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umwandeln. Sie werden also während ihres Lebens zweimal geschlechtsreif, und zwar in zwei
durch ihren Bau sehr von einander, verschiedenen Formen, so daß wir es hier mit einer D i s s o g o n i e
zu tun haben. Ihre Nachkommen werden sich wie die der auf der Bahn b zur Form ß gelangten
Tiere verhalten.
Endlich wachsen manche
Würmer auf der Bahn d zu ganz
großen Individuen heran, die sich
jedesmal in die heteronereide Form
y verwandeln. Über deren Nachkommen
wissen wir nichts. Wahr-
. . scheinlich verhalten sie sich wie die b. c. d.
der Form ß.
Es fragt sich nun, ob die
einzelnen Lebenscyklen a, b, c und
d unabhängig nebeneinander bestehen,
so daß die Individuen, welche
sie absolvieren, ebenso vielen Varietäten
der Art entsprechen, oder ob
sie ineinander übergehen können.
Nach meinen direkt gemachten
Erfahrungen kann der
Kreis c mehrmals durchlaufen werden,
denn ich sah die Nachkommen
der Form ß auf diesem Wege wieder
zur Form ß werden. Die anderen
Lebenskreise wurden nur höchstens
einmal durchlaufen, so daß sich
über ein etwaiges Ineinandergehen
derselben nach meinen Zuchtversuchen
nichts sagen läßt. Es
scheint aber vieles dafür zu sprechen,
daß die einzelnen Kreise wirklich
ineinander übergehen können, wie
das ja schon die Bahn c andeutet.
Außerdem ergibt sich das aus der
Formenkreis der Nereis dumerilii
Fig. 14.
(schematisch Zeichenerklärung
Tatsache, daß die weitaus meisten der in meinen Gläsern geschlechtsreif werdenden Würmer in der
Form ß endeten. Wenn nun die Nachkommen dieser Form immer den Kreis b wandeln müßten,
so hätten viel mehr Tiere, nämlich etwa die Hälfte meiner zur Reife kommenden Würmer, in der
Form a Nachkommen erzeugen müssen, da auch in der Natur mindestens ebensoviele Würmer der
Form « wie der Form ß gefunden werden. Ob die Form y, so wie es C l a p a r e d e und v o n
W i s t i n g h a u s e n angeben, nur auf dem Wege d in direkter Wachstumslinie erreicht werden
kann, oder ob manchmal oder immer eine, erste Reifeperiode in der Form cc in diesen Weg einge-
schaltet wird, also abermals Dissogonie vorliegt, läßt sich nach meinen Zuchtversuchen nicht
entscheiden. Endlich besteht noch die Möglichkeit, daß in der Bahn a eine zweimalige oder mehrmalige
Reife einunddesselben Individuums in der Form a durchlaufen wird, da wir die Tiere dieser
Form recht verschieden groß und darum wohl auch verschieden alt antreffen, so daß die einen von
ihnen bereits einmal geschlechtsreif gewesen sein könnten, dann aber notwendigerweise in der Forma.
Ziehen wir nun noch die hermaphrodite Form <3 mit in Betracht, so ergibt sich eine ungeheure
Menge von möglichen Kombinationen zwischen den einzelnen Lebensläufen. Nur weitere,
möglichst über mehrere Jahre fortgesetzte Züchtungsversuche können hier sicheren Aufschluß geben.
Tritt uns nun auch bei der rein morphologischen Betrachtung des Formenkreises unserer Nereis
dumerilii eine erdrückende Fülle von möglichen Entwicklungscyklen entgegen, so wird diese durch
eine mehr physiologische Betrachtung doch wenigstens etwas geklärt. Meine Zuchtversuche scheinen
unmittelbar zu ergeben, daß sich das Schicksal der jungen Würmer beeinflussen läßt durch die äußeren
Lebensbedingungen. Und zwar können wir mit Sicherheit annehmen, daß ungünstige Verhältnisse,
vor allem zu geringe, ungenügende Ernährung die Tiere veranlassen, sich möglichst bald in die Form ß
zu verwandeln.
Während unsere Ne/reis bei einem mehrmaligen Durchlaufen der Bahn a befähigt ist, in
einem wenig ausgedehnten, vielleicht recht günstige Existenzbedingungen bietenden Bezirk eine
große Nachkommenschaft zu erzeugen, die sich nur innerhalb dieses Bezirks verteilt, so ermöglicht
es die Form ß, die Art weiter zu verbreiten und sie von ungünstigen Wohnplätzen weit wegzuführen.
Die Form a vermehrt die Art, die Form ß verbreitet sie. Über die Form y läßt sich gegenwärtig
noch nichts sagen, doch neige ich dazu, in ihr nichts anderes als besonders groß gewordene, besonders
alte Tiere zu sehen, die sich nicht typisch von der Form ß unterscheiden, zumal da ich Über 7
gangsgrößen zwischen beiden fand. Stimmt diese meine Annahme, so würden die Würmer der
Form y in bezug auf den Nutzen ihres Baues für die Nachkommenschaft eine Mittelstellung zwischen
den Formen a und ß einnehmen, indem sie selbst sich zwar nicht weit von dem alten Wohnbezirk
entfernen können, wohl aber ihre Nectochaeta-Nachkommen wieder die Art verbreiten, wenn
auch nicht in dem Maße wie die Geschlechtstiere der Form ß.
Die Schwärmzeit der Form ß wird beeinflußt von dem Phasenwechsel des Mondes. Da
gelegentlich ungeheure Brutschwärme von Nereis dumerilii plötzlich erscheinen, so muß der Mondwechsel,
wenn er auf die Zeit des Losbrechens solcher Schwärme überhaupt einwirkt, auch schon
die vorhergehende Reifung der Geschlechtsprodukte beeinflußt haben, denn sonst könnten solche
Massen von Würmern nicht gleichzeitig geschlechtsreif sein. Für das tatsächliche Vorhandensein
eines solchen die Würmer bereits lange Zeit vor dem Schwärmen zur Umwandlung veranlassenden
Reizes sprechen auch die Termine des Schwärmens selbst. Vielleicht bewirkt außer diesem Hauptreiz,
dem primären, noch ein sekundärer, erst kurz vor dem Losbrechen der Brutschwärme in die
Erscheinung tretender Reiz das spontane Geschehen dieses Vorganges. Die Einwirkung des Mondes
beruht auf dem von diesem ausgehenden Licht und ist wohl nur eine mittelbare, indem sie wahrscheinlich
ein Verhalten der Tiere hervorruft, das dann erst die Entwicklung der Geschlechtsprodukte
zur Folge hat, mit der die eine einigermaßen konstante Zeit dauernde Umwandlung der
äußeren Form des Tieres notwendig verbunden ist. Daß der Mond auf die Gestaltung der geschlechtsreif
en Form selbst einwirkt, daß er also ein die Formen a, ß, oder y mit bedingender Faktor sei,
scheint dagegen ausgeschlossen.
Zoologien. Heft 62. 1 6