punkte, vor allem aus dem Grunde, weil die Variationen, denen man eine solche Bedeutung zuschreiben
könnte, nur bei einigen Longispma-’Foim.en Vorkommen, bei anderen dagegen in genau entgegengesetztem
Sinne, als es die Theorie verlangt, erfolgen. Eine Zunahme der relativen Schalenhöhe H
findet z. B. bei einigen Formen im Sommer, bei anderen dagegen gerade im Winter statt. N u r die
sommerliche Längenzunahme des Mucros scheint bei allen Formen der Longispina-Beihe einzutreten,
sie ist aber bei vielen Formen so geringfügig, daß man ihr keine größere biologische Bedeutung zuschreiben
kann. Weiterhin könnte man noch in der bei vielen Formen beobachteten sommerlichen Reduktion
der absoluten Länge ein Mittel zur Vergrößerung des Formwiderstandes sehen. Man würde in
diesem Falle die Deutung, die Wesenberg-Lund (nach Ostwalds Vorgang) der Temporal variation von.
B. longirostris gegeben hat, auf die Longispina-Formen von B. coregoni übertragen. Während jedoch
bei B. longirostris diese Auffassung recht plausibel erscheint, muß ihr betreffs der Longispina-Formen der
schwerwiegende Einwand von vornherein entgegengehalten werden, daß bei manchen imzweifeihaft
zur Longispina - R eihe gehörigen Formen, wie -z. B. B. c. stingelini und B. c. seligoi die absolute
Länge im Sommer größer als im Winter ist. Schließlich aber fällt es schwer gegen die Schwebetheorie
ins Gewicht, daß sie für den wichtigsten und allgemein zutreffenden Punkt in der Cyclomorphose der
Longispina-Reihe, die sommerliche Reduktion der 1. Antennen, keine Erklärungsmöglichkeit bietet.
Andererseits scheint es aber überhaupt, als ob ein einheitliches Verständnis der Temporalvariation
der Longispina-Beihe bei der außerordentlichen Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit,
die im Variationsverlauf dieser Reihe zu konstatieren ist, bei unseren gegenwärtigen Kenntnissen
wenigstens nicht möglich ist. Es wird daher ein intensives Studium der Temporalvariation von
Longispina-Formen der verschiedensten Lokalitäten nötig sein, um hier zu allgemeinen Gesichtspunkten
vorzudringen. Auch experimentelle Untersuchungen dürften hier wesentliche Klär ung bringen.
Doch sei noch ein Gesichtspunkt angedeutet, von dem aus eine Lösung der Widersprüche im
Varia tionsverlauf der Longispina-Beihe möglich sein dürfte. Ich habe die Longispina-Formen als
die Stammformen der Coregoni-Reihe angesehen und einen allmählichen morphologischen Übergang
von der Longispina-Beihe zu den extremsten Coregoni-Formen nachweisen können. Diesem morphologischen
Übergange habe ich in weitem Maße phylogenetische Bedeutung zugeschrieben und Entwicklungslinien,
die von der Longispina- zur Üoregrom-Reihe führen, nachzuweisen gesucht. Ein
Postulat dieser Anschauung ist es nun, daß auch im Verlauf der Temporal variation Zwischenstufen
und Übergänge zwischen den extremen Punkten dieser Entwicklungsreihe bestehen oder doch
bestanden haben. Und in diesem Sinne könnte man vielleicht die Cyclomorphose einiger der untersuchten
Longispina-Formen betrachten. Ohne mich hier weiter ins Gebiet der reinen Hypothese
zu verlieren, will ich nur andeuten, daß der Verlauf der Cyclomorphose von B. c. cisterciensis am
weitesten von dem der Coregwn-Reihe und speziell von der sich am ursprünglichsten verhaltenden
und der Longispina-Reihe am nächsten stehenden Longicornis-Insignis-Gruppe abweicht. Bei
B. c. cisterciensis verläuft nämlich die Temporalvariation der absoluten Länge, der Schalenhöhe und
der 1. Antennen genau in entgegengesetztem Sinne wie in der Coregoni-Reihe. Weit näher der Core-
ßoni-Cyclomorphose steht schon z. B. B. c. seligoi, die nur hinsichtlich der Variation von H und C -j- D
von jener abweicht, und noch eine Stufe näher an die Ooregwn-Cyclomorphose rückt B. c. stingelini,
die sich im wesentlichen nur noch durch die Variation der 1. Antenne von jener unterscheidet.
Hier wäre möglicherweise (vgl. jedoch auch pag. 100) der B. c. reflexa mit ihrer Temporalvariation
ein Platz anzuweisen, die sich ebenfalls nur durch die Variation der 1. Antenne von der
Cyclomorphose der Longicornis-Insignis-Gruppe unterscheidet.
III. Geographischer Teil.
1. Abschnitt.
Die Bosminenfauna zusammenhängender Seengebiete.
Die Fundorte der eulimnetischen Süßwasserplanktonten, die aktiv das von ihnen bewohnte
Wasserbecken nicht verlassen können, sind, wie es in der Natur der Sache liegt, streng lokalisiert
auf die einzelnen Seen, die als solche eine scharf umschriebene geographische Individualität besitzen,
während die einzelnen Fundorte der Land- und Meerestiere niemals in dieser, man möchte sagen,
mathematischen Schärfe umgrenzt sind. Diese charakteristische Eigentümlichkeit beruht darauf,
daß ein Süßwassersee, wie F. A. Forel1) sich ausdrückt, „ein inmitten des Kontinents isolierter Teil
der Hydrosphäre, gleichwie eine ozeanische Insel ein im Meer isoliertes Stück Festland darstellt“.
Das Gesamtverbreitungsgebiet eines Süßwasserplanktonten besteht infolgedessen aus einer Anzahl
isolierter, topographisch voneinander getrennter Wasserbecken, während es bei Land- und Meerestieren
kontinuierliche Länder- resp. Meeresgebiete darstellt, an deren Grenzen die betreffende Spezies
mehr oder weniger allmählich an Häufigkeit abnimmt. Nur in geringerem Umfange kommen für die
letzterwähnten Tiere scharfe natürliche Grenzen in Betracht.
Es gibt nun aber auch in gewissem Sinne kontinuierliche Verbreitungsgebiete für Süßwasserplanktonten,
deren geographische Vorbedingungen erfüllt sind, wenn die einzelnen Wasserbecken
nicht streng gegeneinander abgeschlossen sind, sondern in Wasseraustausch miteinander stehen.
Ich will solche Wasserbecken, die in irgendeinem oberirdischen Wasseraustausch stehen, mag der
verbindende Wasserlauf nun groß oder klein, natürlich oder künstlich sein, z u s a m m e n h
ä n g e n d e 2) W a s s e r b e c k e n nennen. Da in einem derartigen zusammenhängenden Seengebiet
die Faktoren, die die Verbreitung der Bosminen (zum Teil auch der Planktonten überhaupt)
bedingen und herbeigeführt haben, leichter zu durchschauen sind als bei diskontinuierlicher Verbreitung,
möchte ich der Verbreitung der Bosminen in zusammenhängenden Wasserbecken eine kurze
Besprechung widmen.
Der erwähnte Zusammenhang zwischen zwei Seen (oder Seensystemen) kann entweder ein
einseitiger oder ein wechselseitiger sein. Damit soll gesagt sein, daß bei e i n s e i t i g e m Zusammenx)
Handbuch der Seenkunde, S tu ttg a rt 1901.
®) Dabei sehe ich ganz davon ab, ob der Zusammenhang der betreffenden Seen durch Bäche, Flüsse, Flußseen, Kanäle,
Gräben usw. hergestellt ist, d a für die hier allein in Betracht kommende, durch solche Verbindungen ermöglichte Verbreitung
der Bosminen die spezielle N a tu r des Verbindungsweges gleichgültig ist. Eine Ausnahmestellung kommt wohl hier nur sehr
reißenden, langen Gebirgsbächen zu für den Fall, daß die betreffende Bosminenform keine Ephippien bildet. In diesem Falle
sind allerdings die physikalisch zusammenhängenden Wasserbecken biologisch (wenigstens für die Ausbreitung von Bosminen)
gegeneinander abgeschlossen.