
große Arbeit, von der Teile, Untersuchungen über die Muskulatur und das Nervensystem,
ihm bereits 1878 als Habilitationsschrift gedient hatten, zeigen C h u n s ganze
Arbeitsweise im besten Lichte. Überall tr itt das Bestreben hervor, den Bau der Organe
aus der Funktion zu erklären, bei aller liebevollen Vertiefung in Einzelheiten bleibt stets
der Blick für die großen Zusammenhänge gewahrt. Gerade die Rippenquallen, deren
zarte Organisation einer Konservierung fast unüberwindlichen Widerstand entgegensetzt,
zwangen zu scharfer Beobachtung des lebenden Organismus; sie ist von C h u n in
solcher Vollendung durchgeführt worden, daß seitdem überhaupt keine größere vergleichend
anatomische Bearbeitung dieser Tiergruppe mehr unternommen worden ist.
Unterstützt wurde er bei der Ausführung dieser Arbeit durch sein hervorragendes Zeichentalent,
das ihm gestattete, die so ungemein zarten und reizvollen Objekte nach dem
Leben in mustergültigen Abbildungen wiederzugeben.
Neben den Rippenquallen tra t nach Abschluß dieser großen Monographie eine
andere Gruppe von Planktonorganismen in den Vordergrund von C h u n s Interesse,
die Siphonophoren. Ihnen gelten von 1880 bis 1890 die wesentlichsten seiner morphologischen
Arbeiten, entsprechend der größeren Fülle der Probleme, welche diese Tiergruppe
mit ihrem Polymorphismus und ihrem komplizierten Generationswechsel bietet.
Auch für sie erwiesen sich C h u n s Arbeiten als so grundlegend, daß sich lange Zeit kein
anderer Forscher eingehend mit ihnen zu beschäftigen gewagt hat. Das intensive
Studium der Coelenteraten wurde der Anlaß, daß C h u n die Bearbeitung dieses Tierkreises
für das große Werk von Bronn: „Klassen und Ordnungen des Tierreichs“ übernahm;
leider ist der spezielle Teil dieser Arbeit nach anfänglicher schneller Förderung
ein Torso geblieben, da größere Aufgaben C h u n s Kräfte in Anspruch nahmen.
Schon bei der Sammlung des Materials zu seiner Ctenophorenbearbeitung war
C h u n den allgemeinen Problemen näher getreten, die der ganze Komplex der als
Plankton bezeichneten Organismen dem Biologen stellt. Seine Fischzüge hatten ihn
gelehrt, daß diese Formen sich nicht, wie man allgemein annahm, auf die obersten
Wasserschichten beschränkten, sondern daß auch eine pelagische Tiefenfauna existierte.
Deren Erforschung wurde nun seine Hauptaufgabe. Er förderte sie nicht nur durch
tiefgreifende morphologische Studien, sondern auch durch Konstruktion sinnreicher
Apparate, die einen Fang in größeren Tiefen gestatteten und besonders ein Mittel gaben,
die Schicht zu bestimmen, aus der die gefangenen Objekte stammten. Diese Schließnetze
haben sich für die weitere Entwicklung der Planktonforschung als ganz besonders
wertvoll erwiesen. Neben häufigen Ferienaufenthalten am Mittelmeer förderte Ch u n ,
der inzwischen 1883 Ordinarius in Königsberg geworden war, diese Untersuchungen
durch eine Reise nach den canarischen Inseln im Winter 1887/8. Die Ergebnisse seiner
Studien und Überlegungen fanden ihren ersten zusammenfassenden Ausdruck in der
großen Arbeit: „Die pelagische Tierwelt in größeren Meerestiefen und ihre Beziehungen
zur Oberflächenfauna“, mit der die von L e u c k a r t und C h u n herausgegebene
Bibliotheca Zoologica im Jahre 1888 eröffnet wurde. In dieser für alle Zeiten bedeutungsvollen,
gedankenreichen Schrift wird ein großer Teil der Probleme entrollt, welche die
Planktonforschung bis in die neueste Zeit beschäftigen; sie gibt uns das Recht, C h u n
als einen der Begründer dieses Zweiges der zoologischen Wissenschaft zu bezeichnen.
Wesentlich erweitert wurden diese Studien durch die Teilnahme C h u n s an
der Planktonexpedition 1889, von deren Material er die Ctenophoren und Siphonophoren
bearbeitet hat.
Die langjährigen Siphonophorenstudien fanden im wesentlichen ihren Abschluß
in einem großen Vortrage auf der Versammlung der Zoologischen Gesellschaft 1897:
„Über den Bau und die morphologische Auffassung der Siphonophoren“. Inzwischen
hatte C h u n auch die verschiedensten anderen Gruppen von Planktonorganismen in
den Bereich seiner Forschung gezogen; als ihr Ergebnis erschien nach mehreren vorbereitenden
Publikationen die: „Atlantis. Biologische Studien über pelagische Organismen“,
im Jahre 1895 seinem Lehrer und Freunde L e u c k a r t zum 50. Doktorjubiläum
gewidmet. Scheinbar zusammenhanglos reihen sich darin Schilderungen von
Organismen aus den verschiedensten Gruppen des Tierreichs aneinander und doch zieht
sich als roter Faden durch das Ganze das Studium der Anpassungserscheinungen, welche
das planktonische Leben mit seinen besonderen physikalischen und biologischen Bedingungen
hervorruft. Zweifellos die größte Bedeutung unter diesen Aufsätzen hat der
über Leuchtorgane und Facettenaugen, in denen Bau und Funktion dieser Organe in
großen Meerestiefen zum ersten Male eine rationelle Darstellung erfuhren.
Alle diese durch zwei Jahrzehnte fortgesetzten Studien hatten Ch u n , der inzwischen
1891 nach Breslau übergesiedelt war, zu einer der ersten Autoritäten in der
Meeresbiologie gemacht und ihn wie keinen Anderen zur Erfüllung der Aufgabe befähigt,
mit der sein Name für alle Zeiten verknüpft bleiben wird, der Vorbereitung und Leitung
der Deutschen Tiefsee-Expedition im Jahre 1898/99. Seinen unablässigen Bemühungen
gelang es, die maßgebenden Stellen im Reiche für eine wirklich großzügige Gestaltung des
Unternehmens zu gewinnen, seinerglänzenden Organisationsgabe und ebenso tatkräftigen
wie taktvollen Leitung ist es zu verdanken, daß die Durchführung sich zu einem vollen
Erfolg gestaltete. Nach einem wohldurchdachten Plane und mit mustergültiger Ausrüstung
arbeitend, hat die deutsche Expedition trotz ihrer relativ kurzen Dauer Resultate
gezeitigt, die sich denen der anderen Nationen würdig an die Seite stellen können.
Der Ausarbeitung der Ergebnisse dieser großen Unternehmung war der wichtigste
Teil von C h u n s Arbeit in den späteren Jahren gewidmet. Er selbst übernahm die
Bearbeitung der Cephalopoden, einer Tiergruppe, die ihm bisher ferner gelegen hatte,
deren überaus mannigfaltige Anpassungen an das planktonische Tiefenleben, wie sie
während der Expedition zu Tage getreten waren, seinen Forschersinn jedoch ganz
besonders reizten. Es ist ihm, dessen Zeit nach der Rückkehr noch durch die Leitung
eines der größten zoologischen Institute in Anspruch genommen war, nicht mehr möglich
gewesen, die Aufgabe zu Ende zu führen, aber die glänzende Bearbeitung der Oegopsiden
und der erste Teil der Octopoden legen Zeugnis für seine ungeschwächte Arbeitskraft
und -Freudigkeit ab.