artigen Urdarmzellen in Wahrheit gruppenweise verschieden wären und die typisch g e gliederte
Endkonfiguration auf grund spezialisierter, angeborener Mechanismen der Selbstordnung
und Selbstgestaltung zustande brächten. Allein der Vo rgang verläuft nach D r i e s c h s
interessanter Entdeckung in durchaus proportionaler Weise auch dann, wenn aus irgendwelchen
experimentell herbeigeführten Gründen die Zahl der Urdarmelemente stark abnorm,
z. B. auf die Hälfte verringert ist! Die Zellen des sackförmigen Urdarmes sind also wirklich,
nicht nur scheinbar gleich. Wie ektodermale Blastomere von Ascaris sich ohne Rücksicht
auf die Anzahl der Teilnehmer zum einschichtigen Epithel zusammenfügen, so produziert
eine gro ß e oder kleine Gesellschaft von Urdarmzellen des Echinidenkeimes allemal dasselbe,
typisch geformte G eb ild ; aber nicht eine simple Schicht oder Kugel, sondern die
komplizierte, eigentümlich gegliederte Form des Larvendarmes. Wir geben ohne weiteres
zu, daß Ascariszellen trotz ihrer erheblichen Komplikation und individuellen Leistungsfähigkeit
so etwas nie und nimmer fertig bringen würden. Um so mehr begreifen wir, wenn
Driesch, der nie geneigt war, den Blastomeren komplizierte Einzelfunktionen zuzutrauen, an
der mechanistischen Erklärbarkeit jenes Vorganges total verzweifelt und ihn als Hauptbeweis
für autonom-biologisches Geschehen in Anspruch nimmt.
Nun ist zu vermuten, daß Driesch und andere Vitalisten die weite Kluft, die zwischen
den Leistungen der Ascarisblastomere auf der einen Seite und einem staunenswerten Geschehnisse,
wie die in allen Sätteln gerechte Selbstgliederung des Echinidendarmes auf der
ändern, fraglos immer noch besteht, für prinzipiell und unüberbrückbar halten und die
mechanistische Erklärbarkeit vieler Entwickelungsphänomene nach wie vor bestreiten werden.
Unter solchen Umständen wäre der Wissenschaft bereits gedient, wenn die Wahrscheinlichkeit
oder wenigstens die Möglichkeit sich zeigen ließe, daß die funktionelle Komplikation
der Blastomere über das bei Ascaris erreichte Maß noch wesentlich hinausgehen k ö n n e ,
und zwar in einer Richtung, die uns dem mechanistischen Verständnis jener rätselhaften
Geschehnisse näher brächte. Ich glaube, d aß eine solche Argumentation gelingt. Der W e g
dazu liegt in der A n w e n d u n g d e s p h y l o g e n e t i s c h e n G e s i c h t s p u n k t e s a u f d i e
K a u s a l i t ä t d e r E n tw i c k e lu n g .
D aß eine derartige Betrachtungsweise entwickelungsmechanischer Probleme an sich
berechtigt sei, erscheint den meisten Zoologen selbstverständlich. E s gibt jedoch Entwickelungsmechaniker
von Ruf, die stammesgeschichtliche und selektionstheoretische Auseinandersetzungen
für ungefähr das schlimmste halten, was ein moderner Biologe verbrechen kann.
Noch kürzlich klagte D r i e s c h , daß man „immer wieder Forscher, die man schon ganz zu
den unsrigen zählte, Rückfälle in Darwinismus und Stammbaumzoologie erleben sähe“ ! Das
ist freilich schlimm. E s kommt davon, wenn man aus Neigung und Beruf in zu persönliche
Bekanntschaft mit der eigentlichen Z o o lo g ie : der Systematik und Lebensgeschichte,
vergleichenden Anatomie und Paläontologie der Tiere g e r ä t : da bleibt einem so etwas
hängen. Doch Scherz beiseite. Ich halte die Selektionstheorie und weiß mich darin mit
der großen Mehrzahl meiner Leser eins für unerschüttert; ihr ökonomischer Wert als
mechanistische Erklärung des Zweckmäßigen ist fast unschätzbar. Und über die stammesgeschichtliche
Verwandtschaft von Formen lassen sich Hypothesen bilden, deren W ahr scheinlichkeit
hie und da an Gewißheit grenzt ■=— als ob das in den „exakten“ Wissen-
söhaften so prinzipiell-anders wäre! Die Hauptsache ist, daß bei der hypothetischen Bearbeitung
eines Tatsachengebietes etwas herauskommt. Sehen wir also zu, wieviel etwa an
ökonomischer Erklärbarkeit der Entwickelungsvorgänge durch die verpönte „Stammbaum-
Zoologie“ zu gewinnen ist.
a. Stammesgeschichte der cellulären Einzelformbildung.
1.
Schon früher deutete ich (p. 262) darauf hin, daß eine Ascariszelle sich in der Formbildung
nicht wesentlich anders als ein selbständiges, freilebendes Protozoon der höheren
Gruppen verhält. Beide verschaffen sich aus inneren Gründen ihre Eigengestalt, bestimmen
autonom den Zeitpunkt, die Richtung, eventuell die Inaequalität ihrer Teilung; sie sind mit
Mechanismen der Selbstbewegung ausgerüstet, zu deren planmäßigem Gebrauche auslösende
und richtende Reize von der Nachbarschaft her erforderlich sind. Diese Vergleichbarkeit
von Blastomeren und Protozoen ist nun, wie ich glaube, keine zufällige und bedeutungslose,
sondern beruht auf dem tieferen Grunde der Stammesverwandtschaft, auf wirklicher
Homologie. Vielzellige Tiere sind durch Aggregation und polymorphe Differenzierung aus
einzelligen hervorgegangen, wie der Bienenstaat — ein naheliegender und öfter gezogener Vergleich
— (aus einsam lebenden Jmmen. Und wie noch heute die körperlichen und instinktiven
Eigenschaften bei Honigbienen und ihren solitären Verwandten vielfach identisch
sind, mindestens aber, soweit sie differieren, den Stempel gemeinsamen Ursprunges an sich
tragen (v. B u t t e l - R e e p e n 1903), so müssen auch Metazoenzellen und Protozoen in struktureller
und funktioneller Hinsicht vergleichbar' sein.
Eine hierauf gerichtete Betrachtung hat offenbar von derjenigen, weit in der Phylo-
genesis zurückliegenden Stelle auszugehen, wo die Verwandtschaft der beiderlei Gebilde am
engsten, ihr Unterschied darum am kleinsten war : dem Übergange vom Reich der Protozoen
zur niedrigsten Metazoenstufe. W ir müssen vor allem erfahren, wieviel von derjenigen
cellulären Komplikation, deren die ersten Metazoen zu ihrer Formbildung bedurften, ihnen
als Erbteil von ihren einzelligen Ahnen fix und fertig zugefallen war.
Die herrschende Lehre erblickt die Urform aller höheren Vielzelligen in der kugeligeinschichtigen
„ B l a s t a e a “ und leitet diese wieder von kugelförmigen F l a g e l l a t e n k
o lo n i e n ab. Zwischen beiden hatte sich bei aller Ähnlichkeit der Endzustände ein wichtiger
genetischer Unterschied herausgebildet. Während die Zellen der Flagellatenkolonie auf
jeder Stufe ihrer fortschreitenden Vermehrung gleich und immer echte Flagellaten waren,
schied sich der ontogenetische Stammbaum der Blastaea mehr und mehr in definitive, die
eigentlichen Lebensfunktionen versehende „Gewebezellen“ und in die nur dem typischen
Aufbau dienenden „Blastomere“ . Und dieser divergenten Bestimmung entsprechend wurde
die Summe formativer Eigenschaften, die jede Flagellätenzelle in sich vereinigt hatte,
anderweit verteilt. Nur die erwerbstätigen „Gewebezellen“ erhielten noch eine komplizierte, zunächst
wohl ziemlich flagellatenähnliche Spezialgestalt mit Cilien, Mund und Vakuole. Für
Blastomere war alles dies unnütz und wurde mit der Zeit so gründlich abgeschafft, daß
ihre sichtbare gestaltliche Differenzierung zur Stufe der Isotropie, wie bei den ruhenden
Amöben, heruntersank. Dahingegen waren die Blastomere der Notwendigkeit, die Richtung