Hilfe dieser „Hilfsgrößen“ im Sinne des H e n s e n sollen Theorems gemacht worden. Es sei erinnert
an die große Bolle der Temperatur speziell für die vertikale Verbreitung des Planktons, sei es, daß dieser
Faktor in biologischem oder in vorwiegend mechanischem Sinne als Hauptvariable der innern Keibung
des Wassers die räumliche Orientierung beeinflußt, es sei erinnert an die Theorien über den Einfluß
der c h e m i s c h e n Beschaffenheit des Mediums, z. B. seines Stickstoffgehaltes auf die Verbreitung
des Planktons, an die Bolle von Stromstauungen und kaltem Auftriebwasser für dasselbe Problem usw.
Trotzdem, wie gesagt, derartige Forschungen keineswegs neu sind, giaubt der Verfasser doch auch an
seinem Teile auf ihre besondere Wichtigkeit hinweisen zu sollen, im Gegensatz z. B. zu dem unverhältnismäßig
kleinen Nutzungskoeffizienten der zur Prüfung des H e n s e n sehen Theorems unternommenen
Untersuchungen. Es ist außerordentlich viel kostbare Kraft verschwendet worden, dieses unbeweisbare
Theorem zu beweisen oder zu widerlegen, und zweifellos ist im Banne der Anschauung von der
„annähernd gleichmäßigen Verteilung“ des Planktons eine Fülle von Beobachtungen nicht gemacht
oder nicht berichtet worden, die gerade für das Verständnis der Wirkungsweise der kausalen „Hilfsgrößen“
von größter Wichtigkeit wären. Dies gilt z. B. mit großer Sicherheit für das in vorhegender
Arbeit zu behandelnde Problem der kausalen Ursachen der S c h w a r m b i 1 d u n g des Planktons.
Am durchgreifendsten läßt sich vielleicht die Unhaltbarkeit des He n s en sehen Theorems
dartun durch die Aufstellung eines Theorems, das fast g e n au e n t g e g e n g e s e t z t zu dem
v o nH e n s e n l a u t et : Di e wa h r s c h e i n l i c h s t e Ve rb r ei t u n g de s P l a n k t o n
(im Meer, in Seen, Flüssen usw.) i s t eine u ng l e i c h f ör mi g e . Natürlich erhebt sich sofort
der Einwand, daß hier der eben getadelte Fehler selbst gemacht wird, da auch dieses Theorem weder
widerlegt noch bewiesen werden kann. Dies ist indessen keineswegs der Fall. Wenn ein Erscheinungsgebiet
vorhegt, über dessen Gesetzmäßigkeiten wir nur sehr wenig wissen, über das wir aber trotzdem
etwas aaszusagen wünschen, so erweist sich als die letzte exakt anwendbare Methode noch die
Wa h r s c h e i n l i c h k e i t s r e c h n u n g . Die Wahrscheinlichkeitsrechnung lehrt aber, daß in
dem vorhegenden Falle, bei einer unbekannten, aber jedenfalls ü b e r a u s g r o ß e n An z a h l
von F a k t o r e n , welche die Verbreitung des Plankton beeinflussen, d ie Wa h r s c h e i n l i c h k
e i t de r Ann a h m e e i n e r g l e i c h m ä ß i g e n V e r t e i l u n g p r a k t i s c h u n e n d l
i c h k l e i n i s t g e g e n ü b e r de r Zahl de r m ö g l i c h e n u n g l e i c hmä ß i g e n
V e r t e i l u n g s a r t e n . Gegenüber der unendlich großen Anzahl ungleichmäßiger Verteilungs-
möghehkeiten (darunter auch z. B. periodisch parallel oder radial geschichteter, kontinuierlich oder
diskontinuierlich dichter oder verdünnter werdender Planktonkomplexe usw.) stellt die gleichmäßige
Verteilung nur einen einzigen, im strengen Sinne des Wortes s i n g u l ä r e n Fall dar, der also ein
Minimum von Wahrscheinlichkeit besitzt. Bei der nicht übersehbar großen Anzahl von Faktoren,
welche die Verteilung beeinflussen, und deren Wirkungsweise mit Sicherheit nicht einmal gleichsinnig
usw. verläuft, ist eine Äquilibrierung dieser Faktoren mit dem Besultat einer gleichmäßigen
Verteilung ein g e n a u praktisch überhaupt nicht realisierbarer Fall. Wenn nun diesem Schluß
das Besultat entgegengehalten wird, daß tatsächlich in einigen Fällen eine „praktisch“ gleichmäßige
Verteilung des Plankton gefunden worden ist, so muß darauf erwidert werden, daß diese experimentell
festgestellte Gleichmäßigkeit eine völlig w i l l k ü r l i c h e Größe ist, insofern als sie wiederum
verschwindet, je genauer der Begriff der Gleichmäßigkeit gefaßt wird, und je genauer die Bestimmungsmethoden
sind. Ein Plankton mag z. B. innerhalb willkürlich gesetzter Fehlergrenzen in einem
größeren See gleichmäßig verteilt sein, es ist dies aber keinesfalls in jedem Kubikmeter des betreffenden
Wasserbeckens resp. der betrachteten- Schicht usw.
Der tatsächliche Nutzen dieses Gegentheorems ist nun allerdings ebenfalls ein geringfügiger,
n i c h t darum, weil der Satz nicht bewiesen oder verworfen werden kann — tatsächlich be we i s t
ja die Wahrscheinlichkeitsrechnung die Bichtigkeit desselben — sondern weil er wie viele Besultate
der Wahrscheinlichkeitslehre so allgemeine Eigenschaften des Erscheinungsgebietes betrifft, daß er
über die wirklich charakterisierenden Eigenschaften nichts aussagt. Der Satz wurde auch aufgestellt
nur darum, um einmal dem entgegengesetzten Theorem von H e n s e n zu begegnen, andrerseits
darum, weil er zweifellos der richtigere Ausgangspunkt für die Untersuchung der kausalen Faktoren
der ungleichmäßigen Verteilung des Plankton ist. Denn nun besteht die Aufgabe, aus der unendlich
großen Zahl möglicher ungleichförmiger Verteilungen Klassen oder Arten herauszusuchen, die
gl e i ch e ode r a n a l o g e U n g l e i c h f ö r m i g k e i t e n z e i g e n. Diese so definierten
Verteilungsformen sind nun die Ausgangserscheinungen, bei welchen eine kausale Analyse einzusetzen
hat.
Ei n e Gruppe solchér. ungleichförmiger Orientierungen des Plankton sind die sogen.
Schwärme, Bänke, Schichten, Produkt ionen (C. Apstein), Ansammlungen
(A. Steuer)1) usw. Näheres über ihre Definition wird im folgenden Abschnitt gesagt werden; hier
genügt, daß es sich um häufig periodisch verteilte lokale An h ä u f u n g e n des Plankton handelt.
Bezüglich der Häufigkeit ihres Auftretens usw. sei z. B. auf das zitierte Werk von A. S t e u e r (S. 594ff.)
hingewiesen. Bemerkt sei nur, daß der Verfasser das Auftreten solcher Bänke von Mikro-, Meso-
und Makroplanktön sowohl im Süß- wie im Séewasser reichlich aus eigener Erfahrung kennt, wobei
n ame n t l i c h auch k l e i n e r e Ansammlungen, z. B. Bänke von weniger als 1 m Durchmesser,
aber meist viel größerer Längenausdehnung in Betracht gezogen werden. Zweifellos würden auch
wesentlich mehr Beobachtungen sowohl über Zusammensetzung als besonders auch über Maße, Konzentration,
Abstand von ändern Schwärmen, Änderungen dieser Größen, z. B. bei der Fortbewegung
der Schwärme, Geschwindigkeit derselben usw. vorliegen, falls nicht die H e n s e n sehe Lehre gerade
das Augenmerk von diesen Erscheinungen abgelenkt hätte.
Was nun die kausalen Ursachen solcher Ansammlungen anbetrifft, so ist z. B. von C. A p s t e i n
eine sehr interessante mechanische Theorie auf gestellt worden. Bekanntlich ist die Geschwindigkeit
eines Stromes in der Mitte größer als an den Peripherien. Planktonten, die sich in einer Strömung
befinden oder in sie hineingeraten, werden an der Peripherie langsamer fortbewegt resp. durch Drehung
ihrer von der Peripherie abgewandten Seite direkt an die Peripherie getrieben werden. Es findet
somit eine passive Ansammlung des Planktons an den Grenzen des Stromgebietes statt.' Eine hiermit
verwandte Erscheinung ist die Ansammlung des Plankton an der Grenze zweier ganz oder teilweise
entgegengesetzt laufender Strömungen. Auch hier gibt es ein Grenzgebiet mit nicht oder schwach
bewegtem „tot gelaufenem“ Wasser, in welchem sich das Plankton passiv ansammeln kann (A.
S t e u e r 1. c.). Analoge Grenzgebiete treten auf bei den sog. Stromkabbelungen, bei welchen die
Ströme zwar entgegengesetzt, gleichzeitig aber aneinander vorbeifließen.
Es besteht kein Zweifel darüber, daß die genannten Faktoren wichtige Ursachen für die Bildung
von Planktonansammlungen darstellen, und in vielen Fällen die Hauptrolle bei ihrem Zustandekommen
spielen. Indessen können sie einen besonders interessanten Typus von Ansammlungen nicht verständlich
machen, nämlich die periodisch im Baume hintereinander verteilten Schwärme oder Bänke. Solche
„S t r e i f e n b i 1 d u n g e n“ speziell des Oberflächenplanktons sind aber eine um so interessantere
Erscheinung, da sie nicht nur im Meer, sondern vom Verfasser auch mehrfach in Süßwasserseen
*) Siehe das ausgezeichnete Werk dieses Autors: Planktonkunde (Leipzig und Berlin, 1910), S. 593 ff.