Provinzen Indiens, habe ich mich überall der Gastfreundschaft
dieser Herrn Offiziere, die in den Civildienst getreten sind, zu
erfreuen gehabt, und ich rechne die Tage, die ich bei ihnen verbrachte,
zu den angenehmsten und lehrreichsten meiner Erinnerung.
Durch ihr Militärleben an einen raschen Blick und
praktische Auffassung der Dinge, gewöhnt, finden sie sich bald
in den Verhältnissen zurecht, deren Ordnung ihnen ihr neuer
Dienst als Administratoren und Richter auferlegt. Da das Urtheil
nicht an vorgefassten Theorien oder an überklugen Sophistereien
kränkelt, wird es ihnen nicht schwer, den Eingeborenen so zu
verstehen, wie er ist, und ihn dem entsprechend zu behandeln.
Mit der Beschäftigung wächst ihr Interesse und man findet viele
unter ihnen, die tiefeingehende Studien über die Sprache, über
Sitten und Gebräuche gemacht haben. Wenn einmal die Neigung
dafür geweckt ist, giebt ihnen ihre Stellung grosse Erleichterung,
da ihnen, als der höchsten Behörde des jedesmaligen
Districtes, Alles zu Gebote steht. Manchmal wenn im Laufe des
Gesprächs Punkte angeregt wurden, über die sie mir selbst keine
Auskunft geben konnten, so bedurfte es nur eines Winkes und wir
waren im nächsten Augenblicke von allen denjenigen Autoritäten
der Stadt umgeben, die unsere Zweifel, ob über politische oder
über religiöse Institutionen, lösen konnten. In diesen englischen
Proconsulen erkennt sich die Weltbestimmung der anglosäch-
sischen Ra§e. In Provinzen, grösser wie ein Königreich, trifft
man einige wenige, vielleicht nur einen Beamten, der eine unterworfene
Nation fremden Stammes, fremder Sprache, fremder Religion,
durch seinen natürlichen Verstand regieren muss (denn
die bestehenden Gesetzbücher verwirren mehr als sie nützen), und
der diese Aufgabe, mittelst seiner geistigen Ueberlegenheit und
mit Hülfe eines gesunden Kopfes mit Leichtigkeit löst.
Am nächsten Morgen machte mich Capitain Plant mit dem
amerikanischen Missionar Herrn Thomas und Frau bekannt, die
medicinischen Rath für ihr Kind wünschten. Dort trafen wir eine
junge Karenfrau, eine grosse Berühmtheit der dortigen Gegend.
Sie war als eine Prophetin unter den Bergstämmen aufgestanden,
die baldige Ankunft des erwarteten Retters Morley verheissend,
eine Hoffnung, die sie auf ein altes Schifferlied gründete, worin
von einer Pagode, die einst auf hohen Bergen gestanden, als
dem Versammlungsort der Vorfahren gesprochen und eine
Einigung verheissen wird. Herr Thomas erzählte aus ihrer Geschichte
folgende Einzelheiten: „Vor ungefähr drei Jahren rief
diese Frau grosse Aufregung in der Morley-Secte, zu der sie gehörte,
hervor, indem ihr Offenbarungen gekommen waren, nach
welchen der grosse Nat (Gott oder Dämon), ihr Vater, bald seinen
Fuss auf die Erde setzen und diese dadurch mit Wasser überschwemmen
würde, die Sünder zu tödten und Alle zu reinigen.
Seine Anhänger werden dann mit ihren Gegnern kämpfen, dieselben
überwältigen und die Weltherrschaft erlangen, bis sie, am
Ende der Dinge, in goldenem Wagen zum Himmel aufgeführt
werden würden, die Freuden des Paradieses zu gemessen. Von
allen Seiten strömten Fanatiker herbei und sassen für Tage und
Nächte, der Rede dieses Weibes lauschend, indem sie behaupteten»
weder Speise noch Trank zu bedürfen, so lange wie sie ihr zuhören
könnten. Wundergesehichten kamen überall in Schwung über
das Himmelsmädchen. Ihr Haar war lang genug, um sie vom
Kopf bis zum Fuss .zu bedecken, ihre Nägel waren seidenweich
und ein Glorienschein umstrahlte sie täglich, wenn sie bei
Sonnenuntergang aus ihrer Wohnung trat. Man brachte ihr
blecherne Kronen und andere Insignien der Königswürde, in
Nachahmungen, wie sie das arme Volk aus irgend welch billigem
Material fertigen konnte, bis zuletzt die englische Regierung alle
diese Dinge confisciren liess und auf das Anerbieten eines katholischen
Priesters, die Kur der Visionärin zu übernehmen, sie
demselben übergab. Dieser Franzose taufte sie und entliess sie
als geheilt, als sie aber bei ihrer Rückkehr wieder neue Unruhen
erregte, wurde sie in die baptistische Mission geschickt, wo sie
jetzt mit ändern Karenschülern zusammenlebt. Ihr erster Mann,
von dem sie drei Kinder hatte, neigte"sich zum Christenthum und
besuchte oft ein nahegelegenes Dorf christlicher Karen. Sie
scheint von ihm die christlichen Ideen erhalten zu haben, die
sie zusammen mit mahomedanischen in ein System aufgemischt
hat. Sie lebte später mit einem zweiten Manne, der aber seiner