da könnte der Einfluß zweier Tochterplasmen sich in der Mutterzelle ganz einfach s u m m
i e r e n : nehmen wir beispielsweise an, die rhythmische Differenz der Schwesterzellen st
und m, d. h. das ungleiche Reifetempo ihrer Kerne werde durch die Gegenwart eines
schnell ernährenden Sonderplasma in der einen und eines langsam ernährenden in der anderen
Zelle bedingt, so würde deren gemeinsame Wirkung auf den Kern der Mutterzelle ein
ebenfalls typisches, mittleres Tempo zur Fo lge haben. — Ungleich größer, ja wahrhaft unbeschränkt
aber wird der Spielraum typischer Geschehensmöglichkeit auf Grund der kombinierten
Wirkung mehrfacher Sonderplasmen, sobald es sich — und solches ist nach
unserer Hypothese fast immer der Fall — um R e i z v o r g ä n g e handelt. Hierfür ge währen
Physiologie (vergleiche besonders W . Pfeffer, 1904 § 77) und „Tierpsychologie“
die treffendsten Vorbilder. E s kann zum Beispiel geschehen, daß die Betätigung
eines bestimmten Reizes durch die gleichzeitige Gegenwart eines anderen total unterbunden
wird. Die sonst so reizbaren Pedicellarien des Seeigels schnappen nach v. U e x -
k ü l l nicht zu, wenn zugleich mit der Berührung der chemische Reiz eines Hautstoffes auf
sie wirkt, der ihrer Spezies eigentümlich ist: darum beißen sie nicht in die Stacheln und
Wandelfüßchen des eigenen Leibes. Denken wir uns nun, alles Plasma des Ascariseies mit
Ausnahme eines kleinen, für die Urgenitalzelle reservierten Territoriums liefere den adäquaten
Reiz zur Kerndiminution; das Sonderplasma der Genitalanlage aber besitze die Eigenschaft,
durch seine Gegenwart die Wirkung des diminutorischen Reizes zu hintertreiben: dann verstünden
wir sogleich, warum die Blastomere der Keimbahn den ursprünglichen Typus der
Mitose bewahren, obwohl doch — wenigstens anfangs — mehr somatisches als genitales
Plasma in ihnen enthalten ist; und warum jede von der Keimbahn abgezweigte, d. h. von
der hemmenden Einwirkung jenes Sonderplasmas befreite Ursomazelle bei ihrer nächsten
Teilung die Diminution vollzieht. Man weiß aber auch, daß Kombination von Reizen v o l l k
o m m e n n e u e , den Einzelreizen überhaupt nicht zugeordnete Wirkungen hervorrufen
kann. So reizt nach E . H a n e l der abgetrennte Stiel eines Lindenblattes den Regenwurm
in mäßigem Grade zum ergreifen; sitzt aber der Stiel am Blatt, so daß die chemischen
Reize von Stiel und Spreite sich gleichzeitig geltend machen, so wirkt der Stiel im Gegenteile
stark repulsiv. Es ist klar, daß prinzipiell auch drei und vier oder viele verschiedene
Reize planmäßig so miteinander verschränkt sein können, daß nur durch ihre gemeinsame
Gegenwart der Zauberspruch gebildet wird, der irgend einen V o rgang zur A u s lösung
bringt. Dann aber steht auch der Annahme nichts mehr im Wege, daß alle
die Sonderplasmen, die im Ascarisei und jeder seiner Blastomere vereinigt sind, gleichzeitig
reif sind und „determinieren“ : ihre Einzelwirkungen stören einander nicht, sondern
werden planvoll zur gemeinsamen Auslösung einer typisch formbildenden Reaktion
zusammengefaßt. Hierfür ein schematisches Beispiel. Die obere Furchungszelle A B enthält
die Plasmen ihrer vier Enkel a und a, b und ß. Diese besondere Kombination aabß
liefert den adäquaten Reiz zur Auslösung folgender typischen Geschehnisse: Diminution,
Aktivierung des paramedianen Schichtsystems behufs Einstellung der Spindel, Aktivierung
der paramedianen und transversalen Attraktionszonen zur selbstordnenden Wechselwirkung
mit der Ventralfamilie. Nachdem die Aufteilung der Zelle in die Plasmakombinätionen aa
und bß vollzogen ist, wird durch die neuentstandenen Reizqualitäten beiderseits das transversale
Schichtsystem als Orientierungsmittel der nächsten Mitose aktiviert. Sind endlich
die Plasmen a und a, b und ß einzeln freigelegt, so stellen sie abermals völlig neue Reize
dar und bedingen eine Serie neuer Wirkungen. In a und a wird die Spindel primär-vertikal
gerichtet, wobei überdies die Aktivierung einer senkrecht differenzierten Struktur in a ungleiche
Teilung zur Fo lge hat; in b und ß aber erwachen die schrägen Schichtsysteme und
weisen den Spindeln ihre schiefe L a ge a n ; und alle vier Plasmen determinieren die schrägen
Zonensysteme zur chemotaktischen Tätigkeit.
Im ganzen ist das Ergebnis unserer Kostenberechnung ein günstiges: Die Annahme,
daß die Ursache des individuell formbildenden Verhaltens der Ascariszellen in ih r e n
P l a sm a l e i b e r n lokalisiert sei, läßt sich bis zum befruchteten E i hinab durchführen, ohne
daß der vertraute Boden physiologischer Zusammenhänge verlassen würde. Im E i aber
brauchten n u r s o v i e l v e r s c h i e d e n e P l a s m a s o r t e n in e i n e r d em K l ü f t u n g s p
la n e a n g em e s s e n e n O r d n u n g v o r h a n d e n zu s e in , a l s d e r m o r p h o g e n e t i s c h e
S t am m b a u m E n d e n t r ä g t : d. h. Zellen oder in sich gleichartige Zellengruppen, die sich
formbildnerisch von anderen unterscheiden, aber nicht selber die Ursprungsstätte divergenter
Zellenreihen sind.
2 .
Hiernach prüfen wir zum Vergleich die Durchführbarkeit und den ökonomischen
W e rt einer entgegengesetzten Hypothese: die Gründe der individuellen Formbildung sollen
a u s s c h l i e ß l i c h in d e n K e r n e n gelegen sein; die Zellleiber seien — von der allgemeinen
Richtungsdifferenzierung abgesehen — isotrop und untereinander gleich.
Soweit die t y p i s c h e D e t e rm in a t io n d e r e in z e ln e n Z e l l e in Frage kommt, ist
diese Annahme ebenso zulässig und wohlfeil als die frühere. Ein Kern, der von Geburt
an irgend eine, z. B. chemische Sondereigenschaft besitzt, die ihn von ändern unterscheidet,
würde befähigt sein, unmittelbar auf Grund dieser Eigenschaft in Diminution zu treten, die
relative Geschwindigkeit seines’ Heranreifens typisch zu regulieren. Seine Teilungsrichtung
würde dadurch bestimmt, daß er selber vermöge seiner differenziellen Reizbarkeit das für
ihn adäquate Schichtsystem unter den vorhandenen herausfände, oder au ch : er reagierte auf
den Reiz einer gewissen Struktur jenachdem mit gleichsinniger oder querer Spindelstellung.
Ist er zu inäqualer Mitose ausersehen, so lockt ihn die einseitige Differenzierung des Zellkörpers,
die auf seinen Bruderkern vielleicht ohne Wirkung bleibt, vom Zentrum hinweg.
Und endlich ist klar, daß eine differenzielle Kernsubstanz ebensogut wie ein Sonderplasma
als adäquater Reiz bestimmte innere Schichten oder äußere Zonensysteme zur Tätigkeit
aktivieren und so zu typischen Gestalt- und Örtsveränderungen den Anstoß geben könnte.
Wenden wir uns jetzt.der Frage nach der H e r k u n f t ungleicher Kernsubstanz in den
Ascariszellen zu, so scheint die kausale Situation auf den ersten Blick von der der vorigen
Hypothese noch weniger verschieden zu sein. Natürlich führt die Selbstdifferenzierung des
Keimes auch hier zu der Forderung, daß jede Art von Kernsubstanz, die in der Entwickelung
determinatorisch funktioniert, schon in der Kernmasse des befruchteten Eies gegenwärtig
ist. A ber wir bedürften ebensowenig wie vorhin einer besonderen Substanzsorte fü r
je d e e in z e ln e Zelle der Ontogenesis. E s genügt durchaus, wenn nur die ultimären Zellen
und Zellfamilien, die Endzweige des morphogenetischen Stammbaums separat im Ausgangs-
material vertreten sind. A uf allen Zwischenstufen, wie auch im Ei, könnte die Wirkung der