Als wir am nächsten Morgen mit der Dämmerung aufbrachen,
begegnete uns eine Reihe von Karren, in denen die Passagiere
und Kutscher im festen Schlafe lagen, während die Ochsen mechanisch
den Weg hinzogen. Als wir sie aufweckten, um die
Strasse frei zu machen, hörten wir, dass sie von einem in der Pagode
Paya-tzu aufgeführten Poeh (Schauspiel)’kämen. Bald kamen
wir an der Stelle vorbei, wo eine ganze Gruppe von Pagoden zusammenstand.
Die Strasse ‘entlang kamen 2 0 - 30 Knaben, mit
Gocosnilssen , Bananen, Zeug u. s. w. wohlbeladen , und hinter
ihnen gingen drei Pungyi, die sich bei der Festlichkeit alle diese
Dinge zur Freude der Geber hatten schenken lassen. Weiterhin
sahen wir die Zwillingspagode Nyinaunde, die eine röth, die andere
weiss, von zwei Brüdern erbaut, und zwischen den Bäumen
hindurch blickten die Häuser des Dorfes Wund winde, dessen
Frauen um den Brunnen versammelt standen. Zum Frühstück
wurde Halt gemacht in einem Zayat der Tju-Paya-Pagode
neben einem Kloster. In der inneren Halle fand sich ein grosses
Götterbild hinter einem Tische, auf den zum Göttesgericht zwei
Kerzen gestellt werden. Derjenige, dessen Kerze zuerst niederbrennt,
wird für schuldig erklärt. Hinter der Statue lebt eine
' grosse "Schlange, die mit Gold und Silber gefüttert wird. Wenn
Jemand vor die Figur tritt und einen Meiheid schwört, so folgt
sie beim Weggehen dem Sünder, packt und verschlingt ihn. In
mondhellen Nächten kommt sie heraus, aus dem Brunnen im
Klosterhofe zu trinken. Als ich dorthin ging,'/dasselbe zu thun,
fand ich auf ihm ein paar kleine Knaben aus der Klosterschule sitzen,
die ich Uber die Schlange befragte. Sie zeigten mir Spuren im
Sande, als die Linie, in der sie nach dem Brunnen gekommen.
Sie wandere auch sonst umher, meinten sie. Einer erzählte, dass
er einst bei Nacht auf dem Felde ein sonderbares Geräusch gehört
und geglaubt habe, es sei ein Tazeit (böser Geist), Beim
Hinblicken aber habe er die Umrisse der Schlange erkannt.
Während des Frühstückes kam ein Mann, der ein Pferd zum
Verkauf anbot. Sonst war im Dorfe von Nahrungsmitteln nichts
zu haben, da der Bazaar erst Abends abgehalten wird, wenn die
Karren zur Nachtrast ankommen. Als wir weiter zog6nji:feah
ich seitwärts im Felde eine weisse Pagode stehen, die ein Ayoh-
Oh oder Ayoh-Dzedi (Knochentempel) genannt wurde, weil Uber
den Gebeinen eines verstorbenen Pungyi erbaut. Ich liess die
Wagen vorausfahren und ging hin, sie zu besichtigen, als mir
aus einem Busche ein Mann, mit gezogenem Säbel in der Hand,
ungestüm entgegentrat und mit rauher Stimme fragte, wohin ich
ginge. Da ich vor der Antwort die Hand an den Griff des
Revolvers gelegt hatte, den -er aus dem Gürtel hervorblicken sehen
konnte; wurde er indess höflicher und entschuldigte sich, dass er
mich aufgesucht habe, um über ein Pferd zu sprechen, das meine
Absicht gewesen sein sollte zu kaufen. Die Knochenpagode war
ohne Eingang, aber mit verschiedenen Inschriften bekritzelt. Die
Birmanen unterscheiden durchschnittlich vier Arten von Öetib,
die Öatu-öetih, worin Reliquien eines Buddha oder eines Heiligen
niedergelegt sind, die Dhamma-öetih, zur Aufbewahrung heiliger
Schriften, die Paribhoga-öetih, die eine der acht geweihten Ge-
räthschaften einschliesst, und die Uddhisa-öetih, die Weihgegenstände
enthält. Den Kern der Pagode bildet der lotusartige
Dagob, als der Behälter des Heiligthums, obwohl derselbe oft
unter der Vervielfachung des bunten Nebenwerkes fast ganz verschwindet.
Als ich die Karren wieder einholte, kamen wir an einem
prächtigen Blumenbeet vielfarbiger Lotus vorbei, die die ganze
Oberfläche eines Klosterteiches bedeckten. Einer der Pungyi
schickte seinen Knaben, mich um die Ehre eines kurzen Besuches
zu bitten. Er empfing mich mit den gewöhnlichen Freundschaftsbezeigungen
und fragte mich, ob ich den birmanischen Gott verehre.
Es folgte dann eines der den Buddhisten geläufigen Gespräche
Uber die wahre Religion, ob nur eine die einzig richtige
wäre, oder ob sie alle aus derselben Wurzel hervorgewachsen
und nur verschiedene Gestaltungen zeigten, wie die Hautfarbe der
Völker in den verschiedenen Ländern. (Sicut Deus dedit man ui
diversos digitos, ita dedit hominibus diversas vias, hörte Ruysbroek
vom Mongolen-Chan.) Er schien nicht abgeneigt, zuzugeben,
dass Gautama’s Verbot, keine Thiere zu tödten, auf kalte Länder,
wo Fleischspeisen nothwendig sind, keine Anwendung finden
Bastian. Ostasien. II. -i o