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 geologisch  und  paläontologisch  jüngster  Vergangenheit —  entstanden "sein  kann.  Da  andererseits  
 im  systematischen  Teil (p. 11)  gezeigt wurde,  daß  nach  unseren  gegenwärtigen  Kenntnissen  noch  
 unüberbrückte  Lücken  zwischen  B.  longirostris  und  B.  coregoni  (also  auch  B.  c.  obtusirostris)  
 bestehen,  muß  eingestanden werden,  daß weder  unsere  systematischen  noch  unsere  geographischen  
 Kenntnisse  uns  gegenwärtig  einen  Einblick  in  die  genetischen  Beziehungen  dieser  beiden,  artlich  
 zu  trennenden  Formengruppen  des  Genus  Bosmina  gestatten. 
 Gehen wir nun speziell auf die Verteilung der Bosminenformen in Europa über, das in faunisti-  
 scher  Hinsicht  am  eingehendsten  durchforscht  ist! 
 Die  Longispina-Reihe  von  B.  coregoni  besitzt  in  Europa  zwei  Hauptverbreitungsgebiete:  
 einerseits  ein  nördliches,  teilweise  arktisches,  und  andererseits  ein  südliches  Gebiet,  dessen  Mittelpunkt  
 die  Alpen  sind.  Das  nordeuropäische  Verbreitungsgebiet  umfaßt  den  Norden  und  Westen  
 der  britischen  Inseln,  Island  und  die  Faröer,  die  ganze  skandinavische Halbinsel mit Kola  und  das  
 nördliche Kußland.  Im südlichen Norwegen und Schweden werden Longispina-Formen schon seltener.  
 Als  nach  Süden vorgeschobene  Posten  dieses  nordeuropäischen  Gebietes  sind  die wenigen  Fundorte  
 in  Dänemark,  im  norddeutschen  Flachlande  und  im  mittleren  und  südlichen  Rußland  (Wolga  bei  
 Saratow)  anzusehen. 
 Das  südliche  Verbreitungsgebiet  hat  sein  Zentrum  in  den  Alpen,  wo  Longispina-Formen  in  
 fast allen größeren, subalpinen Randseen der Alpen und einer Anzahl von Hochgebirgsseen (Lucendro-  
 See, Gotthard) gefunden sind.  Als nördliche Ausläufer dieses Gebietes sind die Fundorte im Schwarzwald  
 und  Böhmerwald  anzusehen.  Der  westlichste  Fundort  dieses  südlichen  Longispina- Gebietes  
 dürfte  der Lac  d’Annecy  sein;  die  Südgrenze bilden  die  norditalienischen Randseen der Alpen.  Der  
 einzige Fundort aus der Poebene ist der Viverone-See.  Die Ausdehnung des Gebietes nach Osten und  
 Südosten  ist  gegenwärtig  noch  unklar.  Hervorzuheben  sind  die  folgenden,  mir  allerdings  zweifelhaften  
 Fundorte:  Cepic-,  Prosce-, Kozjak-See  (Kroatien),  Tachinos-See  (Norden der  Chalkidike). 
 Diese  Verteilung  der  Longispina-Formen,  die  erst  infolge  ¿er  Identifizierung  der  alpinen  
 B.  longispina mit  der  nordeuropäischen B.  obtusirostris  ins  Auge  fallen  konnte,  ist ganz  typisch  für  
 eine bestimmte tiergeographische Kategorie:  für G la c ia lr e lik te .  Die charakteristische Verteilung  
 auf  ein nordeuropäisches Gebiet,  in  dem sogar  die  arktische Region  bevorzugt wird,  und  ein alpines,  
 Gebiet, das bis zu den Hochgebirgsseen hinauf besiedelt ist, kann nur auf Grund eiszeitlicher Verhältnisse  
 verstanden werden,  die einen Formenaustausch zwischen der nordeuropäischen und der alpinen  
 Fauna gestatteten.  Die Entstehung dieser Verteilung wird man sich so zu denken haben, daß zur Eiszeit  
 in  den  Tümpeln,  Seen  und  Strömen  des  eisfreien  Gebietes  zwischen  dem  nordischen  Inlandeis  
 und der alpinen Vergletscherung eine einheitliche Fauna von Longispina-Formen lebte.  Beim Rückgang  
 des  Eises  folgten  diese  Longispina-Formen  den  sich  zurückziehenden  Gletschern  nach Norden  
 und nach Süden, d.  h.  in ihre heutigen Verbreitungsgebiete,  weil  sie  an  das  wärmere  Klima,  das in  
 den  eisfrei  gewordenen  Gebieten  eintrat,  nicht  angepaßt waren.  Nur  sporadisch  hielten  sich  noch  
 Longispi/na-Kolonien  in  dem  ursprünglichen  eiszeitlichen  Verbreitungsgebiete  (Dänemark,  Norddeutschland  
 etc.),  aber  gerade  in  diesem  seltenen,  sporadischen Vorkommen ist  ein Beweis  für  eine  
 ursprünglich  weitere  Verbreitung  in  diesen  Gebieten  zu  sehen.1) 
 Will man  zeitlich  noch weiter  zurückgehen  und  nach  dem  p r ä g la c ia le n   Ur sprung  der 
 l)  Die  soeben  geschilderte  Verteilung  der  Longispina-Formen wurde  zuerst  von Wesenberg-Lund  (’04)  (vgl.  auch  p.  5)  
 e rkannt  und  in  dem  angegebenen  Sinne  gedeutet. 
 e i n h e i t l i c h e n   g l a c i a l e n   L o n g i s p i n a - F  %, uns,   fragen,  so  kommen hier  nur zwei Möglichkeiten  
 in Betracht: 
 E r s t e n s   können die europäischen Longispina-Formen in präglacialer Zeit auf das nördliche  
 Europa  beschränkte  (resp.  circumpolare)  Kaltwasserbewohner  g e w e s e n   sein,  die  zur  Eiszeit  
 mit dem  skandinavischen Inlandeise nach Süden vorrückten. 
 Zw e iten s  aber können sie schon in präglacialer Zeit Mittel- und eventuell Südeuropa bewohnt  
 haben  und  innerhalb  der  Einflußsphäre  der Vergletscherung  durch Anpassung  an  die  eiszeitlichen  
 Temperatur Verhältnisse in gewissem Grade Kaltwasserbewohner  geworden sein.  Als solche mußten  
 sie  am  Schlüsse  der Eiszeit  dem  sich  nach Norden  und Süden  zurückziehenden  Eise  folgen. 
 Im ersteren Falle wäre also die Anpassung an das Leben im kalten Wasser eine  u r s p r ü n g l 
 i c h e   Eigenschaft  der  Longispina-Formen,  die  ihnen  schon  in  präglacialer  Zeit  eigentümlich  war.  
 im  zweiten Falle wäre  sie  den Longispina-F ormeo.  sozusagen  erst durch  die  Eiszeit  induziert. 
 An  dritter  Stelle  bestände  noch  die  Möglichkeit,  daß  die  Longispina-F oimen  in  präglacialer  
 Zeit  endemische  Bewohner  der  Alpen  gewesen  sind,  die  in  der  Glacialzeit  vor  den Alpengletschern  
 her  in  das  eisfrei bleibende Gebiet einwanderten und erst nach  der Eiszeit auch ins  nördliche Europa  
 dem  sich  zurückziehenden Inlandeise  folgten.  Jedoch  kann  diese Möglichkeit  von  vornherein  außer  
 Betracht bleiben, weil sich Longispina-Formen außerhalb Europas in Nordamerika,  Sibirien,  in Altai  
 und  auch  in  der  südlichen  Hemisphäre  finden.  Sie  können  sich  also  nicht  erst  seit  der  Eiszeit  
 von  den  Alpen  aus  verbreitet  haben. 
 Eine Entscheidung der oben aufgestellten Alternative dürfte nach  dem gegenwärtigen Stande  
 unserer Kenntnisse von der Verbreitung der Longispina-Formen nicht zu treffen sein.  Sie würde sich  
 vor allem danach zu richten haben, ob in den vom Glacialphänomen nicht berührten Gebieten Europas  
 (Italien,  Balkan,  Pyrenäen-Halbinsel,  Südrußland,  Frankreich)  Longispina-Formen  häufiger  Vorkommen. 
   Leider  ist  die  Cladocerenfauna  dieser  Gebiete  nur  äußerst  mangelhaft  bekannt!  Der  
 von  Georgevitch  als  Fundort  einer  Longispina-F orm.  gemeldete  Tachinos-See  und  die  von  Gavvazi  
 und  Car  angegebenen  kroatischen  Fundorte,  die  für  die  zweite  Seite  der  Alternative  sprechen,  gestatten  
 in  dieser weitgehenden Frage wohl  noch keine Entscheidung,  zumal da  sie m.  E.  nicht  ohne  
 Fragezeichen  aufzuführen  sind. 
 Lasse  ich  also  die  Frage  nach  dem  präglacialen  Ursprung  der  Longispina-Formen  auf  sich  
 beruhen,  um mich  den p o s t g l a c i a l e n   V e r ä n d e r u n g e n   u n d   V e r s c h i e b u n g e n   in  
 d e r   e u r o p ä i s c h e n   B o s m i n e n f  a u n a   zuzuwenden!  Da erhebt  sich sofort die Frage:  Wie  
 kamen  die  heutigentages  das  von  Longispina-F ormen  fast  verlassene,  in  der  Hauptsache  baltische  
 Seengebiet  bewohnenden  Formen  der  G o r e g o n i - ' R e i h e   in  postglacialer  Zeit  hierher? 
 Hier  bestehen  offenbar  zwei  Möglichkeiten: 
 E n t w e d e r   entwickelten  sich  die  Coregoni-Formen  a u t o c h t h o n   aus  Longispina-  
 Formen,  die  zur Eiszeit  a m R a n d e   d e s  I n l a n d e i s e s   lebten und  es  am Schluß  der Eiszeit  
 vermochten,  sich  u n t e r   m o r p h o l o g i s c h e n A b ä n d e r u n g e n   d e n   n e u e n   k l i m a t 
 i s c h e n  V e r h ä l t n i s s e n   a n z u p a s s e n .   Es  dürften  sich  dann  Coregoni-Foimen  n u r   
 in  Gebieten  finden,  die  zum  Glacialphänomen  in  Beziehung  stehen. 
 O d e r   die Coregoni- Formen sind  p o s t g l a c i a l e E i n w a n d e r e r ,  die nach der Eiszeit  
 aus  Gebieten  eindrangen,  die vom Glacialphänomen  gar  nicht  berührt  sind.  Nach  der  ganzen Verbreitung  
 der Coregoni-Formen  käme  als Herkunftsgebiet  hier  nur  der Osten oder  Südosten Europas  
 oder  die  anstoßenden  Teile  Asiens  in  Betracht,  so  daß  die  Coregoni-Reihe  in  diesem  Falle  zu  der 
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