
Kategorie der ö s t l i c h e n , p o s t g l a c i a l e n E i n w a n d e r e r gehören würde. In diesem
Falle müßten die Coregoni-Formen etwa in Sibirien ein Verbreitungsgebiet haben.
Im ersteren Falle wären die Coregoni-Formen eine j ü n g e r e , erst nach Ablauf der Eiszeit
autochthon aus der Longispina-T&eihe entstandene Formengruppe, im letzteren Falle von unbestimmtem,
aber jedenfalls präglacialem Alter!
Für die Jugend der Coregoni-Formen und damit für die erste Seite der Alternative
spricht einmal die erstaunliche Formenmannigfaltigkeit der Coregoni-Beihe, die man im allgemeinen
als Kennzeichen jugendlicher und in lebhafter Entwicklung begriffener Formen ansieht.
Doch ist dies Argument insofern nicht durchschlagend, als auch postglaciale Einwanderer bei
den mannigfaltigen Bedingungen, die die baltischen Seen bieten, sich hier in zahlreiche Formengruppen
aufgelöst haben könnten.
Dagegen fällt die nachgewiesene, enge systematisch-genetische Beziehung der Coregoni-Reihe
zur Longispina-Beihe stark für die Theorie ins Gewicht, die in der Eiszeit die Schöpfungsursache
der Coregoni-Beihe sieht. Die häufigen, auf polyphyletischen Ursprung hindeutenden Übergänge,
die sich gerade im baltischen Seengebiet von' Longispina-Formen zu den verschiedensten Gruppen
der Coregoni-Beihe finden, würden, wenn es sich bei den Coregoni-Formen um Einwanderer handelte,
die nicht autochthon aus Longispina-Formen entstanden sind, nicht angetroffen werden. Denn
solche Übergangsformen dürften nur in Gebieten zu erwarten sein, wo der Übergang von der Longispina-
zur Coregoni-Reihe sich tatsächlich vollzogen hat.
Sodann sei hier nochmals darauf hingewiesen, daß die Erscheinung der „Konvergenz der
Winterformen“ (vgl. p. 98) der Coregoni-Heihe, d. h. die beobachtete mehr oder weniger weitgehende
Rückkehr der Winterformen zu den nächstniederen Verwandten, die sich ganz allgemein in der Richtung
auf Longispina-Formen hin bewegt, schwerwiegend für die eiszeitliche Schöpfungstheorie ins
Gewicht fällt. Denn diese Tatsache führt ungezwungen zu der Vorstellung, daß zur Eiszeit die
Formen der Coregoni-Reihe sich noch nicht von der gemeinsamen Stammgruppe der Longispina-
Formen abgespalten hatten und sich erst nach Schluß der Eiszeit infolge der von See zu See verschiedenen
Bedingungen der baltischen Seen herausbildeten.
Auch die geographische Verbreitung der Coregoni-Beihe fügt sich im ganzen den Konsequenzen
der eiszeitlichen Schöpfungstheorie, indem sich die Coregoni-Formen nicht allzuweit von den
Grenzen der Maximalvereisung entfernen. So ist in den drei mediterranen Halbinseln Europas
(Italien, Pyrenäen-Halbinsel, Balkan-Halbinsel) und in Frankreich (abgesehen von einem noch zu
erwähnenden Fundorte) bisher keine einzige Coregoni-Form gefunden worden. In Rußland sind
Coregoni-Formen allerdings mehrmals in einiger Entfernung vom Rande der Maximalausdehnung
des Inlandeises angetroffen worden; es sind dies folgende Fundorte: Wolga bei Saratow, Kabansee
bei Kasan (Altwasser der Wolga), Wjatka (Nebenfluß der Kama). Doch ist zu beachten, daß alle
diese Fundorte Flüsse sind, die ihr Wasser von ehemals vergletschertem Gebiet empfangen.
S c h w i e r i g k e i t e n f ü r d i e T h e o r i e , d e r a u t o c h t h o n e n E n t s t e h u n g d e r
C o r e g o n i - F o r m e n bestehen dagegen bei folgenden Fundorten: In Südwest-Frankreich
Etang de Cazau und Etang d’Hourtins (B . coregoni nach de Gueme et Richard ’91), im westlichen
Sibirien Jekaterinburg, Irtisch vom Saisan-See bis zur Stadt Tobolsk, Tabol (an der Mündung in den
Irtisch) (B. insignis und B. c. mixta nach Zykoff ’08; B. c. sibirica nach Daday ’01), und in der Mongolei
Kossogol (B. c. lilljeborgii, nach Daday ’06). Das Vorkommen von Coregoni-^ormen an diesen Fundorten,
das allerdings kritischer Prüfung dringend bedürfte, läßt sich vom Standpunkte der Eiszeittheorie
aus nur verstehen, wenn man dafür passiven Transport aus Gegenden, die zum Glacial-
phänomen in Beziehung stehen, annimmt.
Ganz enorme und unverhältnismäßig größere Anforderungen aber müßten vom Standpunkte
der Einwanderungstheorie an die Leistungen des passiven Transportes gestellt werden, wenn man
auf Grund der sibirischen Fundorte von Coregoni-Bormen annehmen wollte, daß die postglaciale
Einwanderung von Sibirien her stattgefunden hat. Denn da Coregoni-Formen im europäischen
Westen bis nach Irland gefunden sind, müßte man einen passiven Transport (der sich natürlich in
Etappen hätte vollziehen können) von Sibirien bis Irland in postgacialer Zeit annehmen.
Von größter Wichtigkeit in dieser ganzen Frage wäre es, zu erfahren, in welcher Häufigkeit
und Ausdehnung in Sibirien und überhaupt in Asien Formen der Coregoni-Reihe Vorkommen. Erst
da.rm wird sich beurteilen lassen, ob es sich bei den asiatischen Coregoni-Formen um von Europa her
verschleppte vereinzelte Ausläufer oder um ein mächtiges Verbreitungsgebiet handelt, das als Ausbreitungszentrum
der Coregoni-Beihe in Betracht kommen kann.
Somit kann die Eiszeittheorie, obwohl ich geneigt bin, ihr — gegenüber der Einwanderungs-
theorie — die größere Wahrscheinlichkeit zuzuschreiben, beim gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse
nur den Wert einer Arbeitshypothese beanspruchen, die künftigen faunistischen Untersuchungen
Ziel und Weg zu weisen geeignet ist.