denen ich B. c. berolinensis (im Sommer) fast ebenso häufig wie B. c. longicornis gefunden hatte, hatte
ich geglaubt, B. c. berolinensis als autochthone Havelform ansehen zu dürfen. Ich untersuchte dann
zufällig das von Herrn Dr. 0. Zacharias in den Jahren 1885/86 im Tegeler See gefischte Planktonmaterial
(das sich im Besitze des Zoologischen Instituts der Universität Berlin befindet). Auch hierin
fehlte B. c. berolinensis, und es fand sich als einzige Form von Bosmina coreqoni: B. c. longicornis,
wie auch Zacharias (1887) richtig angegeben hatte. Jetzt lag die Annahme nahe, daß B. c. berolinensis
erst nach dieser Zeit in den Tegeler See eingewandert war. Diese Annahme bestätigte sich mir auch,
als ich ein umfangreiches, von Herrn Professor W. Weltner im Laufe von über 20 Jahren (1884—1905)
im Tegeler See zu den verschiedensten Jahreszeiten gesammeltes Planktonmaterial durchsehen konnte.
In dem ganzen Material fehlte B. c. berolinensis; nur in einem Fange vom 6. Mai 1891 (Frühjahrshochwasser!)
und 29. September 1891 (Herbsthochwasser!) fand ich ein junges Weibchen bzw. drei
Ephippium tragende Weibchen von B. c. berolinensis. Nachdem nun das Problem scharf gestellt
war: a u f w e l c h em We g e k am B. c. b e r o l i n e n s i s in d e n T e g e l e r See? lag
die Lösung nicht mehr fern. Die einzigen benachbarten Fundorte von B. c. berolinensis, von
denen aus diese Form in den Tegeler See gelangt sein konnte, waren das Spree-Dahme-Gebiet
und die Havel unterhalb Spandaus. A k t i v konnte B. c. berolinensis wohl kaum die Havel aufwärts
gewandert sein; denn obwohl die Havel bei Spandau nicht allzustarke Strömung hat, ist
kaum anzunehmen, daß eine Planktoncladocere gegen diesen Strom anschwimmen kann. Sollte
B. c. berolinensis dies aber doch vermögen, dann hätte sie auch vom Tegeler See aus weiter stromaufwärts
bis zum Havelsee Vordringen können. Letzteres ist aber nicht der Fall: B. c. berolinensis
fehlt oberhalb des Tegeler Sees in der Havel vollständig. Es blieb noch die Möglichkeit
p a s s i v e n Transportes von Weibchen oder Ephippien durch Schiffe, Floßholz, Vögel usw. Aber
auch diese Annahme hatte wenig für sich, da auch durch sie sich das Fehlen von B. c. berolinensis
im Havelsee nicht erklären ließ. Es mußte also ein anderes Einfallstor für B. c. berolinensis
bestanden haben. Das konnte nur der von der Spree in Berlin (und zwar vom Humboldthafen)
zum Tegeler See führende Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal, vgl. Karte 2, sein. Es fragte sich:
In welcher Richtung strömt das Wasser in diesem Kanal? Auf diese Frage erhielt ich von der
Königlichen Wasserbauinspektion in Potsdam folgende Auskunft: In dem im Jahre 1848—1859
erbauten Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal fließt das Wasser in der Regel von der Havel zur Spree,
und zwar schwankt die Durchflußmenge zwischen 0,087—0,435 sec. cbm (also eine sehr geringe Strömung.)
Bei Hochwasserstand der Spree kommt es (allerdings seit der Regulierungx) der Spree nur
sehr selten — etwa alle 5—10 Jahre —) vor, daß die Kanalströmung von der Spree zum Tegeler
See gerichtet ist. Es ist demnach höchst wahrscheinlich, daß B. c. berolinensis durch den Berlin-
Spandauer Schiffahrtskanal von der Spree in den Tegeler See verschleppt ist. Zu der Annahme,
daß das Einfallstor der B. c. berolinensis in den Tegeler See der erwähnte Kanal gewesen ist, stimmt
auch die Beobachtung, daß B. c. berolinensis in der Havel oberhalb des Tegeler Sees 2) (im Havelsee)
fehlt: sie konnte eben nicht gegen den Havelstrom aufwärts aktiv Vordringen; unterhalb des Tegeler
Sees dagegen — zwischen diesem und der Spreemündung —- findet sich B. c. berolinensis häufig in der
Havel. —- Die ersten Tegeler See-Fänge, die B. c. berolinensis enthalten, sind die erwähnten, von Herrn
x) Dieselbe erfolgte in den Jah ren 1883—1887. Vorher kam es bei Hochwasserstand der Spree noch öfter vor, daß die
Kanalströmung zum Tegeler See gerichtet war. Es bleibt infolgedessen unerklärlich, weshalb B. c. berolinensis nicht schon früher
in den Tegeler See einwanderte.
2) In der Havel oberhalb des Tegeler Sees fand ich B. c. berolinensis in keinem der drei zu verschiedenen Jahreszeiten
von mir gemachten Fänge vom: 22. September 1909, 14. Mai 1910 und 17. September 1910.
Professor Weltner im Jahre 1891 gemachten. In späteren Fängen aus den Jahren 1892, 1901 und 1904
fehlt B. c. berolinensis wieder. Es scheint mir dies zu beweisen, daß die I n v a s i o n d e r B. c.
b e r o l i n e n s i s in d e n T e g e l e r See n i c h t p l ö t z l i c h e r f o l g t i s t , s o n d e r n d a ß
s i c h d i e s e B o sm i n e e r s t n a c h m e h r e r e n V o r s t ö ß e n im T e g e l e r S e e e n d g
ü l t i g e i n g e b ü r g e r t h a t . Der erfolgreiche Vorstoß dürfte erst nach dem Jahre 1904sta ttgefunden
haben, da im Weltnerschen Material vom Juli dieses Jahres B. c. berolinensis noch fehlt.
Gegenwärtig scheint noch eine andere Spree-Bosmine im Begriff zu stehen, von der Spree aus
in den Tegeler See vorzudringen, nämlich B. c. thersites. Schon in einem von Herrn Professor Weltner
am 20. Februar 1898 im Tegeler See gefangenen Material fand ich ein Weibchen von B. c. ther sites,
und in eigenen Fängen vom 12. Oktober 1909, 24. Januar 1910 und Februar 1910 fand ich einige
wenige Männchen und Ephippiumweibchen dieser Form. Es ist bemerkenswert, daß alle diese Fänge
(ebenso wie die erwähnten ersten Tegeler Berolinensis-Fänge) vom Herbst, Winter oder Frühjahr
stammen, was darauf hindeutet, daß auch diese Invasion durch den Kanal bei Hochwasserstand der
Spree erfolgt. Es wird Aufgabe künftiger Untersuchungen sein, zu beobachten, ob die Invasion der
B. c. thersites zu erfolgreicher Besiedelung des Tegeler Sees durch diese Form führt, oder ob die Lebensbedingungen
im Tegeler See der B. c. thersites nicht Zusagen. Ich halte ersteres für wahrscheinlicher!
Gleichzeitig wird zu beobachten sein, ob B. c. berolinensis etwa in Zukunft B. c. longicornis aus dem
Tegeler See verdrängt, und ob sie weiter gegen den Havelstrom bis zum Havelsee vordringt, oder ob
ihr dies unmöglich ist.
Veränderungen und Verschiebungen in der Planktonfauna der Seen, wie sie im vorhergehenden
für B. coregoni mitgeteilt wurden, scheinen gar nicht zu den Seltenheiten zu gehören. Da namentlich
die Herstellung von Kanalverbindungen starke Veränderungen in der Planktonfauna herbeizuführen
scheint, wäre es wünschenswert, wenn v o r Erbauung von Kanälen die Planktonfauna der berührten.
Seen eingehender studiert würde.
Die bisherigen Beobachtungen bezogen sich auf zusammenhängende Gewässer mit e i n s
e i t i g e m Wasseraustausch, und die verschiedene Verteilung der Bosminenfauna in den einzelnen
Seen des zusammenhängenden Gebietes ließ sich durch die Strömungsverhältnisse erklären. Betrachtet
man dagegen Gewässer mit w e c h s e l s e i t i g e m Wasseraustausch, so ist es klar, daß Verschiedenheiten
der Bosminenfauna in den einzelnen Becken eines solchen Gebietes nicht mehr durch die Stromrichtung
erklärt werden können; hier sieht man sich denn auf die viel schwierigere Frage nach
den V e r s c h i e d e n h e i t e n i n d e n L e b e n s B e d i n g u n g e n , die die einzelnen Seenindividuen
eines solchen zusammenhängenden Seengebietes den Planktonten bieten, hingewiesen.
Beispielsweise folgende Beobachtung:
Der 37 m tiefe Sacrower See bei Potsdam, vgl. Kartenskizze 2 auf pag. 124, ist durch eine
Landenge von der Havel getrennt. Ein ca. 550 m langer Graben verbindet den See mit der Havel.
Für gewöhnlich (im Sommer) strömt das Wasser in diesem Graben vom Sacrower See zur Havel.
Doch legt folgende Beobachtung den Schluß nahe, daß bei Hochwasserstand der Havel die Strömung
wenigstens zeitweise von der Havel in den Sacrower See gerichtet sein kann.
Die Bosminenfauna des Sacrower Sees hat eine andere Zusammensetzung als die der Havel.
In der Havel leben B. c. berolinensis, B. c. thersites, B. c. longicornis und B. c. coregoni. Letztere Form,
die die verschiedensten Lebensbedingungen ertragen zu können scheint, kommt auch im Sacrower
See vor, in welchem außerdem nur noch die der Havel fehlende B. c. crassicornis lebt. Eine Beeinflussung
der Bosminenfauna der Havel durch den Sacrower See ist bisher noch nicht konstatiert