des ventralen Zellenmaterials schien mir zu einer analytischen Inangriffnahme ihrem Wesen
nach nicht klar g en ug; und daß das Phänomen des „Verharrens“ in einer prinzipwidrigen
.Anfangsstellung aktiver Natur sein müsse, hatte ich damals überhaupt nicht erkannt. Ich
.glaubte nun, für sämtliche Umordnungen des primären Ektoderms, bei denen in der Tat
allemal die räumliche Vereinigung ursprünglich getrennt gewesener Blastomere nachgewiesen
werden konnte, mit der verhältnismäßig sparsamen Annahme i s o t r o p - c h e m o t a k t i s c h e r
R e i z V o r g ä n g e auszukommen. Wenn z .B . im Stadium V I I I (Fig. T T T , p. 190) ein isotropes
Attraktionsverhältnis zwischen der vorderen rechten Ektodermzelle a und der um eine reichliche
Zellenbreite von ihr entfernten Schwanzzelle C bestand, so mußten diese beiden Blasto-
jnere unter Trennung des zwischen ihnen liegenden Schwesternpaares b und ß zusammentreten.
Desgleichen genügte zur typischen Orientierung des achtzelligen Ektoderms (vgl. F ig . X X X ,
p. 201) eine isotrope Attraktion zwischen den Zellen a l l und b l : indem diese beiden sich
aktiv vereinigen, drängen sie die Schwesterzellen a l und a l l um Zellenbreite auseinander.
Und ebenso ließen spätere Dislokationen des Ektoderms, besonders auch diejenigen, die
vom Stadium X L V I I I an eine so wichtige Rolle in der Gesamtformbildung des Embryo
spielen, eine entsprechende Beurteilung zu.
Allein schon damals empfand ich die Unmöglichkeit, die Orientierung des v i e r z
e l l i g e n S t a d i u m s — jenen „wunderbarsten Vo rg an g “ aus der Ontogenese von
Ascaris, wie ich sie nannte — ebenfalls rein auf isotrop - chemotaktische Mechanismen zurückzuführen.
Zwar zeigte ich (1896 a p. 163), daß die typische Verwandlung des vierzelligen
T in eine Rhombenfigur zur Not als das Ergebnis einer gleichzeitigen Anziehung
zwischen den Zellen P 2 und B und A b s toßu ng zwischen P 2 und A gedeutet werden könnte.
A ber durch eine nicht allzu seltene rhythmische Variante wurde die Nutzlosigkeit dieses
künstlichen Erklärungsversuches sogleich enthüllt. Da nämlich das untere Zellenpaar im
Stande ist, seine Schwenkung zu beginnen und bis zum typischen Ende durchzuführen, e h e
d i e o b e r e F u r c h u n g s k u g e l ih r e S c h e id u n g in A u n d B v o l l z o g e n h a t , so
müßte offenbar die angenommene entgegengesetzt - chemotaktische Leistung dieser beiden
Blastomere schon in der Mutterzelle A B durch eine polare Verteilung anziehender und abstoßender
Tätigkeit vertreten sein; das heißt, die Zelle A B verhielte sich in ihrer chemotaktischen
Betätigung anisotrop. Nun schien mir aber zu jener Zeit die Annahme unsichtbarer,
fest geordneter Anisotropie im P l a sm a einer Ascariszelle mehr als gewagt. So griff
ich zu der Verlegenheitshypothese, daß ja vielleicht die S p in d e l der Zelle A B , die schon
eine Weile vor der Durchschnürung des Zellleibes ausgebildet und in die typische Medianrichtung
eingestellt ist, die ungleichpolige Reizwirkung auf das ventrale Zellenpaar vollbringen
könnte.
Seitdem hat sich viel geändert. Die. Existenz pläsmätischer Anisotropien für allerhand
Zwecke der Formbildung wurde mit Sicherheit festgestellt. Auch lernten wir die Epithelbildung
bereits als eine Art von Selbstgruppierung der Blastomere begreifen, die fraglos
durch anisotrope Richtungsreize vollzogen wird. Dann aber gebietet uns die Ökonomie, aus
der Schwenkfähigkeit des ventralen Paares bei ungeteilter oberer Furchungskugel den einfachen
und natürlichen Schluß zu ziehen, daß eben d ie Z e l l e A B a u f G r u n d e in e r f e s t
g e o r d n e t e n D i f f e r e n z i e r u n g ih r e s P l a s m a l e i b e s a n i s o t r o p c h e m o t a k t i s c h
t ä t i g is t. Zum Beispiel würde der typische E r fo lg durch eine lokalisierte Anziehung von
derjenigen median, kaudal und etwas bauchwärts gelegenen Stelle aus, d i e s p a t e r z u r
K o n t a k t f l ä c h e w i r d , g ew ä h r l^ te t seih? (Fig. Y Y Y i). Bei. der Teilung der oberen
Furchungskugel aber ginge die Anisotropie auf die hintere Tochterzelle über (Fig. Y Y Y 2)
und diente däiselbst in analoger Weise als Richtänjjsreiz.
1 r r r . 2
Schema eines hypothetischen Mechanismus für die Umordnung der zweizeiligen Ventralfamilie.
Die Attraktionsstelle des Ektoderms ist schraffiert.
Wenn also dieser wichtigste Fall von aktiver Selbstordnung die Einführung anisotroper
Mechanismen unentbehrlich macht, so bleibt doch die benötigte Komplikation insofern
noch in mäßigen Grenzen, als von den zusammenwirkenden Zellen n u r e in e anisotrop
beschaffen sein m u ß : die den Richtüngsreiz liefernde. Die Zelle P 2 aber, die auf den Reiz
mit amöboider Bewegung reagiert, könnte, ohne den typischen Endzweck zu gefährden, mit
ihrer ganzen Oberfläche für den Reiz empfänglich und zu seiner Beantwortung befähigt sein.
4.
Das Vorkommen anisotroper Reizmechanismen ist jedoch keineswegs auf diesen
einen, evidenten Fall beschränkt. Denn in der Ascarisontogenese spielt eine Form von
aktiver Selbstordnung, an deren Existenz ich frü h e r . gar nicht glauben wollte, weil sie
mir allzu kompliziert erschien, eine bedeutende R o lle : gegenseitige Lageveränderung s i c h
b e r ü h r e n d e r Zellen. E s g i b t N a c h b a r z e l l e n , d ie a k t i v u n d o h n e M i tw i r k u n g
f r em d e r E l em e n t e a n e in a n d e r v o r ü b e r g l e i t e n , u n d B l a s t o m e r e , d i e s i c h
a k t i v a u f d e r S t e l l e d r e h e n . W e d e r d a s e in e n o c h d a s a n d e r e w ü r d e d u r c h
i s o t r o p - c h e m o t a k t i s c h e W e c h s e lw i r k u n g d e r b e t e i l i g t e n Z e l l e n e r k l ä r b
a r s e in .
Einer der durchsichtigsten Fälle dieser Kategorie ist jenes hübsche, von M ü l le r genau
beschriebene Ereignis aus der späteren Entwickelung, wobei zwei parallele, von der
Schwanzzelle abstammende Zellenreihen sich beinahe plötzlich zu einem einzigen, schnur-
gerad ausgerichteten Bande ineinanderschieben (p. 188). Es ist zunächst klar, daß diese
Urriordnung keinesfalls durch eine bloße isotrope Anziehung zwischen Angehörigen der
beiden Reihen selber bewirkt werden kann; denn im Kontaktverhältnis stehen die Zellen
ja ohnehin, und mehr als das ließe sich hierdurch nicht erreichen. Dennoch kämen wir mit
isotropen Mechanismen aus, wenn wir annehmen dürften, daß diejenigen Zellen d e s p r i m
ä r e n E k t o d e rm s j von denen die Doppelreihe beiderseits flankiert wird, an der Kausalität
des Vorganges beteiligt wären: bestände zwischen jeder Einzelreihe und den um
Zoologloa. Heft 40. 27