Substanzen handelt. Die Konstanten dieser
katalytischen Induktoren können nur auf den chemisch-physikalischen Konstanten (Affinität, Adsorptionsvermögen
etc.) derjenigen Stoffe beruhen, aus welchen die katalytisch wirksamen Gene zusammengesetzt
sind. Diese Zusammensetzung kennen wir hier zwar ebensowenig wie für irgend ein
typisches Enzym, aber wir wissen, daß in den fraglichen kolloiden Eiweißsubstanzen keinenfalls
einfache Verbindungen oder Lösungen vorhegen, sondern komplizierte Stoffgemenge. Und wir wissen
vor allem, daß diese Substanzen in ständiger Ve r ä n d e r u n g (Verbrauch und Assimilation) begriffen
sind, so daß es nicht merkwürdig erscheint, daß die aus mehreren und veränderlichen Komponenten
resultierende k a t a l y t i s c h e K o n s t a n t e e i ne s Gens gelegentlich Änderungen
unterworfen ist.
Die unter 1) mitgeteilte Beobachtung wird sich vielleicht einmal auf den bei vielen ändern
katalytischen Prozessen beobachteten Gang der Konstanten zurückführen lassen (A u t o k a t a l y s e ) ,
die unter 2) mitgeteilten besonderen Oszillationen der Konstanten bei maximaler Reaktionsintensität
kann man vielleicht dadurch erklären, daß die hierfür nötige o p t i m a l e Konstellation der chemischphysikalischen
Einzelfaktoren und infolgedessen die davon abhängige ma xi ma l e , spezifische
Energieleistung besonders große und deshalb deutliche Schwankungen aufweist.
Endlich ein Wort über die vermutliche Ursache der partiellen E r b l i c h k e i t solcher
Reaktionsschwankungen. Soweit diese Verschiedenheiten bereits in den Keimzellen entstehen,
*) Ich habe schon 1909 in Bestätigung der bekannten Versuche J o h a n n s e n s betont, daß solche Selektion der milieubedingten
Extreme in reinen Linien an sich erfolglos ist.
2) Milieugrad (zugeführte Energiemenge)/Helmlänge (produzierte spezifische Energiemenge) = konst.
*) D a der Ausdruck „Induktion“ in unserm Falle leider schon für die Milieuwirkung vergeben ist, verwende ich
diese Termini nicht weiter, obwohl sie die Sachlage am besten zu charakterisieren scheinen.
4) Vergl. Anm: $ S'. 546.-
müssen sie erblich sein, denn die hier vorhandenen katalytischen Substanzen haben sicherlich
neben ihrer prospektiven „somatischen Funktion“ (Determinierung = Regulierung der Milieu/Substrat
Reaktionen) eine zweite Funktion,. die merkwürdigerweise von den modernen Vererbungsforschern
fast stets vernachlässigt wird. Wir können sie als „keimplasmatische Funktion“ bezeichnen,
sie besteht in der A s s imi l a t i o n neuer gleichartiger, latenter Gen-Substanzen.
Die erstere, determinierende Reaktion haben wir oben mit S + GK + M = R bezeichnet.
Die Gen-Assimilation können wir uns wie folgt vorstellen: G1) -f GK + M = G. M (Milieu) bedeutet
hier die Zufuhr chemischer Energie als Aktor zu den Genen, die in dieser Reaktion zugleich
als Akzeptor (in ihrer Substanz) und als Induktor (nach Maßgabe ihrer Konstanten) fungieren.
Es erhellt nun, daß die gleiche Schwankung der Gen-Zusammensetzung und Gen-Konstante, welche
verstärkte Soma-Reaktionen verursacht, auch eine entsprechend veränderte Gen-Assimilation bewirken
kann. Die so „unter optimalen Bedingungen“ entstandenen Gene variieren jedenfalls, wie
die Versuche zeigen, in ihrem Konstantenwert (Valenz, Aktivierungsenergie) häufiger nach der Plus-
Seite hin, als es sonst der Fall ist.
Nachdem wir dergestalt einige Vorfragen — Natur der Reaktionskonstanten und ihrer Träger,
Ursachen der Konstanten-Oszillationen und Ursache der Vererbung solcher Oszillationen—wenigstens
gestreift haben, können wir uns der Hauptfrage dieses Abschnitts wieder zuwenden:
We l c h e n Ant e i l h a b e n Mi l i e u ä n d e r u n g e n an de n e r b l i c h e n
F o r m ä n d e r u n g e n ?
Die Antwort ist im Vorstehenden eigentlich schon enthalten, wenigstens soweit es sich um
Milieu St e i g e r u n g e n = Vermehrung der Energiezufuhr handelt. Wir sahen ja, daß bei
optimalem Milieu erbliche Varianten und zwar vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) P 1 u s-
varianten häufiger auftreten als sonst, eine Erscheinung, die übrigens mit den Erfahrungen der
Pflanzenzüchter übereinstimmt, mindestens soweit es sich um Steigerung der Variabilität überhaupt'
handelt.
Hinreichende Milieusteigerung bewirkt also nicht nur die n o r m g e m ä ß maximale Ausbildung
der von uns untersuchten Körperfortsätze (wobei Induktion und Präinduktion, wie ich
1911b gezeigt habe, zu trennen sind), sondern sie kann darüber hinaus in bestimmten Fällen — wenn
sie nämlich auf genügend labile Anlagen einwirkt, darüber vgl. Abschnitt C — eine „ Hype r trophie“
im wörtlichen Sinne, d. li. eine Steigerung der empfänglichen Organe über die bisherige
Norm hinaus erzeugen. Damit muß notwendig eine Änderung bezw. Erwei terung derjenigen Reaktionskonstanten
verbunden sein, von welchen das Ausmaß der betreffenden Organe bestimmt wird.
Wenn nun in unserm Falle durch Milieusteigerung die Assimilationsintensität heraufgesetzt
wird, so können wir solche Plusvarianten (ultranormale Hypertrophien) bei allen denjenigen Organen
erwarten, deren stärkere oder schwächere Ausbildung von dieser Intensität abhängt, z. B. Fettkörper,
Eizahl, Muskulatur, Chitin, Zahl und Größe aller möglichen Körperzellen (also Gesamtgröße), Herzschlag,
Bewegungsenergie etc. etc., ferner in der B l u t b e s c h a f f e n h e i t . .
• Diese interessiert uns hier in erster Linie. Ich schicke voraus, daß nach den schon erwähnten
Untersuchungen von v. S c h a r f e n b e r g und mir der osmotische Druck des Daphnienbluts
variabel ist, und zwar nimmt er mit dem Ernährungszustand zu. Ich wies ja schon oben (S. 532)
darauf hin, daß man diese Schwankungen künstlich erzeugen und von Häutung zu Häutung z. B. an
1) Vgl. Anm. 1 S. 534.
Zoologie«. Heft 67.