
 
		1.  Das  Vorkommen  der  lokalisierten  Labilität  bei  Daphnia, 
 a.  I n n e r h a l b   de r   R e a k t  i o n s n 0 r m. 
 Wenn  wir  die  einzelnen  Organe  etwa  von Hyalodaphnia  und Daphnia  lonqispmagenau  in  
 ihrem Verhalten prüfenWwötiei  die Verfolgung  reiner,  parthenogenetischer  Linien  nötig  ist,  um  
 Faktorcnnrisckung und  -Spaltung  auszuschließen — dann  finden wir  neben  konstanten Merkmalen  
 einige  veränderliche.  Und  zwar lassen  diese  Organänderungen  drei  recht  verschiedene  Kategorien  
 „„tLr.hpiflf.ii  die wir als „spontane Oszillation“,  „Periodizität“ und  „Milieu-Sensibilität“ gesondert 
 besprechen  müssen.  \ 
 1.  S p o n t a n e   O s z i l l a t i o n e n .   Hierher  gehören  z.  B.  die  Zähnchen  an  jeder  beite  
 des Abdomens, die zusammen mit den Endkrallen eine Art Kamm zur Reinigung der Reusenanhänge  
 bilden.  Während nun die Endkrallen und die ihnen benachbarten distalen Zähne in Zahl und Stellung  
 konstant sind, variieren die proximalen Zähnchen ganz außerordentlich.  Nicht nur ihre Zahl, Stellung  
 und Länge wechselt von Individuum zu Individuum, sehr oft auch von der einen zur ändern Körperhälfte, 
   sondern auch ihr  Bau  ist in  charakteristischer Weise variabel.  Sie  sind  (bei Hyalodaphmä)  
 oft  gar  nicht  als  einheitliche  Chitinvorsprünge,  sondern  als  je  ein Büschel  kurzer  eng  zusammenstehender  
 Dörnchen ausgebildet, ein Umstand, der auch auf die Entstehung solcher massiverer Chitin-  
 gebilde — aus Verschmelzung primitiver Schalendornen — Licht wirft, uns hier aber vor allem deshalb  
 interessiert, weil die Leistung der zugehörigen Hypodermiszellen eine ganz labüe ist im Gegensatz  
 zu den umliegenden  Zeübezirken,  die stets  die gleichen Chitinbildungen liefern. 
 Ähnlich variabel — von Individuum zu Individuum auch des gleichen Wurfs — istdie Anlage  
 des  bei  Hyalodaphnia  rudimentären  und meistens  pigmentfreien Nebenauges,  denen  Zellen  in  der  
 verschiedensten Weise ungeordnet sein können  (vergl. die Skizze in meiner Arbeit von 1909,  S. 157). 
 2.  P e r i o d i s c h e   Va r i a t i o n .   Einige  Zellbezirke  der  Hypodermis1)  zeigen  die  
 Erscheinung der periodischen,  von innen heraus bedingten Änderung  ihrer Leistung von Generation  
 zu  Generation  nach  dem  Ephippium.  Mit  dieser  Erscheinung  pflegen  ähnliche,  unberechenbare  
 Oszillationen verbunden zu sein, wie wir  sie  eben besprochen haben.  Und zwar ist  die  periodische  
 Variation mit der spontanen Oszillation auf die gleichen Zellbezirke beschränkt. 
 So finrlpu Sich z. B. am Maxillarprozeß des zweiten Beinpaars von Hytdodaphma (Eig. 41, a, b)  
 regelmäßig zwei distale und  drei proximale Anhänge,  dazwischen aber — außer einer zarten,  ebenfalls  
 konstanten „Borste“  I  eine Reihe weiterer Anhänge,  deren Zahl  sowo hl   i n d i v i d u e l l   
 und  r e c h t s - l i n k s   al s  auch  p e r i o d i s c h   sehr  stark  variiert.  Es  sind  bei  der  ersten  
 Generation  (ex Ephippio) 3—4,  selten  5  dieser  veränderlichen Borsten vorhanden,  m  den  spateren  
 Generationen  dagegen  5 -6 ,  seltner 7.  Die Leistung  der  zugehörigen Hypodermis-Zellen steigt  und 
 sinkt  also  um ungefähr  100 %. 
 Ä h n lic h   steht  es mit dem Endopoditen  der  dritten Extremität.  Hier  sind  von  den  starren,  
 als Fangreuse dienenden Borsten die ersten sechs konstant,  während die Zahl der übrigen einerseits  
 in engen Grenzen spontan  oszilliert,  anderseits  periodisch  zwischen etwa 27 in der ersten Generation  
 und ca.  44 in den späteren Generationen schwankt.  Die entsprechenden Zahlen für das vierte Beinpaar  
 sind  22  und  35.  Die  eingreifendste Veränderung  erfolgt  zwischen  der  ersten  und  zweiten  
 Generation; rechter und  linker Endopodit sind in der Hälfte der Fälle ungleich beborstet. 
 3.  M i 1 i e  u - S e  n s i b i 1 i t ä t.  Diese Form  der Labilität —  stets mit  den unter  1  und  2  
 genannten Variationsformen verbunden — ist von uns schon früher bei Daphnia für Helm und Spina 
 i)  Ähnlich  w ie   das  auch  die  Ovarien  zeigen:  periodische  Sexualtendenz. 
 geschildert worden, deren Länge sich nach der dargebotenen Nahrung und Temperatur, genauer nach  
 dem davon abhängigen Blutdruck richtet.  Es bedarf jedesmal sorgfältiger Prüfung, um hier zu entscheiden, 
   wieviel  von  der  beobachteten  Helmlänge  etc.  auf  das Konto  dieser  und wieviel auf das  
 der  vorher  genannten Variationsart  zu  setzen  ist. 
 Hie Milieu-Sensibilität des Helms beschränkt  
 sich  nicht  auf  die  sich  entwickelnde  oder  bei  der  
 Häutung  verändernde  Hypodermis  —  hier  ist  der  
 jeweils  herrschende  Blutdruck  ausschlaggebend  —  
 sondern ich konnte sie auch für die im Ei ruhenden  
 Gene  experimentell  nachweisen,  ebenso  wie  
 die  im  Ei  ruhende  Geschlechtigkeit  der  nächsten  
 Generation  (Woltereck  1911b:  „Präinduktion“)  
 außer von der Periode auch vom Milieu abhängig ist. 
 b.  B l a s t o v a r i a n t e n . 
 Das  Vorkommen  erblicher  Varianten  wurde  
 schon bei der Besprechung  der Milieu Wirkung konstatiert. 
   Sie  betreffen  hauptsächlich  die  H e l m-  
 l änge ,   ich  erinnere  aber  daran,  daß .auch  die  
 Rostrumlänge erblichen Schwankungen unterliegt  
 (die nur in  diesem Falle sprungartig  sind:  W. 1909, 
 Fig. 10).  Ferner  gehört  die  S p i n a l ä n g e ,   die  
 Ausbildung  eines  besonderen  Sc h e i t e l z ä h n -   
 c h e n s  und die P i gme n t i e r u n g   des Nebenauges  
 zu  den  Merkmalen,  an  denen  ich  erbliche,  
 transgressive  Schwankungen  experimentell  hervorrufen  
 Fig.  41.  Maxillarfortsatz  des  zweiten  Beinpaars  von  
 Hyalodaphnia. 
 Die Zahl der proximalen und distalen Anhänge is t  konstant,  
 die der mittleren  variiert  zwischen  3  und  7  (in Fig.  41a sind  
 vier,  in  Fig.  41b  sechs  dieser Anhänge  gezeichnet,  außerdem  
 noch  eine  (kürzere)  konstante  Borste).  Nach  A r  v  i d  
 B e h n i n g ,   Intern.  Revue,  Biol.  Suppl.  IV,  1912. 
 konnte.  Darüber werde ich a.  a. O. näher  berichten,  hier  interessiert uns  nur  die Tatsache,  
 daß  diese  Blastovarianten einzelne  Zellbezirke  und  ihre  keimplasmatischen Anlagen  betrafen,  also  
 auch ihrerseits  eine  l o k a l i s i e r t e   Labilität  bekunden, 
 2.  Das Wesen  der  lokalisierten  Labilität. 
 Die überaus w ichtige Frage, welche in dieser Überschrift aufgerollt wird, können wir h ier n icht  eingehend behandeln.  Doch  
 wollen  wir  wenigstens,  zur  Ergänzung  unserer  übrigen  Betrachtungen,  die  Hauptpunkte  namhaft machen. 
 E s  fragt sich  e r sten s, wenigstens bei den  oben unter 1—3 aufgezählten Formen der „normgemäßen“ Variabilität:  w a s   ist  
 labil?  das  Substrat,  welches  von  den  Genen  determiniert  wird,  oder  die  Gene  selbst? 
 Wenn  wir  dicht  neben  konstanten  Organen  inkonstante  Bildungen  v on   ganz  gleich  aussehenden  Hypodermis-Zellen  en tstehen  
 sehen,1)  so  können wir  nichts  anderes  annehmen,  als  daß  die  Zellen  bei  ihrer  Entstehung verschiedenartig determiniert  
 sind,  derart,  daß  sich  die  determinierenden  Agentien  (Substanzen), welche wir Gene  nennen,  voneinander  unterscheiden.  Und  
 zwar  betreffen  diese  Unterschiede  nicht  nur  die  formativen Leistungen  der  einzelnen Gene,  sondern  auch  den  je tz t  von uns ins  
 Auge  gefaßten  Charakter:  Die  Gene  sind  te ils  k o n   s .t a n  t,  te ils  l a b i l   k   b e z u g   a u f   i h r e   D e  t e r m i n a t i o n s w 
 i r k  u n g .  —   Auch  die  Tatsachen  der  Präinduktion  (Woltereck  1911 b),  auf  welche  ich  bei  der  „Milieu-Sensibilität“  
 anspielte,  beweisen,  daß die Gene  (bestimmter Merkmale)  der S itz  der Labilität  sind. 
 Eine  zw e ite   Frage  lautet:  w o r i n   b e r u h t   die  Labilität  der Gene?  Wir  erinnern uns daran,  daß  die Gene,  auch  die  
 konstant wirkenden,  keineswegs  stabile Gebilde sein können,  da  sie  sich  vermehren,  also  sich  teilen,  also wachsen,  also  a s s i m i l 
 i e r e n   müssen.  J ede  Furchung,  jede  Keimzellenbildung  beweist  das.  Bei  solcher Sachlage  ist  nun  eigentlich  die  vollständig  
 konstante Wirksamkeit der  einen  Gen'e nicht verständlicher als die geringere Konstanz der anderen.  Da die jeweilige Beschaffen- 
 *)  Siehe  die  proximalen,  distalen  und  d ie  mittleren  Borsten  des Maxillarfortsatzes  Fig.  41. 
 Zoologie».  Heft  07.  6 9   .