F ü n f t e s K a p i t e l .
Komplexbildung und polyedrische Zellgestalt.
W ir schreiten nunmehr zur Analyse aller derjenigen Vorgänge, durch welche das
g e g e n s e i t i g e V e r h ä l t n i s d e r B l a s t o m e r e im R a um (soweit nicht die Gründe
hierfür schon in den Teilungsrichtungen enthalten sind) nach einer typischen Regel g e ordnet
werden, und der unlösbar damit verbundenen Fra ge nach der Herkunft der Z e l l -
g e s t a l t ; — ein Doppelproblem, das uns in mehrfacher Form und Anwendung entgegentritt.
Hier soll zunächst die a l l g e m e i n e K o m p l e x b i l d u n g samt den durch sie b e dingten
Zellgestalten besprochen werden.
Wenn das E i seine „Durchschnürung“ vollendet hat, so fallen die Tochterzellen A B
und Px nicht voneinander, sondern bleiben in unmittelbarem Kontakt, ja sie vergrößern sog
ar nach einiger Zeit den ursprünglich knapp bemessenen Zusammenhang zu einer breiten
Berührungsfläche. ' In ganz derselben Weise sieht man auf allen Stufen der Embryonalentwickelung
das jeweils vorhandene Zellenmaterial mit ausgedehnten Kontaktfacetten innig
Zusammenhalten. E r st nach dem Eintritt der völligen Reife gelangen bestimmte Zellen —
die Geschlechtsprodukte — zu räumlicher Unabhängigkeit.
Fassen wir zunächst, wie immer, den d e s k r ip t i v e n H e r g a n g der neuen Geschehensart
schärfer ins Auge, so muß vor allen Dingen festgestellt werden, daß das V e r einigtbleiben
der Blastomere von Ascaris nicht etwa auf dem Vorhandensein eines a l l -
s e i t i g e n N e t z e s p l a sm a t i s c h e r B r ü c k e n oder Verbindungsstränge zwischen ihnen
beruht.
Die ganze Art der Zellteilung bei Ascaris schließt zunächst die Existenz p e r ip h e r e r
Plasmaverbindungen, wie sie H a m m a r (1897 p. 99) für Furchungsstadien zahlreicher T ie r formen
beschreibt, vollkommen aus. Denn bei Ascaris geschieht die Teilung des Eies , und
jeder Zelle offenkundig durch das Einschneiden einer Ringfurche, die an der äußersten
Peripherie beginnt; nicht aber „interplasmatisch“ , wie Hammar sich denkt, d. h. als Spaltbildung
i n n e r h a l b eines Grenzsaumes, der bei sämtlichen Teilungen „respektiert“ wird
und so auf allen Stadien die Blastomere zusammenhält.
Dageg en können allerdings bei Ascaris, wenigstens vorübergehend, gewisse (vielleicht
alle?) S c h w e s t e r z e l l e n durch primäre Brücken verbunden sein, die in d e r g e m e in s
am e n A c h s e n r i c h t u n g liegen. W ie H e r l a (1894 p. 478) an konservierten Präparaten
erkannte, wird bei der ersten Furchung der Plasmaleib des Eies nicht sogleich völlig durchgeteilt,
sondern ein dünner, axialer Verbindungsstrang erhält sich zwischen den Tochterzellen.
Ich selber habe im ersten Abschnitte dieser Schrift (p. 18) beschrieben, wie man an
Riesenkeimen bei der Mitose der Zelle P 2 das Fortbestehen einer schmalen Brücke im Leben
beobachten kann. Und ich füge jetzt hinzu, daß bei den lebendigen Rieseneiern auch die
erste Furchung in ganz übereinstimmender, nachher noch etwas genauer zu besprechender
Weise von statten geht.
Allein die bei der Mitose übrig bleibenden axialen Zellverbindungen sind, wie gesagt,
k e in e d a u e r n d e n . Schon H e r l a fand an seinen Präparaten auf einer nur wenig vorgeschrittenen
Stufe des zweizeiligen Stadiums keine Spur davon. Auch ich vermochte an feinen
Längsschnitten des ruhenden Stadium II nur das Vorhandensein einer durchgehenden, nirgends
unterbrochenen Trennungsfläche festzustellen.
Überdies käme ja doch auf solche A rt, selbst wenn eine primäre Verbindung bei allen
Schwesterpaaren persistierte und nach der nächsten Klüftung noch die betreffenden vier
Enkel und immer größere Verwandtschaftskreise zusammenhielte, nur eine r e i h e n w e i s e
V e r k o p p e l u n g zu Stande, nicht aber ein allseitiges Netz von Brücken, wie es zur Erklärung
der flächenhaften und massigen Komplexbildung unerläßlich wäre. Und was sollte wohl solche
Zellen Zusammenhalten, deren Nachbarschaftsverhältnis überhaupt kein primäres, sondern ein
nachträglich entstandenes ist? Z. B. haften doch die Zellen P 2 und B des rhombischen V ie rzellenstadiums,
die erst der Orientierungsvorgang aus ursprünglich weiter Entfernung zusammenführt,
eben so breit und fest aneinander, als Schwesterzellen. Und wenn man etwa
vermuten sollte, daß in diesem und in anderen Fällen sekundäre Plasmabrücken zwischen
den Blastomeren nachträglich gebildet würden, so habe ich mich an feinen Schnitten vierzeilig
rhombischer Embryonen wiederum von der Irrtümlichkeit einer solchen Annahme
überzeugt.
Nach alledem haben wir d ie e in z e ln e n Z e l l e n d e s A s c a r i s k e im e s a l s s e l b s
t ä n d i g e , a n a t o m i s c h v o n e in a n d e r i s o l i e r t e G e b i l d e a n z u s e h e n , deren Ve r einigung
zum Komplex und breite Zusammenfügung durch besondere Faktoren vermittelt
wird. W ir prüfen programmgemäß an erster Stelle, ob diese Faktoren mechanische oder
physiologische sind.
A. Mechanische F ak to ren .
1 .
E s gibt eine Ursache, die das Vereinigtbleiben und die gegenseitige Abplattung von
Furchungszellen auf eine sehr grob mechanische A r t bewirken kann, bei manchen Tierformen
wohl auch in der T a t bewirkt : indem nämlich die Blastomere durch eine eng umschließende
feste S c h a l e beieinandergehalten und zusammengedrängt werden. Betrachtet
man einen lebenden, normalen Ascariskeim der zweizeiligen oder vierzellig-T-förmigen Stufe,
dessen Zellen die innere Schalenhaut nicht nur berühren, sondern in ihrer Gestalt die W ir kung
einer zentripetalen Kompression sogar ganz offenkundig zur Schau tragen, so möchte
man vielleicht glauben, die triviale Erklärung des Phänomens durch Schalendruck passe
auch hier. Allein von der nächstfolgenden Stufe an wird der Ascarisembryo durch kompaktere
Anordnung der Elemente einerseits und wirkliche Verkleinerung seines Volumens