wie sollte sie dann aus sich selbst heraus bewirken können, daß sie bei der rechtwinkligen
Umdrehung in die Vertikalachse vorschriftsmäßig einschnappt, den linken Pol nach oben,
den rechten nach abwärts gekehrt; da doch in diesem Falle der richtige und der falsche
Drehungsweg von gleicher Länge sind?
Man sieht, die Annahme, daß die Gründe der Determination a u s s c h l i e ß l i c h im
Kern lokalisiert seien, s c h e i t e r t b e i A s c a r i s v o l l k o m m e n a n d e r U n m ö g l i c h k
e i t e in e r p l a n m ä ß i g e n V e r t e i l u n g d e r a r t i g e r D e t e r m i n a t i o n s s u b s t a n z e n .
E s müßte in jeder Mutterzelle mindestens noch e in e e n t s p r e c h e n d g e r i c h t e t e D i f f e r
e n z i e r u n g a u ß e r h a lb d e s d r e h b a r e n K e r n e s , d. h. im P l a s m a l e i b vorhanden
sein, die auf die ungleichen Pole der Spindel orientierend wirkte, wie Nord- und Südpol
der E rde auf eine Magnetnadel. In unserem Beispiele träte die richtige Einstellung der
Spindelpolarität, die typische Verteilung der gesonderten Substanzengruppen sofort in den
Bereich der Möglichkeit, wenn im Plasma des teilungsreifen Eies ein oberer und ein unterer
Distrikt in irgend einer typischen Weise, vielleicht chemisch, verschieden wären.
Nun wäre die Forderung einer solchen Differenzierung in diesem einen Falle durchaus
nicht kostspielig. Wir haben ja schon durch die Analyse der Dotterverteilung
(P* 153) festgestellt, d aß das Plasma des Eies in der Richtung der Vertikalachse oberhalb
und unterhalb verschieden sein muß, und offenbar könnte die gleiche Anisotropie,
die den Dotter ventralwärts zieht, auch das für P x bestimmte Kernsubstanzensortiment
als adäquater Reiz nach unten lenken. A b e r dieselbe Notwendigkeit gälte nicht nur hier,
sondern für den gesamten Differenzierungsplan. Ü b e r a l l d a , w o p r o s p e k t i v u n g
l e i c h e Z e l l e n o d e r Z e l l f a m i l i e n i h r e n U r s p r u n g n e h m e n , w ü r d e im
P l a s m a d e r b e t r e f f e n d e n M u t t e r z e l l e t y p i s c h g e r i c h t e t e P o l a r i t ä t a l s
u n e n t b e h r l i c h e s O r i e n t i e r u n g sm i t t e l fü r d i e S p in d e l v o r a u s g e s e t z t . Das heißt,
wir brauchten im ganzen genau so viele plasmatische Verschiedenheiten, als es morpho-
genetisch selbständige Zellen und Zellfamilien gibt. Und alle diese Verschiedenheiten
müßten — wegen des Mosaikcharakters der Ascarisontogenese — bereits im E i in fester
Ordnung vorhanden sein. — Damit aber sähen wir uns, um nur die Annahme einer vom
Kern ausgehenden Determination in denkmögliche- Form zu bringen, zur Forderung genau
der gleichen plasmatischen Parzellierung gedrängt, der vorhin für die Hypothese im Zellleib
lokalisierter Determinationsgründe beansprucht wurde. U m d i e s e s Z u g e s t ä n d n i s : . d i e
P r ä f o r m a t i o n a l l e r Z e l l e n s o r t e n im P l a s m a k ö r p e r d e s ' E i e s u n d e r b -
u n g l e i c h e P l a sm a t e i lu n g , k äm e n w i r a l s o k e i n e s f a l l s h e rum . Nun wird man
sich zwar sagen müssen, daß eine plasmatische Organisation, die für nichts weiter als
nur die typische Einstellung polar differenzierter Spindeln- zu sorgen hat, nicht so kompliziert
zu sein brauchte, als eine solche, die s ä m t l i c h e Geschehensarten der Formbildung
determiniert: in beiden Fällen stimmte die Zahl und L a ge der im E i präformierten Zell-
protoplasmen überein; aber in n e r h a lb des einzelnen Territoriums wäre hier eine geringere,
dort eine größere Komplikation erforderlich. Immerhin stellte s ich die Notwendigkeit, außer
der Vorbereitung aller Geschehnisse im Kern auch noch die komplete Organisation des
Protoplasma anzunehmen, als eine Belastung der nuclearen Hypothese dar, die den ökonomischen
Vorrang der rein plasmatischen Determination entscheiden dürfte.
Fassen wir zusammen, so ergibt die Apriori-Berechnung über Art und Wertverhältnis
der vorhandenen Lokalisationsmöglichkeiten folgendes : Am sparsamsten wäre die Hypothese,
d aß die differenzielle Formbildung der Ascariszellen auf angeborener Verschiedenheit ihrer
Protoplasmakörper beruhe* die ihnen durch e r b u n g l e i c h e Z e r ï è g u n g e i n e r im E i -
p la sm a p r ä f o rm i e r t e n O r g a n i s a t i o n übertragen wird. Etwas höhere Ansprüche stellt
die zweite Hypothèse, wonach die erbungleiche Teilung einer K e r n o r g a n i s a t io r i u n t e r
Z u h i l f e n a h m e p l a sm a t i s c h e r D i f f e r e n z i e r u n g die Formbildung determiniert. Die
Annahme einer r e in nuklearen Determination ist, als bei Ascaris undurchführbar, ausgeschieden.
Jetzt aber tritt die Analyse teratologischen Materials, die von B o v e r i bereits eine
Strecke weit gefördert worden ist, in ihr Recht. E s soll sich zeigen, ob das ökonomische
Rangverhältnis der beiden zulässigen Lokalisationshypothesen auch den Tatsachen der abnormen
Entwickelung gegenüber bestehen bleibt. Hierbei beginnen wir naturgemäß mit
einer Darstellung und Kritik der von B o v e r i beigebrachten Argumente.
B. Die doppelbefruchteten Einzeleier und die Einfachzwillinge.
1.
B o v e r i forschte ursprünglich nur nach den G r ü n d e n d e r t y p i s c h g e r e g e l t e n
D im in u t io n . E r fragte sich, ob die Kernschleifen der Ursomazellen deswegen die sonderbare
Zerstückelung erleiden, weil sie von Geburt an, d. h. durch erbungleiche Spaltung der
betreffenden Mutterschleifen anders beschaffen sind, als die aus derselben Mitose hervorgegangenen
Keimbahn-Chromosome; oder ob vielmehr ein ungleicher Zustand der umhüllenden
Plasmakörper das differenzielle Verhalten der (in diesem Falle von Haus aus
gleichwertigen) Chromosome bedingt.
1 RH R K . 2
Schema der simultanen Vierteilung eines doppelbefruchteten
bivalens-Eies. Annahme erbungleicher
Chromosomenspaltung.
Der Weg, auf dem B o v e r i sich seinem Ziele näherte, war echt analytisch. In seiner
großen Ascarisarbeit (1899 p. 424) wies er zunächst darauf hin, daß die von H e r l a (1894
Taf. X V I I I , F ig. 81) beschriebenen d o p p e l b e f r u c h t e t e n E i n z e l e i e r m i t v i e r -
p o l i g e r T e i l u n g s f i g u r , falls man über ihr ferneres Schicksal unterrichtet wäre, den ge wünschten
Aufschluß wohl geben könnten. Bei diesen Keimen verteilen sich die anfangs
vorhandenen sechs Chromosome — zwei weibliche und zweimal zwei männliche — regellos
zwischen die Zentrenpaare, fast immer so, daß wenigstens eine der simultan entstehenden
Zoologien. Heft 40. 35