parthenogenetischen Eier mehr produziert werden. Dann muß infolge der totalen Geschlechtsperiode
B. c. longicornis aussterben, und sie überdauert den Winter von (spätestens) Mitte Dezember bis
Anfang April in Latenzeiern. Es ist zu beachten, daß die Zeitspanne, die zwischen dem Verschwinden
der Erühwintertiere und dem Auftreten der Spätwintertiere liegt, bei B. c. longicornis 3—4 Monate,
bei B. c. berolinensis dagegen nur 1—2 Monate beträgt. Es rührt dies daher, daß erstere Form, wie
mitgeteilt, schon Ende Oktober totale Geschlechtsperiode zeigt, während dies bei B. c. berolinensis
erst im November (?) oder sogar im Dezember eintritt. Durch diese Verhältnisse wird es vielleicht
verständlich, daß die Frühwinterformen von B. c. longicornis morphologisch den Spätwinterformen
bedeutend ferner stehen als es bei B. c. berolinensis der Fall ist, da sie durch eine weit größere Latenzzeit
von ihnen getrennt sind. Andererseits stehen die Frühwinterformen der B. c. longicornis den
Spätsommerformen, aus denen sie in allmählichem, zeitlich und morphologisch lückenlosen Übergange
entstehen, recht nahe, während sich die Winterformen von B. c, berolinensis weitgehend von den
Spätsommerformen entfernen.
Suche ich nun die wesentlichen Punkte der Cyclomorphose von B. c. longicornis herauszuheben,
so dürften es folgende sein:
1. Die 1. Antenne (C + D) ist im Sommer größer als im Winter.
2. Der Mucro (Mu) ,, „ „ „ „ »
Die absolute Länge (T) der Spätwintertiere von B. c. longicornis ist im Durchschnitt nur um
ein ganz Geringes kleiner als bei Sommertieren und die Variation dieses Wertes kommt deshalb kaum
in Betracht. Die relative Augengröße zeigt keine temporale Variation. Eine wesentliche Bedeutung
in der Cyclomorphose von B. c. longicornis kann also nur den beiden erwähnten Variationen, die
übrigens B. c. longicornis mit B. c. berolinensis gemeinsam hat, zugeschrieben werden.
Wie verhält sich nun die Cyclomorphose der beiden besprochenen Bosminen zur Wesenberg-
Ostwaldschen Schwebetheorie, der durchgearbeitetsten Theorie, die für das Phänomen der Cyclomorphose
bei Bosminen (und Planktonten überhaupt) aufgestellt ist? Diese Theorie sieht die
Bedeutung der sommerlichen Formvariationen der Planktonten darin, die Sinkgeschwindigkeit, die
infolge der im Sommer verringerten inneren Reibung des Wassers im Sommer größer als im Winter
ist, herabzusetzen durch Erhöhung des Formwiderstandes. Offenbar läßt sich die im Sommer erfolgende
beträchtliche Verlängerung der Längsachse bei B. c. berolinensis (vgl. pag. 77) sehr gut als
ein Mittel zur Erhöhung des Formwiderstandes ansehen, wenn man nur annimmt, daß B. c. berolinensis
beim Schweben im Wasser derart orientiert ist, daß diese Längsachse ungefähr in die Horizontale
zu liegen kommt. Einwandfreie Beobachtungen über die natürliche Orientierung der Planktonten
im Wasser sind nun allerdings, wie Wesenberg-Lund ausgeführt hat, schwer zu erzielen. Ich habe aber
von meinen Beobachtungen den Eindruck erhalten, daß für B. c. berolinensis die oben genannte
Voraussetzung im allgemeinen erfüllt ist. Höchstens scheint der Mucro beim Schwimmen etwas
schräg nach unten gerichtet zu sein.
Betrachtet man nun aber die Temporalvariation von B. c. longicornis, so macht ihre Deutung
im Sinne der Schwebetheorie große Schwierigkeiten, weil der Mucro dieser Form fast senkrecht nach
unten gerichtet ist. Man müßte, wenn man der sommerlichen Verlängerung des Mucros bei B. c.
longicornis die Bedeutung einer Erhöhung des Formwiderstandes zuschreiben wollte, annehmen,
daß die (ideale) Längsachse von B. c. longicornis beim Schwimmen im Wasser fast senkrecht zur
Horizontalen zu liegen kommt, was sehr wenig wahrscheinlich ist. Leider stehen mir auch hier keine
einwandfreien Beobachtungen über die Schwebelage der B. c. longicornis zur Verfügung.
Was schließlich die sommerliche Verlängerung der 1. Antennen, die man bei den Sommerformen
nicht nur der Longicornis-Insignis-GcTwpipe, sondern überhaupt in der ganzen Coregoni-Beihc
beobachten kann, anbelangt, so wird man darin kaum eine Bestätigung der Schwebetheorie sehen
dürfen. Wesenberg-Lund (’08, pag. 228—229) sieht selbst — und ich kann ihm hierin nur beipflichten
— in den langen, dem Rostrum fest angewachsenen 1. A n t e n n e n n i c h t S c hwe b e - ,
sondern B a l a n c e o r g a n e . Vergleicht man nur einmal eine Hochsommerform von B. c. berolinensis
oder B. c. longicornis mit einer Winterform, so bemerkt man sofort, daß infolge der enormen
sommerlichen Verlängerung des Mucros der Schwerpunkt des Körpers bei der Sommerform bedeutend
nach hinten verlagert ist. Es ist klar, daß dies ein Umkippen1) des Tieres nach hinten zur Folge
haben müßte, wenn nicht in entsprechendem Maße wie der Mucro
die 1. Antennen sich verlängerten und verkürzten. Und in der
Tat lehrt eine Betrachtung der Zahlentabellen, daß bei der
Cyclomorphose der Longicornis-Insignis-Gxwp'pe ein völliger
Parallelismus in Zu- und Abnahme von Mucro- und Antennenlänge
besteht. Ebenso verläuft bei den übrigen Gruppen der
Coregoni-Reihe (abgesehen von der Crassicornis-Gruppe), bei
denen an die Stelle der Mucrovariation eine Temporalvariation
der Schalenhöhe (H) getreten ist, die jahreszeitliche Variation der
1. Antenne vollkommen gleichsinnig mit der der relativen Schalenhöhe
H. In diesem Zusammenhänge kann auch die folgende Beobachtung
angeführt werden. Ich fand in mehreren Fängen vom Wolziger See (10. und 24. VI. 08)
in weit überwiegender Anzahl Hochsommertiere von B. c. berolinensis, deren Mucro nicht die
gewöhnliche Form einer langausgezogenen Spitze zeigte, sondern bedeutend verkürzt und distal
abgerundet war (vgl. nebenstehende Textfigur). Bei manchen Tieren war übrigens nur der Mucro
der einen Schalenseite so abnorm gebildet, während der der anderen Seite völlig normales Aussehen
trug. Hand in Hand mit dieser Reduktion und abnormen Ausbildung des Mucros war stets die
relative Länge der 1. Antennen kürzer als bei normalen Tieren. Diese Beobachtung scheint mir
für die Auffassung der 1. Antennen als Balanceorgane stark ins Gewicht zu fallen. Faßt man
nämlich die 1. Antennen als Schwebeorgane auf, so ist nicht abzusehen, weshalb bei abnormer
Verkürzung des einen Schwebeorgans (nämlich des Mucros) auch das andere (1. Antennen) reduziert
werden müßte; man sollte vielmehr im Gegenteil eine kompensatorische Verlängerung der 1. Antennen
erwarten. Sieht man aber in den Antennen Balanceorgane, die der durch den Mucro herbeigeführten
Schwerpunkts Verschiebung die Wage halten sollen, so ist die Verkürzung der 1. Antennen bei Verkürzung
des Mucros sofort verständlich.2) Ähnliche abnorme Formen fing ich (allerdings weit
seltener als im Wolziger See) auch im Scharmützel- und Storkower See, und ich fand auch Winterformen
(Tegeler See 28. X. und Wolziger See 23. IV.), die ähnliche Mißbüdungen des Mucros zeigten.
Ich traf außerdem alle Übergänge von Tieren extrem abnormer Form zu typischen B. c. berolinensis-
Tieren und glaube, diese abnormen Tiere als pathologische Aberrationen, die infolge von Wachstumsoder
Häutungsstörungen aufgetreten sind und sich allmählich wieder ausgleichen können, ansehen
zu müssen.
x) Wesenberg-Lund ’08, pag. 229 schreibt m it Bezugnahme auf Eucoregoni-Formen: „th e antennae might be understood
as balancing Organs to prevent th e high body from rolling over.“
*) Ich möchte gegenwärtig die obigen Ausführungen über die abnormen Wolzigerseetiere m it einigen Fragezeichen
versehen. Wesentliche Klärung könnte h ie r das Experiment b rin g en !
Zoologica. H e ft 63. if!