
sichtlich der übrigen jahreszeitlichen Formzustände ist dieser Übergang noch vollkommener, da
dieselben bei weitem nicht so charakteristische Formen wie die Hochsommerzustände zeigen.
Dieses Resultat ist bedeutungsvoll für die Entscheidung der Ar t f rage, der ich mich jetzt
zuwenden will. Es ist dies die theoretisch weniger wichtige, für die nomenklatorische Praxis aber
bedeutungsvolle Frage, ob den einzelnen Formengruppen und Reihen, die ich im Vorhergehenden
unterschieden habe, Speziescharakter zuzuschreiben ist, oder ob dieselben nur als Gliederungen
innerhalb der Art B. coregoni aufzufassen sind. Ich schließe mich letzterer Auffassung an und akzeptiere
damit den weiten ArtbegrifE von B. coregoni, wie er von Burckhardt aufgestellt ist. Dieser
Standpunkt ist hauptsächlich gegen Stingelin (’08) und Langhans (’09,1 und I I)x) zu verteidigen.
Der Schwerpunkt der Langhans’schen Ausführungen gegen zu weitgehende Zusammenziehungen
der Arten liegt in dem Hinweis darauf, daß mit faunistischen Angaben über das Vorkommen der
B. coregoni Burckhardt bei dem weiten Umfang, den dieser Begriff in Bnrckhardts Sinne hat, tiergeographisch
gar nichts anzufangen ist. Langhans betont, daß, da eine scharfe, allgemeine Definition
der biologischen Spezies nicht möglich sei, der Artbegriff von uns nach Maßgabe der praktischen
(z. B. der tiergeographischen) Bedürfnisse gehandhabt werden müsse.
Der Forderung von Langhans, daß der Artbegriff in erster Linie praktisch brauchbar sein
müsse, kann man nur zustimmen. Es sind jedoch zwei Anforderungen, die an die praktische Brauchbarkeit
des Artbegriffs zu stellen sind:
E r s t e n s muß derselbe, wie Langhans mit Recht verlangt, eine möglichst niedrige systematische
Einheit repräsentieren, er muß ein möglichst inhaltsreicher und dementsprechend umfang-
armer Begriff sein. A n d e r e r s e i t s jedoch muß er, und diese — von Langhans nicht genügend
beachtete — Forderung scheint mir vom praktischen Gesichtspunkte aus noch weit dringlicher zu
sein, ein in aller Schärfe eindeutig faßbarer Begriff sein, dessen Umgrenzung der Willkür möglichst
entzogen ist. Der Artbegriff soll (nach Döderlein) ein Ausdruck sein ,,für die k l e i n s t e n Tiergruppen,
welche sämtliche Individuen umfassen, die einerseits auf Grund von morphologischen Merkmalen
sich von denen anderer derartiger Gruppen noch s c h a r f trennen lassen, andererseits o h n e
Z w a n g u n d W i l l k ü r eine scharfe Trennung in zwei oder mehrere Gruppen nicht mehr
gestatten. Es muß einen Begriff geben“ — und das ist der Artbegriff — „für die engsten noch zuverlässig
abgrenzbaren natürlichen Tiergruppen, die möglich sind. Nur ein solcher Begriff kann die
systematische Einheit darstellen, mit welcher der Forscher sicher zu operieren vermag. Diese scharf
umgrenzte systematische Einheit ist ein unabweisbares praktisches Bedürfnis, ein unentbehrliches
technisches Hilfsmittel für die Wissenschaft“.
Auch diese zweite Forderung erkennt Langhans (’09,1) im Grunde an, indem er schreibt:
„die Spezies muß vor allem erkennbar sein“, und hieraus folgert, daß „wenigstens die Hauptformen
eines Generationszyklus erkennbar sein, d. h. in ihren einzelnen Individuen die Merkmale der Art
hinreichend deutlich zur Schau tragen müssen“.
Um nun auf den vorliegenden konkreten Fall zurückzukömmen, so fragt es sich, ob die Formen
der B. coregoni im weiten Sinne Burckhardts derart lückenlos Zusammenhängen, daß eine scharfe
Trennung derselben ohne Zwang und Willkür nicht möglich ist. Um eine Trennung der mucronaten
von den mucrolosen Formen, an die Stingelin und Langhans denken, kann es sich dabei gar nicht
*) Langhans’ (’11) ausführliche Erörterungen über die Handhabung des Artbegriffs u nd der Nomenklaturregeln in
der Ordnung der Cladoceren enthalten — abgesehen von der in Aussicht gestellten Zusammenfassung der Formen: B. coregoni,
B . gibbera u nd B. thersites u n te r dem Namen B. b a i r d i Langhans keine neuen Argumente betreffs der Artfrage bei
Bosmina coregoni.
handeln, da eine solche ein, wie gezeigt, ganz unwesentliches Merkmal1) hervorheben und die natürliche,
genetische Gruppierung der Formen vollkommen unberücksichtigt lassen würde. Es kann vielmehr
nur die Frage erhoben werden, ob zwischen den beiden natürlichen, phylogenetisch begründeten
Reihen: der Longispina- und Cora/om-Reihe Übergangsformen bestehen? Hier kann ich nun auf
das bei Betrachtung der B. c. berolinensis f. borussica gewonnene Resultat hin weisen: die erwähnte
Form ist tatsächlich eine Übergangsform zwischen beiden Reihen. Bei einer artlichen Trennung
der Longispina- von der Coregoni-~Reih.e wäre die Hauptform (Sommerform der Cyclomorphose)
von B. c. berolinensis f. borussica in der Mehrzahl der Individuen nach morphologischen Merkmalen
nicht eindeutig ihrer Spezies nach zu bestimmen. Aus diesem Grunde sehe ich mich veranlaßt, die
Longispina- und Coregoni-Beihe nicht artüch zu trennen, sondern dieselben in einer Art B. coregoni
zu vereinigen. B. c. berolinensis f. borussica dürfte übrigens als Zwischenform zwischen beiden Reihen
nicht allein dastehen. Namentlich in Skandinavien, das noch einen ungeahnten Formenreichtum
an Bosminen bergen dürfte, scheinen derartige Zwischenformen häufig zu sein. Als solche sehe ich
z. B. die Lilljeborgschen (’01) Figuren auf Tab. XXXVIII, 3, 17 und Tab. XXXIX, 4, 8, und Tab.
XL, 2 an.
Zuletzt noch ein Wort über den Einwand von Langhans (’09,1), daß infolge der weiten Fassung
des Begriffes B. coregoni durch Burckhardt Faunenlisten, in denen B. coregoni Burckhardt auftritt,
für tiergeographische Studien wertlos sind. Dieser Einwand ist doch nicht so gewichtig, wie es scheint;
denn Aufführungen von Bosminen in Faunenlisten sind auch vor Aufstellung des weiten Burckhardt-
schen Artbegriffs stets mit größter Vorsicht zu behandeln gewesen, und das wird wohl auch in Zukunft
so bleiben.2) N u r b e i e i n g e h e n d e r B e s c h r e i b u n g o d e r g u t e r A b b i l d u n g de r
v o l l e n tw i c k e l t e n H o c h s omme r f o rm e i n e r Bo s m i n e l ä ß t - s i c h f ür g ewö h n l
i c h ein e i n i g e rma ß e n g e s i c h e r t e s U r t e i l d a r ü b e r a b g e b e n , wa s f ür eine
F o r m e i n em A u t o r Vo r g e l eg e n hat . Es empfiehlt sich jedoch, um die von Langhans
befürchtete Gefahr zu vermeiden, in Faunenlisten wenigstens anzugeben, ob eine vorliegende
Bosmina-¥oxm der Longispina- oder Core^om'-Reihe und noch besser, welcher Gruppe sie innerhalb
dieser Reihen angehört.
Zum Schluß möchte ich nocheingehen auf die p h y lo g e n e tis c h e Bedeut ung der j ugendl
ichen Cha r akt er e der Bosminenformen, da eine solche mehrfach (z. B. von Steuer und Burckhardt)
behauptet worden ist. Ich glaube, daß man mit solchen phylogenetischen Ausdeutungen von
Jugendcharakteren bei Bosminenformen nicht vorsichtig genug sein kann, da von sehr vielen Jugendmerkmalen
mit Sicherheit nachzuweisen ist, daß sie ni cht phylogenetisch zu deuten sind. Ich betrachte
daher in Kürze der Reihe nach die Merkmale, die ganz allgemein junge Bosminen auszeichnen,
um sie auf ihren phylogenetischen Wert zu prüfen. Außer der geringeren absoluten Länge junger
Tiere ist für dieselben in erster Linie die kleine relative Schalenhöhe H charakteristisch, womit der
sehr flache Verlauf des Dorsalkonturs im Zusammenhang steht. Erst beim Einset zen der Ei-
J) Außerdem besteht ein lückenloser Übergang von mucronaten Formen der Longicomis-Insignis-Gruppe zu den mucrolosen
Formen der Eucoregoni-Gruppe. Auch das Vorhandensein oder Fehlen einer S eta Kurzi ist zur scharfen Trennung zweier
natürlicher Gruppen nicht brauchbar, da eine Seta Kurzi noch bei Eucoregoni-Formcn von mir beobachtet ist.
2) Wie ich nachträglich bemerke, h a t II. Weigold (Biologische Studien an Lyncodaphniden und Chydoriden. Internat.
R ev ., 1910, Bd. III. Biol. Suppl. 2, p. 17) ganz ähnlich zu Langhans’ Auffassung Stellung genommen; er schreibt: „E s ist
besser, man findet weiter umgrenzte Bestimmungen, die wenigstens zuverlässig sind, als enger definierte, aber nich t genau geprüfte
Angaben, die in den f a u n i s , t i s c h e n A r b e i t e n zu einem unerwarte t hohen Prozentsatz sich als u n z u v e r l ä s s i g
erweisen werden. Man muß m it der Verwertung solcher Angaben über kritische Arten bisher so v o r s i c h t i g s e i n , d a ß
m a n l i e b e r d a r a u f v e r z i c h t e t . “