Halten wir jetzt die drei Indizien, die wir der typischen und abnormen Entwickelung
entnommen haben, zusammen und bedenken dann, daß nach Zurückweisung aller mechanischen
Erklärungen die Hypothese einer gegenseitigen Attraktion der Zellen als Ursache der
Komplexbildung die fast allein mögliche war, s o d ü r f e n w i r d i e s e A n n a h m e w o h l
a l s b e w i e s e n g e l t e n la s s e n .
2 .
Die aktive, cytotropische Zusammendrängung der Ascariszellen, zu deren Anerkennung
wir uns entschlossen haben, bedeutet jedoch nur die eine Hälfte des Problems. Die zweite'
ist diese : warum die zum Komplex vereinigten Elemente sich derartig gruppieren und ge stalten,
daß ihre Anordnung und Form, die Gestalt ihrer Flächen, Kanten und Ecken, die
Größe der Winkel in den allermeisten Fällen d e r K o n f i g u r a t i o n e i n e s S e i f e n s
c h a u m e s zum V e r w e c h s e ln ä h n l i c h w i r d . Denn diese frappante Übereinstimmung
in der Gestaltung eines körperlichen Lamellensystems von zäher Flüssigkeit und der eines,
sozusagen b loß geometrischen Verbandes von Grenzflächen und Zwischenräumen ist offenb
a r nichts weniger als selbstverständlich.
Nun hat der Botaniker Z im m e rm a n n (1891 p. 1 5 9 ) für pflanzliche Zellsysteme hervorgehoben,
daß eine dem Plateauschen Prinzip konforme Ausgestaltung a u c h d u r c h
T u r g o r s p a n n u n g m e c h a n i s c h z u s a m m e n g e d r ä n g t e r Z e l l e n entstehen könnte. Der
Turgor verleiht den Zellen eine Tendenz sich kugelig abzurunden. D a sie hieran durch
Raummangel verhindert und vielmehr genötigt sind, unter ausgedehnter gegenseitiger Berührung
polyedrische Formen anzunehmen, so wird wenigstens nach Möglichkeit, eventuell
unter Zuhilfenahme von Gleitbewegungen, die Vermeidung allzu scharfer Kanten und spitzer
Ecken angestrebt. Hierbei wird zumeist der Vorteil, den eine Zelle gewinnt, nachteilig für
ihre Nachbarzellen sein. E s resultiert ein Kampf aller einzelnen Rundungstendenzen, und
der Gleichgewichtszustand, der schließlich erreicht wird, ist aus begreiflichen Gründen von
solcher Beschaffenheit, daß die Gesamtheit aller Scheidewände aussieht, wie ein Seifenschaum.
Das gleiche Grundprinzip vermochte R o u x (1896b) mit Hilfe von schwimmenden
Öltropfen, die durch den kreisförmigen Rand eines Weinglases zusammengedrängt waren,
sehr hübsch zu demonstrieren. Die Tropfen strebten natürlich jeder für sich, und zwar in
diesem Falle auf Grund, ihrer individuellen Oberflächenspannung, nach der Kugelgestalt.
Unter dem Zwange des knappen Raumes aber gruppierten sie sich so und nahmen solche
Formen an, daß die Ähnlichkeit der Tropfengesellsehaft mit gewissen, dem Plateauschen
Prinzip entsprechenden Furchungsstadien eine ganz frappierende war. W ie m a n . sieht,
kommt auf die s p e z i e l l e Natur der hierbei wirkenden Faktoren nichts an. Ganz allgemein
produzieren A g g r e g a t e p l a s t i s c h e r , g l e i t f ä h i g e r K ö r p e r , v o n d e n e n a u s i r g e n d
e in em G r u n d e j e d e r e in z e ln e s i c h a b z u r u n d e n , s t r e b t , w ä h r e n d d o c h a l l e
d u r c h i r g e n d e in e n a n d e r e n F a k t o r a u f b e s c h r ä n k t e n R a um z u s a m m e n g e d
r ä n g t werden, eine Konfiguration ihrer Grenz-; und Scheidewände, die einem Seifenschäume
so ähnlich ist, wie die von Ascaris.
Hier bietet sich offenbar ein neuer und aussichtsvoller W e g , zur Lösung der uns beschäftigenden
Fra ge vorzudringen. Denn von den zwei verbündeten Faktoren, deren das
Prinzip bedarf, ist ja der eine, nämlich die z e n t r ip e t a l e Z u s a m m e n d r ä n g u n g , bei Ascaris
bestimmt vorhanden; und es macht für den Er fo lg keinen Unterschied, daß die m e c h a n i s c h e
Druckwirkung der von Z im m e rm a n n und R o u x behandelten Fälle bei uns durch eine
p h y s i o l o g i s c h vermittelte gegenseitige Attraktion der komplexbildenden Elemente vertreten
wird. A ber auch ein Faktor der zweiten Sorte: einer, der nach i n d i v id u e l l e r A b -
r u n d u n g aller Konstituenten strebt, muß im Ascaris-Zellkomplex wirksam sein; tritt doch,
wie wir gesehen haben, bei den verschobenen und ihrer typischen Nachbarschaft zum Teil
beraubten Zellen abnormer Keime an ,d ie Stelle jeder verlorenen Kante oder Kontaktfacette
sogleich eine entsprechende Vergrößerung der freien, kugelig gewölbten Oberfläche. Nur
wissen wir noch nicht, auf welchen Gründen diese fraglos vorhandene Rundungstendenz der
Ascariszellen eigentlich beruht.
Die zur Zeit . verbreitetste Auffassung vom Aggregatzustande lebendiger Blastomere,
in unserem Falle noch besonders verstärkt durch den suggestiven Vergleich mit
R o u x ’ Öltropfenexperiment, drängt uns fast zu der Annahme, die Zellen strebten einfach
v e rm ö g e d e r h o m o g e n e n S p a n n u n g i h r e r i n d i v i d u e l l e n f l ü s s i g e n O b e r f
l ä c h e n , wie irgend ein Tropfen, nach der Kugelgestalt. Allein gegen diese ihrer Sparsamkeit
wegen sympathische Annahme spricht doch zu viel, als daß sie bestehen könnte.
Man hat fü r gewöhnlich gar keine Gelegenheit, .< sich über die Konsistenz der Oberflächenschicht
an lebenden Ascariszellen ein auf Beobachtung beruhendes Urteil zu bilden. So habe
auch ich mir diese S ch ich tH - unter dem Eindrücke der verblüffenden Seifenschaumähnlichkeit
des Ganzen — anfangs als relativ leichtflüssig vorgestellt; woran die Tatsache, daß der
helle Saum an k o n s e r v i e r t e n Eiern häufig wie eine starre Membran erscheint, natürlich
nichts ändern konnte. A ber die Beobachtung jener sonderbaren Ereignisse, durch die unser
Dreifachzwilling in zwei ungleichwertige Stücke aufgeteilt wurde, belehrte mich eines besseren.
Die- helle äußere Plasmaschicht erwies -sich vielmehr als ungemein zähe, zog sich zu einem
dünnen Faden aus, und als derselbe endlich gerissen war, blieb ein winziges Stümpfchen
an einer der isolierten Ektodermzellen noch mehrere Stunden lang stehen. Es war ganz
gewiß, daß mindestens an dieser Stelle und während der Zeit, in der das Stümpfchen sich
erhielt, die Hautschicht nicht leichtflüssig, sondern von einer Zähigkeit war, die an Festheit
grenzte. Unter solchen Umständen aber wird es schwer zu glauben, daß die Oberflächenspannung
dieser selben Schicht der Faktor sei, der den Zellen die energische und kontinuierlich
wirkende Rundungstendenz, deren das Prinzip bedarf,; verleihen könnte.
Aber selbst wenn die Zellen von Ascaris genügend flüssig wären, um bloß auf Grund
dieses Zustandes e in z e ln die Kugelgestalt anzustreben, so könnte diese Tendenz doch innerhalb
des Z e l lk o m p l e x e s nicht als gestaltender und ordnender Teilfaktor wirksam sein.
W ir sind doch zu der Überzeugung gelangt, daß zwischen den Zellen eine attraktive, irgendwie
chemisch vermittelte Wechselwirkung bestehen müsse. Das ist so ziemlich das Gegenteil
einer zur Abrundung führenden positiven Oberflächenspannung. Zum mindesten könnten
die Oberflächen der Zellen, die aus der Umgebung von chemischen Stoffen berührt und
verändert werden, nicht h o m o g e n gespannt sein und könnten darum auf Form und
Stellüng der Scheidewände nicht in solcher Weise wirken, daß die Gesamtanordnung dem
Prinzipe der kleinsten; Flächen entspricht.