
Wieder sind es die SoHfugen, die uns die letztgemachte Annahme sehr wahrscheinlich
machen, da wir bei ihnen trotz der oben erwähnten Selbständigkeit der Mundöffnung, des
Vorhandenseins eines sogen. „Rostrums“ , einen ganz unzweifelhaften Gnathocoxit (Kaufortsatz)
an der 2. Extremität vorfinden, der doch gerade bei den anderen Arachniden, allein oder
gleichzeitig mit noch einem oder zwei folgenden Paaren (Opiliones, Scorpiones), wenn zwar in
mannigfacher Variation, so doch stets tätig und in unmittelbare Beziehung zur Bildung des
Mundes getreten ist. Die Kaufortsätze der Solifugen lassen k e in e e ig e n t l i c h e K ä u f lä c h e
mehr erkennen, die sie ehedem wohl sicher besessen haben, und denken wir uns nun die
Rückbildung der bereits mehr oder weniger zwecklos gewordenen Coxopodite weiter fortge*
schritten, so kommen wir schließlich zur normalen Hüfte z u r ü c k , wie sie Koenenia trägt.
Diese Betrachtung hat das Zurücktreten des We rte s des in der Mundbildung zwischen
Pedipalpen und Palpigraden obwaltenden Unterschiedes notwendig im Gefolge, und noch mehr
wird dies der Fall sein, wenn wir bedenken, daß gerade in diesem Merkmal selbst die beiden
Hauptgruppen der Pedipalpen, die Uro- und Amblypygi, sehr von einander- abweichen, ohne
daß wir deshalb berechtigt wären, auch diese Abteilungen als eigene Ordnungen aufzufassen. —
W e it wichtiger ist der Bau der Cheliceren, der bei den Palpigraden den ursprünglichen
Cheliceraten-Typus zeigt, bei den Pedipalpen dagegen dem der Araneen nahe steht. A u f den
ersten A nb lick hat es den Anschein, als wenn dieser Unterschied in der Gliederung der
Cheliceren sicher zur Ordnungsberechtigung der Palpigraden führen müßte, bei näherem Zusehen
erweist sich dieser Schluß aber keineswegs als notwendig.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die Cheliceren von Koenenia u r s p r ü n g l i c h e r
gebaut sind als die der Pedipalpen, und ihre drei Glieder entsprechen in jeder Hinsicht den
drei Chelicerengliedern der Merostomata (Limulus, Eurypterus) auf der einen, der Opihones
auf der anderen Seite, indem sie bei den Vertretern dieser Gruppen den gleichen Bau und
die gleiche Lagerung teilen; gleichwertig sind ihnen natürlich auch die dreigliedrigen Cheliceren
anderer Arachniden (Scorpiones, manche Acari). Die 2 Glieder der Cheliceren der Pedipalpen
sind den beiden Endgliedern derselben Extremität von Koenenia homolog, und die Unterschiede,
welche sie zwischen den Uro- und Amblypygen zeigen, sind von nur untergeordneter
Bedeutung im Hinblick auf den, der zwischen d i e s e n Formen und den Palpigraden in dem
fraglichen Organ besteht.
Doch schon d a s V o r k o m m e n v o n d r e i - b i s e in g l i e d r i g e n C h e l i c e r e n in n e r h
a lb d e r o h n e Z w e i f e l e i n h e i t l i c h e n O r d n u n g d e r A c a r i erw eis t die Möglichkeit,
daß auch b e i. d e n V e r t r e t e r n d e r P e d ip a l p e n die Zahl der Chelicerenglieder eine v e r s
c h i e d e n e sein k a n n . Zur Beurteilung der Tragweite dieser Differenz ist aber noch folgender
Punkt zu Rate zu ziehen: W ie es durch eine Neubearbeitung einer Reihe fossiler Arachniden
aus dem Carbon P o c o c k (54) dargetan hat, stammen die Opilionen wahrscheinlich von Ambly-
pygen - ähnlichen Formen, den Anthracomarti, ab, welche mit den heute lebenden Tarantuliden
die allgemeine Gestalt des Körpers, die Anordnung der prosomalen Extremitäten, den Besitz
n u r e in e s Gnathopodenpaares (2. Extremität), die Gliederung des Hinterleibes, namentlich
der mesösomalen Segmente, und das Fehlen eines Telsons teilten, durch die Gestaltung der
hintersten Leibesringe, die Reduktion des „Genitaloperculums“ , die bedeutende Vergrößerung
der Hüften des letzten prosomalen Beinpaares und die D r e i g l i e d r i g k e i t d e r C h e l i c e r e n
aber bereits eine Mittelstellung zwischen den Amblypygen und den heutigen Opihonen einnahmen;
die ursprüngliche Dreizahl ihrer Cheliceren hat sich dann ohne weiteres auf ihre Nachkommen,
die Opilionen, vererbt.
Diese alten Anthracomarten besaßen also, o b s c h o n sie sich als Abkömmlinge amblypygen-
ärtiger Pedipalpenahnen erweisen, d re ig lied r ig e Cheliceren, u n d 'd ie se r Umstand zwingt uns
zu der Annahme, daß den A h n e n d e r Pedipalpen gleichfalls noch die ursprüngliche Dreizahl
derselben eigen war, und daß die Abzweigung der Uro- und Amblypygi e rs t n a c h der Trennung
in Palpigradi und Pedipälpi erfolgte — wenn überhaupt die Stammesgeschichte dieser
Formen so einfach sich gestaltet hat — , jene die Zahl der Chelicerenglieder unverändert beibehielten,
diese aber deren Basalglied verloren.
L e g t man dennoch auf den Bau der Cheliceren das Hauptgewicht, so finden wieder bei
einer Abtrennung der Palpigraden andere zwischen ihnen und den Pedipalpen übereinstimmende
Organisationsmerkmale n i c h t d e n r i c h t i g e n systematischen Ausdruck.
Schließlich erzwingt das Vorkommen einer Reihe gleichartiger Zähne am Innenrande
des beweglichen Scherenfingers (Endglied) der Chelicere b e i Trithyreus w i e b e i Koenenia und
die Ausbildung eines wirklichen unbeweglichen Scherenarmes bei Trithyreus — der mit jenem
von Koenenia zwar nicht den Besitz ebénsolcher Zähne und die entolaterale La g e teilt, ihm
(zufolge seiner entoventralen L a g e und der von mir anderen Ortes (16) mitgeteilten Beweise)
aber nichts desto weniger ganz homolog ist und auch in diesem Punkte Trithyreus zu einer
Mittelform zwischen Koenenia und den Thelyphoniden macht — die ordomäßige Zugehörigkeit
der Palpigraden zu den Pedipalpen. —
Der zwischen beiden Gruppen nachgewiesene Unterschied in der Zahl der Hinterleibsringe
ist ferner garnicht geeignet, einen stichhaltigen Grund für die Ordnungsberechtigung
der ersteren abzugeben. W ir brauchen zum Vergleiche nur die gewiß einheitlichen Ordnungen
der Araneae, Opiliones und Acari heranzuziehen, uni uns davon zu überzeugen, daß die A n z
a h l d e r S e g m e n t e d e s O p i s t h o s om a in n e r h a lb e in e r O r d n u n g b e t r ä c h t l i c h
w e c h s e ln k a n n , und bedenken wir, daß bei den Araneen und den Acariñen Formen mit
wohlgegliedertem und solche mit fast ungegliedertem, kugelförmigem Hinterleib Vorkommen,
so nehmen wir an dem e in e n bei Koenenia f e h l e n d e n Segment des PedipalpenX&ifoes, dessen
Reduktionszone zudem auf die beiden vor dem „Postabdomen“ gelegenen Ringe (7. und 8)
eingeengt werden konnte, nicht den geringsten Anstoß mehr. W ie viel eher wäre man dann
berechtigt, die Amblypygen wegen des Verlustes des Schwanzfadens von den Uropygen zu
trennen und als eine eigene Ordnung zu eruieren. —
Die Bauverhältnisse der fünf postoralen Extremitätenpaare endlich beweisen weit eher
die Zusammengehörigkeit der beiden fraglichen Ordnungen als ihre gegenseitige Unabhängigkeit.
Finden wir doch übereinstimmend in beiden Gruppen, daß n u r d i e d r e i h in t e r s t e n
p r o s om a le n B e i n p a a r e d e r L o k o m o t io n d ie n e n und das 3 r E x t r em i t ä t e n p a a r d e r
T a s t f u n k t i o n a n g e p a ß t ist, außerhalb der Reihe der anderen Beinpaare lateroventral dem
Vorderleibe ansitzt und überdies eine mehr oder weniger beträchtliche sekundäre Verlängerung
und Zergliederung der distalen Glieder erfahren hat. Vermitteln bei anderen Arachniden auch
nur die drei letzten Paare die Fortbewegung, so haben wir es mit Formen (Solifuga, [manche
Acari]) zu tun, die nicht nur auf Grund ihrer völlig abweichenden Körperorganisation, sondern
auch zufolge ihrer abweichenden Beingliederung (Vorkommen der Zweigliedrigkeit des T ro chanters
und des Femur, Fehlen der Patella) für einen Vergleich außer Fra ge stehen; und