andererseits v o n d e r S c h a l e v ö l l i g f r e i . Und wenn hiernach für alle höheren Stadien
die Mitwirkung des Schalendruckes schon nicht mehr in Frage kommt, so kann man sich
an T-Riesen mit langgestrecktem Doppelgehäuse leicht überzeugen, daß auch im zwei- und
vierzelligen Stadium der Druck oder auch nur die Berührung der Schale für die vorschriftsmäßige
Zusammenfügung der Zellgesellschaft überflüssig ist.
Ebensowenig beruht unsere Geschehensart etwa auf dem Vorhandensein einer besonderen
dünnen, den Keim elastisch umspannenden „Dotterhaut“ , wie solche wohl anderwärts
gefunden werden. Membranen von dieser Beschaffenheit müssen über Furchen und
Einschnitte zwischen den Blastomeren hinüberspringen; davon aber sieht man bei Ascaris
mit der schärfsten Vergrößerung nichts. A uch weist ja schon die sonderbare, sperrige Gestalt
mancher jüngeren T-Riesen sehr deutlich darauf hin, daß eine den Keim zusammenziehende
elastische Grenzhaut nicht vorhanden ist.
2.
Nicht ganz so spielend leicht gelingt die Widerlegung des folgenden, aus einer Reihe
von Gründen wahrhaft verführerischen Versuches, das uns beschäftigende Phänomen auf rein
physikalische Art zu erklären. Man könnte denken, die Komplexbildung der Ascariszellen
werde in derselben Weise d u r c h O b e r f l ä c h e n s p a n n u n g b e w i r k t , wie der Zusammenschluß
und die Form einer Gruppe von Seifenblasen. Seit B e r t h o ld (1886) und C h a b r y
(1887) wird diese physikalische Wirkungsart sehr allgemein für die Gestaltungsverhältnisse
von Zellsystemen verantwortlich gemacht, und ist auch bereits für Ascaris von mir (1896 a
p. 154) und von B o v e r i (1899 p. 403) in solchem Sinne verwendet worden.
Dasjenige Moment, das die Vorstellung einer kausalen Analogie zwischen dem Seifenschaum
und dem Zellkomplex so überaus nahelegt, ist die hohe Ähnlichkeit, zum T e i l
Identität der beiderseitigen Konfigurationen. Schon d ie . Betrachtung eines normalen, ruhenden
Furchungsstadiums von Ascaris lä ß t kaum einen Zweifel daran zu, daß das von P l a t e a u
begründete „ P r in z ip d e r k l e in s t e n F l ä c h e n “ , nach welchem die Seifenschaumlamellen
geordnet sind, auch hier die Form und Stellung wenn nicht aller, so doch der meisten
Grenzflächen und Scheidewände beherrschen, müsse. Wie, die Kammern des Schaumes, so
sind die Zellen scharfkantig-pölyedrisch geformt und fügen sich — von der Furchungshöhle
abgesehen H lückenlos aneinander. Alle Kantenwinkel des Zellkomplexes betragen 120 °, so
daß immer je drei Flächen längs einer Kante zusammenstoßen. Alle freien Oberflächen
sind sphärisch gewölbt. Sodann: s e h r h ä u f i g sind die Kontaktfacetten eben, und zwar besonders
da, wo auch die Anordnung der Zellen mit derjenigen von Seifenschaumkammern
übereinstimmt. Und endlich: die Form der m e i s t e n Zellen ist eine „isometrische“ ; das
heißt, soweit die Polyedrie es gestattet, sind alle ihre Dimensionen ungefähr gleich.?*»^ In
der beschränkenden Fassung der beiden letzten Sätze liegt ein Hinweis auf das Vorhandensein
gewisser Differenzen, in denen der lebendige Zellkomplex eigene W e g e geht; worüber
wir in späteren Kapiteln noch verhandeln werden. A b e r offenbar sind die Einzelheiten, in
denen die Konfiguration des Ascariskeimes dem Prinzipe der kleinsten Flächen genau entspricht,
so zahlreich und zum T e il so durchgreifend allgemein, daß die kausale Beteiligung
des Prinzips eigentlich schon hierdurch bewiesen ist.
Und sollte etwa die rein normal-deskriptive Beurteilung noch einen Rest von Möglichkeit
für die a priori höchst unwahrscheinliche Annahme bestehen lassen, daß die typisch
detaillierte Polyedrie der Ascariszellen von jeder einzelnen aktiv hervorgebracht würde und
die Ähnlichkeit mit Seifenschaumformen nur eine „zufällige“ wäre, so würde diese letzte
Möglichkeit durch die abnormen Keime völlig zerstört. E s zeigt sich nämlich, daß die
normalerweise vorhandenen Kanten, Flächen und sonstigen Details einer Zellgestalt b e i
a t y p i s c h v e r ä n d e r t e m A r r a n g e m e n t d e r B l a s t o m e r e d u r c h a u s n i c h t e tw a
b e s t ä n d i g s in d , s o n d e r n w i d e r s t a n d s lo s p r e i s g e g e b e n und durch neue Formen
ersetzt werden, a n d e n e n d i e Ü b e r e i n s t im m u n g m i t d em P l a t e a u s c h e n P r i n z
ip e m i n d e s t e n s e b e n s o s c h a r f , o f t n o c h s c h ä r f e r hervortritt, als vorher.
Man betrachte nur die Konfiguration des ganz abnorm geordneten Ektoderms an dem
auf T a f. II, F ig . 17 und 18 dargestellten Riesen: es sieht aus, wie ein Seifenschaum.
Oder man denke an die geometrisch-regelmäßigen Formen, die das isolierte Ektoderm des
Dreifachzwillings auf seiner vier-, acht- und sechzehnzeiligen Stufe erkennen ließ (Taf. II,
Fig_ 57— 59). Die Ektodermzelle B, die in der normalen Entwickelung drei ebene Kontaktflächen
trägt, verliert bei den gewöhnlichen T-Riesen eine davon, beim Dreifachzwilling
(Taf. IV, F ig. 53) noch eine zweite: hier, wie in anderen Fällen, vergrößert- sich an Stelle
jeder verschwundenen Facette die freigewölbte Außenfläche — wie beim Seifenschaum.
Und niemand kann bezweifeln, daß die Zellen A .und B und überhaupt jede gesunde
Furchungszelle von Ascaris, von der Berührung mit anderen v ö l l i g befreit, sich unter Ve r lust
aller Ecken und Kanten nach allen Richtungen hin rundlich umgrenzen und falls
es eine isometrische Zelle war — sogar zur reinen Kugelform übergehen würde. D i e
k a u s a l e V e r k n ü p f u n g a l l e r j e n e r t y p i s c h e n , w i e a t y p i s c h e n G e s t a l t u n g s m
om e n t e v o n A s c a r i s m i t d em P r in z ip e d e r k l e in s t e n F l ä c h e n i s t a l s o e n d g
ü l t i g f e s t g e s t e l l t .
3.
A ber damit ist keineswegs entschieden, daß nun auch diejenige besondere Geschehens-
Brt, die* im Ascariskeim nach der Schablone des-Plateauschen Prinzipes wirkt, gerade d ie -
i e l b e S o r t e v o n O b e r f l ä c h e n s p a n n u n g sein mulsB-wie beim 'Seifenschaum. E s gibt,
wie wir b a ld sehen "Werden, auch andere Kräftekorfb’inationen, denen die gleiche geometrische
Betätigungsform eigentümlich ist. Und daß speziell bei Ascaris die für das Prinzip charakteristischen
Kanten, Ecken und Winkel auf eine ganz andere Weise zu Stande kommen
müssen, als beim Schaum, ergibt sich aus folgendem.
Das Lamellensjfstem eines .’Seifenschaumes stellt ein einziges, in sich zusammenhängendes
Quantum Flüssigkeit! dar, dessen Gesamtober fläch||auf Grund ihrer überall gleichartigen
Spannung nach dem erreichbaren Minimum strebt. Hiermit aber läßt sieh ein Zellkomplex;
wie' D r i e s c h schon 1892 (p. S3^?hervorgehoben hat, seitdem aber nicht immer
genügend bedacht worden ist' -a y nicht ohne weiteres1 vergleichen, S p R einfaches Agglomerat
von flüssigen Blastomeren brächte bloß auf Grund der Spannung'seiner Oberflächen weder
den Zusammenschluß noch die- dem Plateauschen Prinzip konforme Ausgestaltung der
Kontaktflächen hervor; und zwar selbst dann nicht, wenn man mit R o u x (1896) die A n nahme
macht, daß die Spannung an den Kontaktfacetten eine geringere sei, als an den