Amöbe, indem sie zur Bewegung übergeht, ihre Kugelgestalt durch tiefgreifende Verschier
bung und Strömung ihrer Plasmateile in eine oblong gestreckte, gelappte oder strahlig verzweigte,
immer aber charakteristische Eigenform verwandelt, so können auch im Plasmaleib
einer Ascariszelle aktive Umlagerungen vor sich gehen, die eine Verlängerung, Verkürzung
oder sonstige Differenzierung der isometrischen, d. h. von Haus aus kugelrunden Zellgestalt
zur Fo lge "haben. D a ß wir die kugelige Ausgangsform, die bei Amöben als rein mechanisches
Ergebnis der homogenen Oberflächenspannung g ilt, bei Ascaris bereits als eine
aktive Leistung betrachten mußten, macht keinen wesentlichen Unterschied.
' Tritt die Formwandlung einer Ascariszelle nur vorübergehend auf, wie die Streckung
und Krümmung der Zellen EM S t und P3, so ist die Vergleichbarkeit des Geschehens mit
amöboider Bewegungsweise eine unbeschränkte. Wenn aber die amöboid erreichte Spezialgestalt
sich längere Zeit — wie in der Darmanlage — oder ga r dauernd erhält, wie
bei den histologisch differenzierten Gewebezellen, kommt sehr wahrscheinlich noch ein
weiterer Faktor hinzu: zeitweilige oder dauernde G e r i n n u n g eines Teiles des plasmatischen
Wabenwerkes, so daß ein inneres elastisches Gerüst die Aufrechterhaltung der
Form garantiert. K o l t z o f f (1903) und G u rw i t s c h (1904 p. 21) haben für andere Zellen
von permanenter Spezialgestalt die Notwendigkeit innerer Stützgerüste hervorgehoben.
Wichtiger ist für uns die F ra g e nach denjenigen Ursachen, die da bewirken, daß die
aktive Spezialgestaltung der Ascariszellen — mit Ausnahme der freigewordenen Spermato-
some S allemal t y p i s c h e R i c h t u n g e n zum G e s a m t k ö r p e r innehält.. Warum verlängert
sich die Zelle EM S t v e r t i k a l , die Schwanzzelle C r a d i ä r n a c h a u ß e n , warum
nimmt die Urdarmzelle die Form einer t r a n s v e r s a l gelagerten Platte an, wie kommt es,
daß eine Bindegewebs- oder Ganglienzelle mit ihren langen und komplizierten Fortsätzen die
vorschriftsmäßigen Kontaktverhältnisse an typischen Orten zu finden vermag ? A priori
könnte der Grund jeder derartigen Richtungsbestimmung außerhalb der Zelle oder innerhalb
gelegen sein. E s läßt sich erstens denken, daß die mit der Fähigkeit anisometrischer
Selbstgestaltung ausgerüstete Zelle zu ihrer typischen Orientierung im Keim eines taktilen
oder chemischen R e i z e s aus ihrer typisch geordneten Nachbarschaft bedarf: in der Richtung
dieses Reizes produziert, sie jene inneren Ströme, die die Verlängerung, Verkürzung
oder sonstige Umgestaltung ihres Leibes zur F o lg e haben. So liefert vielleicht die B e rührungsfläche
EM S t|P 2 den Richtungsreiz für die abwärts gewendete Verlängerung der
Mittelzelle; oder die epithelialen Hautschichtzellen älterer Keime dehnen sich scheibenartig
in der Richtung des sie ringsum treffendeh Kontaktreizes ihrer Nachbarinnen, d.h. tangential.
— Andererseits besteht die Möglichkeit, daß i n n e r h a l b einer Zelle alle jene Komplikationen
vorhanden sind, durch die nicht nur die aktive Formveränderung an sich ermöglicht,
sondern auch ihre Richtung nach der typischen Vorschrift geleitet wird.
Im Lichte des ökonomischen Prinzipes stellt sich die apriorische Wahrscheinlichkeit
der einen und der anderen Hypothese wie folgt. Wenn die Richtung, in der die Formveränderung
einer Zelle vor sich geht, scharf und sichtbar in der Umgebung markiert is t,.z .B .
durch die L a ge einer zweiten Zelle, einer Kontaktfacette oder ähnlichem, wovon ein Richtungsreiz
geliefert werden könnte, während man andererseits innerhalb der sich gestaltenden
Zelle eine entsprechende Differenzierung nicht kennt und eigens fordern müßte, — dann
ist natürlich die Annahme äußerer Reizbestimmung sparsamer, d. h. wahrscheinlicher. Daß
eine junge Ganglienzelle mit ihren Fortsätzen Anschluß an weit entfernte Punkte gewinnt,
ist nicht besonders erstaunlich, sobald ihre Selbstgestaltung durch Richtungsreize von jenen
typischen Punkten aus gelenkt und zu sich hingezogen wird. Müßte sie ihre Ziele ohne
solche Hilfe von außen erreichen, so würde ein sehr erheblicher Mehraufwand an innerer
Komplikation Voraussetzung sein. Anders, wenn etwa die Richtung der äußeren Formveränderung
mit einer nachweisbar vorhandenen inneren Differenzierungsrichtung zusammenfällt
: dann wäre die Annahme einer rein internen Kausalität mindestens ebenso sparsam als
die von äußeren Richtungsreizen. Und überblicken wir jetzt die Fälle, für die eine solche
Möglichkeit bei unserer beschränkten Kenntnis der inneren Strukturen allein in Frage kommt,
d. h. die wenigen Spezialgestaltungen der ju g e n d l i c h e n Stadien, so stehen wir dem recht
bemerkenswerten Faktum gegenüber, d a ß e in e s o l c h e R i c h t u n g s g l e i c h h e i t d e r
ä u ß e r e n A n i s o m e t r i e m i t in n e r e n D i f f e r e n z i e r u n g e n n i c h t e tw a s e l t e n ,
s o n d e r n z u m e i s t , am A n f a n g d e r O n t o g e n e s e s o g a r a u s n a h m e lo s g e fu n d e n
w i rd . Gewiß läßt die vertikale Streckung der Zelle EM St die Annahme zu, daß genau von
unten, nämlich von ihrer Schwester P 2, ein Reiz zur Verlängerung in dieser Linie an sie
herangetreten sei. - A b e r indem die Mittelzelle sich so verhielt, hat sie zugleich die Richtung
ihrer eigenen, vertikal gestellten Primärachse eingehalten; und diese innere Achsenrichtung
ist, wie wir aus dem Kapitel der Spindelstellungen wissen, strukturell differenziert. Für die
Streckung der untersten Zelle selber gilt das gleiche. Nicht minder aber auch für die axialen
Verkürzungen der Blastomere E, E i und En, P*, die sämtlich mit der Richtung der von Haus
aus senkrechten, inzwischen aber horizontal gewordenen Achsenstruktur der Ventralfamilie
zusammenfallen. Wenn sich bestätigt, daß die seitlich komprimierte Spezialgestalt der versunkenen
Mesodermzellen und die quere Spangenform der Kaudalreihe aktiv hervorgebracht
werden, so steht uns, um die typische Orientierung dieser Vorgänge zu erklären, das sicher
nachgewiesene paramediane Schichtsystem der Ventralfamilie mindestens eben so wohlfeil
zu Gebote, als irgend ein äußerer Richtungsreiz.
Besonders wichtig und ökonomisch wertvoll aber ist die sich bietende Möglichkeit,
auch die typisch gerichteten K r ü m m u n g e n der Zellen EM St und P3, für die schon am normalen
Embryo äußere sichtbare Richtungspunkte, die einen Reiz entsenden könnten, kaum
aufzufinden sind, zwanglos auf nachgewiesene innere Differenzierung zurückzuführen. Wenn
die Zelle P3 im Stadium V I I I sich dorsalwärts und zwar genau in der Mittellinie emporbiegt,
so kann die richtende Ursache der die Formwandlung bedingenden inneren Plasmaströme
in jener horizontalen, v o n u n t e n n a c h o b e n d i f f e r e n z i e r t e n Schichtung, die
für die ganze Ventralfamilie, also auch P3, erwiesen ist, gelegen sein (vgl. p. 218). Diese selbe,
am achtzeiligen Embryo horizontal gelagerte Differenzierung steht im T-förmigen Stadium IV
noch aufrecht und so gegen den späteren Zustand gedreht, daß die künftige Dorsalseite
des T-Stammes an seiner einen Flanke zu suchen ist; u n d z w a r e n t s p r i c h t s i e , wie
wir kürzlich (p. 219) nachgewiesen haben, d e r j e n i g e n S e i t e n f l ä c h e , n a c h d e r d i e
S c h w e n k u n g d e s u n t e r e n P a a r e s , d. h. d ie K r ü m m u n g d e r M i t t e l z e l l e E M S t
v o n s t a t t e 11 g e h t . W ir kennen also nicht nur eine von links nach rechts durchgehende
Differenzierung der Mittelzelle, die zu quer gerichteten inneren Strömungen und seitlicher
Verbiegung den A nlaß geben könnte; sondern d i e s e D i f f e r e n z i e r u n g w ä r e g e n a u
d ie g l e i c h e , d ie a u c h d e r K r ü m m u n g d e r Z e l l e P3 z u g r u n d e l i e g t . Und offen