S e c h s t e s K a p i t e l .
Epithelbildung und epitheliale Zellgestalt.
Die Fra ge der Komplexbildung ist so von uns behandelt worden, als wenn in allen
Stadien die Zusammenfügung der jeweils vorhandenen Zellen eine vollkommen dichte und
nach allen Richtungen hin lückenlose wäre. In Wirklichkeit trifft dies nicht zu. Vielmehr
wird die Lückenlosigkeit des Komplexes durch ein besonderes Moment der Formbildung
eingeschränkt, dessen Vorhandensein zwar für die Erörterungen und Resultate des vorigen
Kapitels ohne Bedeutung war und dort außer acht gelassen werden durfte, das aber jetzt
für sich ein neues und wichtiges Problem repräsentiert, -— in Wahrheit wieder ein Doppelproblem:
die Anordnung eines Teiles der Blastomere zu einem einschichtigen, die Furchungshöhle
begrenzenden „Epithel“ und die damit verbundene Entstehung der „epithelialen“ Zellgestalt.
Der d e s k r ip t i v - n o rm a l e H e r g a n g ist folgender. Noch unmittelbar nach der
Klüftung des vierzelligen Stadiums pflegt der Zusammenschluß aller Zellen ein vollkommen
dichter zu sein. Indem aber die neu entstandenen acht Blastomere durch Gleitbewegungen
in ihre definitive, rundliche Gesamtkonfiguration übergehen, geschieht es, daß im Zentrum
des Ganzen ein kleiner polyedrischer Hohlraum freigegeben wird, den eine helle Flüssigkeit
erfüllt: das ist der A nfan g der Furchungshöhle. Recht häufig aber fällt der Ursprung des
Blastocöls in eine noch frühere Zeit der Ontogenesis. Ich wies im vorigen Kapitel auf die
verbreitete, längst bekannte Erscheinung hin, daß mitten in der Scheidewand der beiden
ersten Furchungszellen ein linsenförmiger, von klarer Flüssigkeit erfüllter Hohlraum gefunden
wird. Dies eingesprengte Tröpfchen erhält sich während der folgenden Klüftung und liegt
im fertigen Vierzellenstadium, ohne gewachsen zu sein, im Winkei zwischen den beiden
Rktodermzellen und EMSt. Beim Eintritt der neuen Mitosen aber vergrößert der kleine
Raum sich rasch, begibt sich, indem er erst die beiden Töchter von EMSt, dann P 3 und
schließlich auch C berührt, in den Mittelpunkt des Zellkomplexes und wird zur typischen
Furchungshöhle. Bei s ä m t l i c h e n Eiern wächst hierauf das Blastocöl durch einige Stadien
hindurch heran, bildet eine ansehnliche Blase von länglicher Gestalt, um endlich zur Zeit
der Gastrulation und des Versinkens mesodermaler und anderer Zellengruppen wiederum auf
schmalere Spalträume reduziert zu werden.
A n der Begrenzung der Furchungshöhle nehmen die beiden Haupt-Zellfamilien in ungleicher,
für jede charakteristischer Weise teil. D i e o b e r e , d a s p r im ä r e E k t o d e rm ,
g r u p p i e r t s i c h a u f a l l e n S t a d i e n d e r f r ü h e n O n t o g e n e s i s e i n s c h i c h t i g um
d e n l e e r e n R a u m , so daß jede ihrer Zellen mit einer freigewölbten Fläche gegen die
Furchungshöhle, mit einer zweiten nach außen gewendet ist, während die wechselseitigen
Kontaktfäcetten eine am Zellkörper ringsum laufende Zone bilden. Dabei ist die G e s t a l t
der Zellen eine keilförmig nach innen verjüngte. Und zwar richtet sich die Konvergenz der
Sëitenfacetten und der Größenunterschied der inneren und äußeren freien Oberfläche nach
dem Krümmungsgrade des Epithelstückes, in dem die betreffende Zelle gelegen ist, d. h.
nach déni Verhältnis zwischen seinem Radius und seiner Zeilenzahl. Bei sehr geringer A n zahl
der verbundenen Zellen und stark prononcierter Krümmung, wie sie noch zum Beginn
der viérzèlligen Entwickelungsstufe des primären Ektoderms besteht, f e h l t die innere freie
Fläche ganz und mit ihr die Furchungshöhle: die Zellen stoßen mit ihren basalen Enden
unmittelbar an die Elemente der Ventralfamilie. Aber darin liegt wohl kaum ein Grund,
den allerersten Stufen des primären Ektoderms ^ S |w en ig s ten s in physiologischem Zusammenhänge,
|i|- den epithelialen Charakter abzusprechen; um so weniger, als ja nicht selten
die Furchungshöhle in diesen frühen Stadien bereits durch einen kleinen Hohlraum vertreten
ist, und dann den ersten Ektodèrmzéllen, ja selbst der Stammzelle A B eine „innere“ freie
Oberfläche keineswegs fehlt.H^gj Eine geometrisch so einfache, ausgeprägt epitheliale
Gruppierung wie dem primären Ektoderm kommt den Elementen d e r u n t e r e n F a m i l i e
nicht zu. Hier sind die Zellen im Umkreis der Furchungshöhle kompakter und minder
regelmäßig zusammengefügt, besonders im Darm und Mésoderm; während allerdings die
Deszendenz der Schwanzzelle G frühzeitig ein Verhalten zum Ausdruck bringt, das sie dem
primären Ektoderm in allen Punkten nähert, so daß auf späteren Stadien beide Gruppen
zur gemeinsamen Bildung einer ausgedehnten Epithelschicht verbunden sind.
A u f j e d e r S t u f e ih r e r B i ld u n g u n d E n t f a l t u n g i s t d ie F u r c h u n g s h ö h l e
n o rm a l e r K e im e e in v o l l s t ä n d i g a b g e s c h lo s s e n e r R a um . Manchmal, wenn eine
Zelle des begrenzenden Epithels in der Durchschnürung begriffen ist, möchte man hieran
zweifeln : es scheint, als wenn zu beiden Seiten der immer dünner werdenden Plasmabrücke
die Höhle offen stände. Dreht man aber das E i nach fä llen Richtungen und beobachtet
scharf, so findet ..man |#jlemal, daß beiderseits Nachbarzellen in spitze, flache Zipfel ausgezogen
sind, die sich vollkommen dicht an die in Teilung begriffene Zelle Schmiegen und
das Blastocöl geschlossen halten. Hierin spricht sich eine starke Abneigung der Zellen aus,
die gegenseitige Berührung aüfzugeben; wie ja schon bei der Zerreißung des Dreifachzwillings
ein überraschend zäher Zusammenhang erkennbar geworden war.
In einer kleinen Schrift über die „M e ch an ik der'Epithelbildung“ ;. (1903) hatte ich Gelegenheit,
im Rahmen der. allgemein, gehaltenen Analyse auch Daten aus der.Entwickelungsgeschichte
von Ascaris herbeizuziehen. Durch jene vorgreifende Verwendung aber wird eine
neue Analyse des Gegenstandes an dieser Stelle nicht überflüssig: wir gehen hier auf eine
erschöpfendere Behandlung der F ra ge aus, soweit sie Ascaris betrifft. Andererseits ermöglichen
die in früheren Kapiteln gewonnenen Ergebnisse im Vergleich zu meiner damaligen
Schrift eine wesentliche Vereinfachung der Argumentation.
Uns ist jetzt bekannt, daß zwischen den Zellen dès Ascariskeimes „gegenseitige A n ziehung“
besteht. Setzen wir voraus — was bis zum etwaigen Beweise des Gegenteils offenbar
geboten ist — , d ie Z e l l e n v e r h i e l t e n s i c h h i e r in i s o t r o p , d .h . d ie A t t r a k t i o n
j e d e r Z e l l e w i r k t e g l e i c h m ä ß i g a n ih r e r g a n z e n O b e r f l ä c h e , so ergäbe sich