So glich der Riese bei flüchtiger Betrachtung einem typischen Ascarisembryo au f das frappanteste.
A b e r das w a r doch nur Schein.
A ls ich den Embryo aus der Profillage in die Frontalebene drehte (Fig. 39), sah ich,,
dass das Ektoderm seines Rückens von der so überaus regelmässigen Konfiguration des normalen
Stadium nichts erkennen liess. Es schien überhaupt die ganze Rückendecke sich gegen
die linke Seite hin vorzubauschen, a l s w ä r e n h ie r e in ig e Z e l le n m eh r a l s d r ü b e n u n t e r g
e b r a c h t . Ich zögerte kaum, für dieses Plus die Nachkommenschaft der Zelle b l l verantwortlich
zu machen, die am T a g e vorher au f diese selbe linke Seite versprengt worden war.
Rechts hinten aber entdeckte ich mit Überraschung e in e S t e l l e , w o e tw a s z u f e h l e n
s c h ie n ; wo die benachbarten Zellen nicht polygonal zusammengeschlossen waren, wie sonst
überall, sondern mit rund gewölbten Flächen die Wände einer deutlichen Vertiefung bildeten !
Es lag nahe anzunehmen, dass diese Vertiefung nichts anderes sei, als eine Lücke, die von
den Ektodermzellen der rechten Seite für ihre verirrten Verwandten freigelassen worden war. —
Demnach schien es, als hätten bei diesem Riesen vom zweiten Typ us die Ektodermzellen nicht —
wie bei dem des ersten — sich einfach nach mechanischen Prinzipien gleichmässig au f die v o r handene
Epithelfläche verteilt, sondern wären bestrebt gewesen, typische Lagebeziehungen im
Einzelnen festzuhalten, eventuell herbeizuführen. Hierüber wird im Analytischen T eile eingehender
zu verhandeln sein.
A u f der Bauchseite des Embryo zeigte sich die Nachkommenschaft d e r d r e i h i n t e r e n
B la s t om e r e in einer absolut typischen Weise geteilt und geordnet. Die vier dotterreichen,
breiten Zellen EI, EU, P4 und D, die jetzt in der Mittellinie des Bauches, schnurgerade
hintereinander lagen,, waren aus transversaler Teilung der Urdarmzelle und der kaudal-
wärts au f sie folgenden hervorgegangen; und ganz am Hinterende bildete das symmetrisch
halbierte, wie nach dem Winkelmass angesetzte Schwanzzellenpaar c und t den Beschluss
(Fig. 38).
W a s aber war aus den Sprösslingen der v o r d e r s t e n v e n t r a le n F u r c h u n g s k u g e l
geworden, die bei der Neuordnung der Verhältnisse das Unglück gehabt hatte, au f der linken
Seite des Embryo liegen zu bleiben? Es zeigte sich, dass die Situation dieses jungen, bei seiner
Geburt dorsiventral gelagerten und fast ganz au f die linke Seite beschränkten Zellenpaares
zw ar immer noch abnorm, aber doch d em T y p u s , der eine beiderseits symmetrische Stellung
verlangt, in u n v e r k e n n b a r e r W e i s e n ä h e r g e k om m e n w a r . Während nämlich die mehr
ventralwärts gelegene von den beiden Zellen, mst, sich gegen die Medianebene hin vorgeschoben
hatte, so dass sie jetzt fast genau in der Verlängerung der Darmzellen lag, w a r ihre Schwester
jucrt nach hinten und einwärts herabgeglitten und so an die Flanke der ventralen Mittelreihe
gelangt, wo sie bis zur Berührung der Urgeschlechtszelle P 4 kaudalwärts reichte. Dieses
Lageverhältnis wa r für |j0t durchaus das typische. Im übrigen enthielten beide Zellen grosse,.
deutliche Kerne, ein Zeichen nahender Teilungsreife, und beide hatten jene mandel- oder fast
halbmondförmige Gestalt angenommen, die ich für die gleichen Zellen der normalen Entwickelung
beschrieben habe (’96 a, Taf. V , Fig. 13).
So konnte man das Blastomerenpaar in gewissem Sinne schon jetzt symmetrisch nennen,
nämlich in Bezug au f die vorderste Darmzelle, die im Winkel zwischen ihnen lag. Und es
schien mir nach allem, wa s ich erfahren hatte, nun nicht mehr zweifelhaft, dass unser kleines-
Drama in einer völlig typischen Anordnung aller ventralen Zellen bald seine befriedigende:
Lösung finden würde. D as geschah in der T ha t noch im Laufe dieses Beobachtungstages.
A b e r doch anders, als ich erwartet hatte.
Um die Mittagszeit schickten sich die Halbmondzellen zur Mitose an. D a beide ihre
SpindeP— wie im Normalen — senkrecht zur Richtung der vorausgegangenen Teilung orientierten,
so mussten zwei Pa are h in t e r e in a n d e r liegender Zellen entstehen, das eine, ut und n,
links vom Darm, das andere, st und m, in seiner vorderen Verlängerung (Fig. 40). Sehr bald
danach — auch in diesem rhythmischen V erhältnis dem T yp us gleich ^ e r fo lg t e die dorsiventrale
Teilung der Schwanzzellen, und ebenso regten sich im Ektoderm die ersten Vorläufer einer
neuen Klüftungsperiode (Fig. 42;. Doch hatten diese letzteren Teilungen keinen wesentlichen
Einfluss au f die Konfiguration.
Gegen Abend aber ging eine wunderliche und tiefgreifende Verschiebung in Szene, die
das zum typischen Arrangement noch nötige so sicher und unmittelbar herbeiführte, in
einer so seltsam zielbewussten Weise zu arbeiten schien, dass ich trotz alles Vorausgegangenen
damals nicht zweifelte, es müsse eine günstige Zufälligkeit ihre Hand im Spiele haben.
Die Ektodermhaube war aus uns bekannten Gründen stark zur Seite geneigt, so dass
die eigentliche Spitze des Embryo links von der Medianebene la g (Fig. 40). Nach der gleichen
Richtung waren auch die beiderseitigen Schlund- und Mesodermanlagen disloziert, dergestalt,
dass die Grenzlinie zwischen ihnen, die nach der typischen Instruktion mit der Medianebene
zusammenfallen sollte, ebenfalls au f die links gelegene Spitze des Ganzen hinauslief. D a nun
die Linksverwerfung des vorderen Bezirkes so offensichtlich das Abnorme war, und ihr gegenüber
die festgefügte La g e der hinteren Bauchzellen wie ein Krystallisationspunkt für typische
Anordnung erscheinen musste, so schwebte mir vor, es würden wohl zur Herstellung der
normalen Gesamtlage die Schlund-Mesodermzellen samt der Spitze des Ektoderms allmählich
nach rechts verschoben werden, — eine Forderung freilich, die in Anbetracht der abnormen
Verteilung des Materiales nicht leicht zu erfüllen schien.
W a s aber geschah? D ie g a n z e h in t e r e B a u c h z e l le n g r u p p e , die seit gestern
aussah, als wenn sie über ih r e n Anteil an der normalen Entwickelung nunmehr völlig beruhigt
wäre, w e c h s e l t e d ie F r o n t und r i c h t e t e s ic h u n t e r A u f g a b e d e r b is h e r so o s t e n t a t i v
m a r k ie r t e n M e d ia n e b e n e g e g e n d ie v o r d e r e i i n k e E c k e d e s E m b r y o !
Diese Schwenkung erfolgte nicht gleichzeitig für die ganze Abteilung; sondern die sechs
rückwärtigen Blastomere — von der Urgeschlechtszelle an — standen schon au f halblinks, als
noch die Richtung der beiden Urdarmzellen mit der alten Medianebene zusammenfiel (Fig. 41).
D a rau f aber senkte sich das Entoderm — nach typischer Vo rschrift — unter das Niveau der
Baufläche, teilte sich und nahm dann in der Tiefe eine entsprechende Stellung ein.
In dem Masse nun, wie die Darmanlage von der Oberfläche verschwand, ö f fn e t e
s i c h d i e G r u p p e d e r S c h l u n d -M e s o d e r m z e l l e n u n d n a hm , k a u d a lw ä r t s
h e r a b g le i t e n d , z u b e id e n S e i t e n d e s U rm u n d e s ih r e L a g e . •■ E s w a r die normale,
symmetrische; Und die vom Ektoderm gebildete S p itz e des Embryo fiel nun auch in die
Mittelebene.
Am Morgen des nächsten T a g e s la g der Darm fast ganz in der Tiefe, rückwärts von
der Urgenitalzelle überlagert, vorn und an den Seiten von den Anlagen des Schlundes und
Mesoderms. Diese waren, nach der Grösse ihrer Kerne zu schliesen, schon wieder zu einer
neuen Teilung reif, und es überraschte mich nicht im mindesten, als ich sah, dass die Schlund-
Zoologlca. Heft 40. I