
Auf der anderen Seite konnte es unzweckmäßig oder unmöglich sein, verloren
gegangene Teile genau in der Technik der typischen Ontogenesis nachzuliefern.. Dann
wurden zu diesem Behufe besonde re , von den normal erwe i se verw ende t en
abwe i chende Formb i ld ung sme chani smen in das Instrumentarium der Spezies
eingestellt: neu erfundene Reize lösten eigenartige Reaktionen aus, oder speziell für
diesen Fall präformierte Sondersubstanzen wurden zu erbungleicher Zerlegung angeregt
und brachten auf irgend einem zweckdienlichen Umwege das fehlende ^«zustande
; vielleicht auch nur etwas ähnliches; eventuell - sogar, wenn darin ein Vorteil
lag, etwas ganz anderes. Handelt es sich z. B. um möglichst beschleunigte
Reparatur eines zur Hälfte weggebissenen Tritonauges, so wäre eine getreue Wiederholung
der typisch-ontogenetischen Entstehungsweise, besonders die formative Auslösung
der Linse beim ektodermalen Epitheffl wohl kaum ökonomisch. Grund genug — wie
We i smann zeigte — für die Selektion, den Mechanismus der berühmten, im Experiment
so verblüffend zielstrebig scheinenden Linsenbildung vom Irisrande aus hervorzubringen.
4.
Wir fassen zusammen. Wenn irgend eine Tierform abnorme Störungen der Konfiguration
im Sinne des typischen Entwickelungsprogramms zum Ausgleich bringt, so kann
dies ein dreifach verschiedenes; Geschehen sein. Entweder ist die Selbstverbesserung ein
zufälliges und für die Erhaltung der Art bedeutungsloses Nebenresultat normaler Form-
bildurigsmittel; oder sie ist im Kampfe ums Dasein zwar von Wert, hat auch in der
Geschichte der Spezies eine mitbestimmende Rolle gespielt, wird aber dennoch rein durch
solche Mechanismen vollzogen, die auch in der normalen Entwickelung beschäftigt sind;
oder endlich, der Organismus bedient sich besonderer, um ihrer selbst willen geschaffener
Korrektionsmechanismen.
Wer aber Kategorien auf stellt oder anderweitig umgrenzt, dem fällt die Verpflichtung
zu, auch ihre künftige Benennung in den Kreis der Erörterung herein zu ziehen.
In früheren Zeiten nannte man alle die Fälle, in denen ein Organismus abnorme
Störungen seines Baues durch außernormal-formbildnerische Vorgänge verbesserte, unterschiedslos
„Regeneration“. Wobei als selbstverständlich galt, daß solche Geschehnisse nicht
nur. in deskriptiver Hinsicht programmwidrig seien, sondern auch ihre eigene, des nützlichen
Zweckes wegen vorhandene Kausalität besäßen. Als aber später Fälle bekannt wurden, in
denen die Formverbessörung nicht eigentlich durch Neuentstehung von Zellmaterial, sondern
zum teil oder gar ausschließlich dufch Umordnung und Umgestaltung des übrig gebliebenen
vor sich ging, da schien die Bezeichnung Regeneration ihrem Wortsinne nach zu
eng. Nur wenige Forscher (Weismann, Morgan) behielten den alten Namen in nunmehr
erweitertem Sinne bei. Die Mehrzahl aber wählte einen umfassenderen Terminus: „Re gula t
ion“ oder „S e 1 b s t r e g u l;at i o n“.
Nun war zu jener Zeit „Regulation“ und „regulieren“ dem wissenschaftlichen Sprach-
gebrauche ebensowenig fremd, als dem vulgären. Man redete von Selbstregulation einer
Maschine, wenn das harmonische Ineinandergreifen ihrer Teile gleichmäßigen Gang bewirkte.
Das Pendel reguliert den Gang der Uhr, das Ventil denjenigen der Dampfmaschine.
In offenbarer Anlehnung hieran haben die Biologen den gleichen Ausdruck in der Physiologie
der Erhaltungsfunktionen von jeher angewandt: Regulation des Blutdruckes, der
Körperwärme sind und waren jedem geläufig. Ja, auch in der normalen Formb ildungs -
physiologie, bei Tieren sowohl, als bei Pflanzen, sprach man in solchem Sinne von Regulation.
Zum Beispiel nannte Roux (1881 p. 321) den Bildungsmechanismus der Blutgefäße,
der bei aller individuellen Verschiedenheit gewisse wertvolle Details der Ausführung immer
wieder typisch zur Geltung bringt, mit Recht regulatorisch. Allen diesen Geschehnissen,
biologischen wie maschinellen, ist ja das eine gemeinsam, daß ein bestimmter, typischer
Effekt trotz schwankender Einzelfaktoren oder Bedingungen gewährleistet wird. Dabei
Stellt die Selbstregulation kein zufälliges, sondern immer ein „ber echnet e s “, vom
Menschen oder der zweckmäßi g schaff enden Natu r dur c h separate Maßnahmen
he rbe i g e führ t e s Geschehen dar.
Insofern lag der Ausdehnung des durch Sprachgebrauch definierten Regulationsbegriffs
auf das gesamte Gebiet der auß.ernormalen Fortnverbesserungen, wie man sie damals
ansah, nichts im Wege. Aber natürlich hörte diese Erlaubnis auf, sobald sich
zeigte* daß es außernormale Formverbesserungen giebt, denen das Merkmal des „ad
hoc Berechnetes e ins“ fehl t. Wenn ein typisch-formbildnerischer Effekt sich unter
abnormen Bedingungen nur darum wiederholt, weil der betreffende normale Apparat
eben auch unter diesen Bedingungen zufälligerweise noch wirksam bleibt, so hat
ein solches Geschehen mit einer „Selbstregulation“ des- Organismus nichts zu tun.
Man müßte denn den alten Regulationsbegriff zu einem deskriptiven Sammelnamen für die
verschiedenartigsten Dinge degradieren; was weder historisch berechtigt, noch praktisch
wäre. Also sind, wie ich schon oft betonte (f, 243, 302, 328), die Vorkommnisse unserer ersten
Kategorie, z. B. die Selbstverbesserungen abnormer Ascariskeime, die typische Ordnung des
geschüttelten Echinidenmesenchyms, die proportionale Gliederung verkleinerter Larvendarme,
keine Regulationen. Und da sie, physiologisch angesehen, von minimalem Interesse,, zumeist
sogar selbstverständlich sind, so erübrigt sich auch die Schöpfung eines neuen, eigenen
Namens für diese ganze Kategorie.
Dagegen nennen wir außernormale Formverbesserungen, deren bewirkender Mecha-
nismus in irgend einer Weise auf den Ausgleichen Störungen zugeSchnittenSiz, B. eigens ihm
zuliebe geschaffen worden ists mit Fug und Recht regulätorisch: also vor allem die Vorgänge
uäserer dritten Kategorijlfemer auch — und hierin möchte ich einen früheren Satz
(p. 244) modifizieren — diejenigen der zweiten.
Darüber hinaus aber bedarf die dritte, durch außeretatmäßige Korrektionsmechanismen
bewirkte Kategorie unzweifelhaft eine# «eigenen Terminus, de» sie den sämtlichen,
deskriptiv normalen oder abnormen Vorgängen, die mit normale n Mi t t e ln vol lzogen
werden, scharf gegenübätsMlt. „Regeneration“ ist hierfür nicht geeignet; mit diesem Namen
sollten die mit Neuentstehung von Material verbundenen Form Verbesserungen lohne Rücksicht
auf die Art ihrer Kausalität bezeichnet werden: darunter befinden sich vielleicht Vorgänge der
ersten, zweiten und dritten Kategorie. Der von Dri esch für alle gest al t lichen Korrekturen
gebrauchte Ausdruck „Restitution“ ist ebenfalls deskriptiv und schließt unsere kausalen
Gruppen sämtlich ein, Vielleicht entscheidet man-Hsich. für Idett neuen Namen. „Rekti -
f i k a t ion“.