Schon infolge dieses kleinen Experiments werden wir geneigt sein, den Hörnern die Grad-
linigkeit der Sosmwa-Bewegung zuzusckreiben, zumal nachdem wir uns überzeugt haben, daß die
Lage .des Schwerpunkts von dem Vorhandensein oder Fehlen der Hörner nicht merklich abhängt.1)
Doch kann uns der Umstand, daß Chydorus, dessen Bewegung der von Bosmina so sehr gleicht,
ohne Hö r n e r ebenfalls geradeaus schwimmt, bedenklich machen, diese Gebilde als S t e u e r-
o r g a n e zu betrachten. Also ist es nötig, näher zuzusehen. Auch die Bosminen müssen noch etwas
mehr im Einzelnen betrachtet werden. Wir werden dabei nicht nur die Ausbildung von eigentlichen
S t e u e r Organen zu prüfen haben, von Flächen also, welche in einem bestimmten Winkel zur Vortriebrichtung
stehen, sondern auch die Entwicklung von F ü h r u n g s - oder Stabilisierungsflächen,
die parallel zu dieser Richtung stehen, aber Abweichungen von ihr dadurch verhindern, daß sie in
solchem Fall sofort steuernd und zwar in die Vortriebrichtung zurücklenkend wirken.
a) Chydorus
h a t wirklich einen unserm Modell (Fig. 19) ähnlichen eiförmigen, o ft fa st kugligen Körper (daher die Artnamen „ovalis,
sphaericus, globosus“ ) den er sehr rasch und völlig geradlinig durchs Wasser treibt, obwohl die Ruderschläge deutlich ventral gerichtet
sind. Chydo'füs is t nun nicht so einfach g esta lte t wie es zunächst aussieht; vor allem interessiert uns, daß er am vorderen
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a b ; - f
Fig. 20. a) Chydorus globosus (nach L i l l j e b o r g ) m it gleichmäßig gerundetem ventralem Schalenrarid.
b) Ch. sphaericus aus dem Litoral (nach L i l l j e b o r g ) m it beginnender Ausbildung .einer ventralen
Führungsfläche für geradliniges Schwimmen.
c) Ch. sphaericus aus dem Plankton, m it verlängerten ventralen Führungsflächen und dorsaler A bflachung
der Schale. B Stoßrichtung d e s Ruderschlags, b Schwerpunkt.
Ende eine breite, dreieckige P la tte (das Rostrum nebst Stirnfläche des Kopfes) besitzt, welche durch ihre Stellung zur
Längsachse wohl geeignet ist, als S t e u e r zu wirken (Fig. 2Q). D ie Kürze des. Steuers steh t seiner Wirkung nicht im
Wege, da es erstens sehr b r e i t is t und da zweitens diese Krebse sich sehr schnell bewegen. Das is t auch nötig, um in geradlinigen
Bahnen zu schwimmen, bei langsamer Bewegung wirkt"— "ähnlich wie bei einem Motorboot - -- das Steuer nicht. Wenn
man das Vorwärtskommen durch Quittenschleim hemmt, so drehen s ich daher d iese Tiere unablässig rücklings um ihre Querachse.
Wenn wir die .Bewegung von Chydoriden aus Teichen und Seen unter der Lupe aüfmerksam betrachten, so fällt uns
noch etwas auf, wenn wir nunmehr die Formen der einzelnen Arten oder R assen vergleichen. Nur wenige Chydoriden haben von
der Seite gesehen einen gleichmäßig gerundeten Schalenumriß (Fig. 20 a). Ihre ventralen Schalenränder sind vielmehr meistens
abgeflacht, und zwar o ft d er vordere Teil parallel dem Gliedmaßenansatz — so ist es auch b ei fast allen V erwand ten dieser G attung:
diese Flächen dienen als Gleitflächen beim Kriechen oder Laufen auf einer Unterlage. Charakteristischer für Chydorus ist eine besondere
Abflachung des kaudalen Teils jedes Schalenrandes, der hier zugleich ein wenig nach innen verbreitert und mit
Borstön b e setz t ist. Diese Verbreiterungen sind der S c h w i m m r i c h t u n g p a r a l l e l und dienen als Führungsflächen dieser
Bewegung (außerdem und ursprünglich zum Anheften; bei Bosmina dagegen ausschließlich zum gradlinigen Schwimmen).
Bei Ch. sphaericus sind sie im allgemeinen nur kurz, soweit es sich um Teichformen oder im Litoral heimische Tiere handelt; bei
dem pelagischen Ch. sphaericus des Frederiksborger Schloßsees fand ich sie merklich verlängert (Fig. 20 c). Bei dieser Form
ist auch die breite Rückenfläche der Tiere 'abgeflacht und zwar beinahe parallel jenen ventralen Führungsflächen und der
Bewegungsrichtung. — D a diese überaus häufige Ar t je tz t vielerorts von der kriechenden zur schwimmenden Lebensweise
überzugeheri scheint, können wir erwarten, daß auch in ändern Gewässern die Entwicklung größerer S teuer-und F ü h r u n g s flächen
zu 1 b eobachten sein wird.
x) Betäubte Bosminen sinken vor wie nach der Amputation m it dem Rücken voran (und zwar ziemlich schnell) zu Boden.
Die Tiere k ö n n e n sowohl vornüber als hintenüber in beliebiger Richtung schwimmen,
weil sie nicht, wie man bisher annahm, nur zwei „Ruder“ haben, die im Ganzen bewegt werden —
sondern in Wirklichkeit über vi e r Ruder verfügen, deren jedes seine Spannung und Stellung und
damit seine relative Wirkungsweise momentan ändern kann.
Die Spannung und Erschlaffung, zugleich auch die Stellung der einzelnen Antennenglieder,
wird durch besondere Muskeln besorgt, deren Innervierung mit der des oben beschriebenen Augenmuskelapparates
im Zentrum verbunden ist. Und zwar werden die Dorsalruder, wie. wir
die beiden dorsalen Antennenäste nennen können, gespannt (oder die Ventralruder im
Vergleich zu ihnen erschlafft), wenn die ventralen Augensektoren verdunkelt,
die Senker des Auges also kont rahiert werden. Umgekehrt bewirkt das Heben des Auges
eine Verstärkung des Ventralruders und dadurch ein Heben des Kopfes.
Während des ruhigen Vorwärtsschwimmens, das uns hauptsächlich interessiert, bewirkt diese
Regulierung des Ruderschlags nicht eine völlige Vertauschung der Schlagrichtungen von Daphnia
einerseits, Bosmina und Chydorus anderseits. Vielmehr ist die gewöhnliche Schlagrichtung von
Daphnia stets dorsal gerichtet, wird aber durch Oberlicht von genügender Intensität me h r dorsal
gelenkt, als sie im Dunkeln oder sehr schwachem Licht ist. Und der Ruderschlag von Bosmina erfolgt
stets ventralwärts, ist aber nach dem gleichen Lichtreiz w e ni g e r ventral gerichtet als sonst.
Wir erhalten für Daphnia — um das Resultat dieses und des vorigen Abschnittes zusammenzufassen
— folgende Reaktionskette für das normale Schwimmen des Tieres im belichteten Wasser:
1. „Normalstellung“ (der Gleichgewichtslage des Körpers sich nähernd, wie Figur 14a):
ventrale Augenmuskeln infolge Verdunkelung der ventralen Augensektoren kontrahiert; Dor s al -
r u de r v e r s t ä r k t.
2. Infolgedessen Senkung des Kopfes (beim Vorstoß); ventrale Augenmuskeln entspannt.
3. Schwerkraft senkt in der Schlagpause den Rumpf und hebt den Kopf; dadurch stärkere
Verdunkelung der ventralen Augenteile: Dor sal ruder v e r s tä rk t.
Für Bosmina können wir eine solche Zerlegung der Vorgänge noch nicht vornehmen, weil hier
weder durch Schwerkraft noch durch Änderung der Bewegungsrichtung die Senkung des Kopfes geschieht,
die schon während jedes köpf hebenden Vorstoßes sich bemerklich macht. (Vergl. S. 502 p.)
5. Richtungsorgane (Stabilisierungs- und Steuerflächen).
Von den Faktoren der Bewegungsrichtung haben wir bisher die S c hwe r k r a f t und die
von Lichtreizen regulierte E i g e n b e w e g u n g kennen gelernt, wobei wir der Übersichtlichkeit
wegen von der Schwerkraft nur die wichtigere, a c h s e n d r e h e n d e Wirkung betrachtet haben.
Daneben zieht die Gravitation auch den ganzen Körper herab, sowohl während der Bewegung als
auch besonders in den Schlagpausen. Letztere spielen bei Bosmina und Chydorus keine Rolle, wohl
aber, wie wir später sehen werden, bei Daphnia. Während der Vorwärtsbewegung macht sich die Sinkwirkung
der Gravitation dadurch geltend, daß die Tiere nicht genau in der Richtung ihrer Eigenbewegung
vorwärts kommen, sondern von dieser Richtung stets etwas nach unten abweichen. Die
resultierende Richtung stellt den Vo r t r i e b dar, in dieser Richtung drückt der Körper auf das
zu verdrängende Wasser und empfängt dessen Gegendruck.
Man pflegt nun seit S c o u r f i e 1 d s Analyse der Daphnienbewegung die Schwimmrichtung
der Cladoceren als Resultante der Eigenbewegung und Schwerkraft aufzufassen. Daß diese Erkenntnis
noch der Ergänzung bedarf, ist vielleicht an Chydorus und den Bosminen am einfachsten klar zu machen.