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 Form gegenüber  skeptisch verhalte,  so  glaube  ich  dennoch,  einen  allgemeinen Gesichtspunkt  
 hervorheben zu können, dem sich die Cyclomorphose von B. c. longicornis und B. c. berolinensis unterordnet, 
  und der, wie sich zeigen wird, gleichzeitig für die übrigen Formen der Coregoni-Beihe Gültigkeit1)  
 besitzt1).  Dieser Gesichtspunkt  ist  zuerst von Wesenberg-Lund  bei  seinen Untersuchungen  über  die  
 Cyclomorphose  der  Daphnien  entwickelt  und  auch  auf  die  Temporalvariation  von  Formen  der  
 Eucoregoni-Gruppe von B. coregoni angewandt worden.  Was die Daphnien anbelangt,  so wies Wesenberg 
 Lund  nach,  „daß  die  verschiedenen  Lokalrassen  der Daphne  hyalina,  die  er  in den  dänischen  
 Seen  beobachten  konnte,  ihre  Rassencharaktere  nur  in  den  Sommerformen  ausgeprägt  haben,  daß  
 aber  die  Formen  der  kälteren  Jahreszeiten so  gleichförmig  erscheinen,  als  ob  alle  ein  und  derselben  
 Rasse angehörten.  Die von ihm untersuchte D. hyalina der Insel Island andererseits glich den Winter-  
 und Frühjahrsformen  der  dänischen Seen und  zeigte keine  sommerlichen Variationen.  Es  erscheint  
 ihm  darum wahrscheinlich,  daß  die  allgemeine Winterform unserer  Seen eine Reminiscenz“ 2)  an  eiszeitliche  
 Bedingungen  ist,  und  daß  die  verschiedenen  Sommerrassen Anpassungen  darstellen  an  die  
 im  Gefolge  der  steigenden  Temperatur  sich  einstellenden  Veränderungen  der Viscosität,  die  in  den  
 verschiedenen  Seen  in  verschiedenem  Maße  und  in  verschiedener  Richtung  erfolgten. 
 Auch  für  die  sämtlich  der  Eucoregoni-Qruppe  angehörigen  lokalen  Rassen  von  B.  coregoni  
 aus  dänischen Seen konnte Wesenberg nachweisen,  daß  sie  im Winter kaum noch  lokale Charaktere  
 aufweisen.  Ich  glaube diesem Gedanken  auf Grund meiner Beobachtungen  noch  allgemeinere Ausdehnung  
 geben  zu  können,  indem  ich  ihn  nicht  nur  auf  einander relativ nahestehende Lokalrassen  
 einer  bestimmten  Formengruppe,  sondern  auf  die  einander  viel  fernerstehenden  Formen  sämtlicher  
 Gruppen  der  Coregoni-Reihe  anwende. 
 Ich glaube  ganz  allgemein nachweisen zu  können,  daß  die  Wi n t e r zu s t än de   s ämt l i c h e r   
 Forme n   der   Coregoni-Reihe  (auf letztere beschränke ich mich) phy l o gen e t i s c h  ä l t e r e  und  
 weni ge r   spezi a l i si e r t e   C ha r a k t e r e   au fwe isen  als  die  Sommer fo rmen ,  un d  daß  somit   
 einma l   die  Wi n t e r z u s t ä n d e   der   ei nzel n en   Fo rme n   einan d e r   n äh e r   s t e h e n   als  die  
 Sommerzustände,  un d   a n d e r e r s e i t s   ei nen  Sch r i t t   rü ckwä r t s   in  der   Ri c h tu n g   auf  
 die  Stammf o rmen   h i n   becleuten. 
 Um  nun  zur Cyclomorphose  der B.  c.  berolinensis  und  longicornis  zurückzukehren,  so  ist  die  
 Annäherung der Winterzustände beider Formen aneinander ganz fraglos  und geht so weit,  daß  es in  
 den meisten Fällen nicht möglich ist, die Spätwintertiere derselben zu unterscheiden (vgl. pag. 33 und  
 34).  . (Auch  Frühwinterformen,  die  noch  in weit  stärkerem Maße  die  sommerlichen  Charaktere  an  
 sich tragen,  sind mitunter schon schwer zu unterscheiden,  und es finden sich hier besonders reichlich  
 Übergangsformen, die im Sommer äußerst selten sind.)  Es rührt dies daher, daß viele unterscheidende  
 Merkmale, wie z. B. Länge, Form und Projektion der Antennen, Länge und Richtung des Mucros etc.  
 bei  der  starken winterlichen Reduktion  dieser Körperanhänge  nicht mehr  hervortreten. 
 Noch  frappanter  aber  ist  die  Annä he r un g  der  Wi n t e r f ormen   von R. c.  b e ro lin e n sis  
 und  B.  c.  lo n g ico rn is   an   die  L o n g is p in a -Reihe,   in  der ich  die Stammformen  der  beiden genannten  
 Subspezies  suche.  Als  ich  zum  ersten Male  (nicht voll ausgewachsene) Spätwintertiere von 
 j)  Mit  der  Hervorhebung  dieses  Gesichtspunktes  soll  natürlich  nich t  die  volle  Berechtigung  der  Frage  nach  der  
 biologischen  Bedeutung  der Cyclomorphose,  die  die Wesenberg-Ostwald’sche  Schwebetheorie  zu  beantworten  sucht,  irgendwie  
 v erkannt  werden.  Es  soll  n u r  ein  gegenwärtig  m.  E.  fruchtbarerer,  weil  leichter  zugänglicher  allgemeiner  Gesichtspunkt  
 als  geistiger  Leitfaden  der  Forschung  herangezogen  werden. 
 *)  Zitiert  nach  Thallwitz  (’10). 
 B.  c.  berolinensis  vor  Augen  hatte,  glaubte  ich  in  der  Tat,  Formen  der  in  Norddeutschland  so  
 seltenen  Longispina-Reihe  vor  mir  zu  haben.  Der  Gedanke,  daß  sich  Saisonformen  von  B.  c.  
 berolinensis  so  stark  an  Longispina-Formen  annähern  könnten,  lag  mir  völlig  fern.  Diese  Annäherung, 
   die  sich  am  ausgesprochensten  bei  jüngeren Spätwinterweibchen,  die nur wenig  Eier  im  
 Brutraum  haben,  äußert,  kommt  bei  B. c. berolinensis  und B. c. longicornis  in  gleicher Weise  durch  
 folgende Momente zustande: 
 1. Der Mucro  von B.  c.  berolinensis besitzt im Winter nicht mehr die enorme,  bei  Longispina-  
 Formen  nicht  vorkommende  Länge  wie  bei  der  Sommerform.  Infolgedessen  sitzt  er  mit  weniger  
 breiter Basis  der Schale  auf  und  ist,  wie bei  Longispina-Formen deutlich  von  dieser  abgesetzt  (vgl.  
 pag.  70).  Der verkürzte Mucro von B. c. longicornis ist andererseits nicht gerade nach unten gerichtet  
 wie  bei  den  Sommerformen,  sondern  zeigt  etwas  schräg  nach  hinten. 
 2.  Bei  jüngeren  Spätwinterformen  ist  infolge  der  geringeren  Schalenhöhe  (H)  die  vordere  
 Dorsalkonkavität, die die Hochsommerformen von Longispina-Eormen unterscheidet, nicht vorhanden. 
 3.  Die  1.  Antennen  sind  bei  beiden  Subspezies  im Winter  in  ihrer  Länge  stark  reduziert und  
 zeigen deshalb nicht mehr die stark gekrümmte (hakenförmige etc.) Form,  sondern sind nur schwach  
 gekrümmt oder fast gradlinig.  Im Zusammenhang damit ist das Rostrum (A+B)  kürzer und stumpfer  
 geworden  und  die  Stirn  etwas  gewölbter. 
 4.  Das  Auge  ist  relativ  größer  als  im  Sommer. 
 5.  Die  absolute  Länge  ist  kleiner  als  im  Sommer. 
 In  dieser  Annäherung  der  Winterformen  von  B.  c.  berolinensis  und  B.  c.  longicornis  an  die  
 Longispina-Beihe  sehe  ich  eine wichtige Bestätigung  der  auf morphologische  und  tiergeographische  
 Gründe gestützten Ableitung der Coregoni-Reihe — und hier in erster Linie der Longicornis-Insignis-  
 Gruppe  —  von  der  Longispina-Reihe. 
 Auffällig  ist  übrigens  auch  die  starke morphologische Ähnlichkeit  einmal  der Männchen  von  
 B.  c.  berolinensis mit  denen  der  B.  c.  longicornis  und  andererseits  dieser  beiden mit  den Männchen  
 der Longispina-Reihe.  Doch ist daraus nicht auf eine Präponderanz der Weibchen bei den Bosminen  
 zu schließen,1)  sondern  diese Annäherung ist darauf  zurückzuführen,  daß  die Männchen Frühwintertiere  
 sind  und  als  solche  eben  die  den  Longispina-Meikmalen  sich  nähernden Frühwintercharaktere  
 zeigen  (vgl.  pag.  91). 
 Ich  wende mich  nun wiederum  der  systematischen Betrachtung  der  Cyclomorphose  zu  und  
 werde  bei  den  einzelnen  Gruppen  oder  Formen  weitere  Belege  für  die  phylogenetische  Bedeutung  
 der Winterformen  liefern. 
 B.  c.  insignis. 
 Zur Gruppe  der  Coregoni-Formen mit wohl  ausgebildetem,  langem  Mucro,  der  sogen.  Longi-  
 cornis-Insignis-Qxiwppe rechne ich außer B. c. berolinensis und B. c. longicornis, die ich selbst studieren  
 konnte,  auch  B.  c.  insignis  Lilljeborg.  Es  interessiert  in  diesem  Zusammenhänge,  wie  die  Cyclomorphose  
 bei  dieser Form verläuft.  Leider liegen darüber  nur  sehr spärliche Angaben  vor,  die von  
 Lilljeborg  (’01)  gemacht  sind.  Derselbe  bildet  von  B.  c.  insignis  ein  Hochsommerweibchen  vom  
 Juli und ein ephippiumtragendes Frühwinterweibchen von Mitte Oktober  ab  und gibt eine Beschreibung  
 dieser Formen.  Die Hochsommerform ist bedeutend größer (800: 400  p.), hat längere 1. Antennen 
 x)  Brehm  behauptet  eine  solche  für  Daphnien.