
Obwohl mir nun bei meinem zweiten langen Aufenthalt in Neapel ebenfalls größere Würmer, bis zu
solchen mit 87 Ruderpaaren zu Gesicht kamen, so war es mir doch nicht möglich, jene „phase epigame“
oder große heteronereide Tiere zu erhalten. Trotz eifrigen Nachsuchens an den verschiedensten Fundstellen
besonders in den Frühjahrsmonaten, aber auch in den ändern Jahreszeiten, und trotz der Bemühungen
des erfahrenen, nun leider so plötzlich verstorbenen Dr. L o B i a n c o , dem ich die, wenn
auch nicht gerade schwierige, so doch um so reichlichere Materialbeschaffung für diese Arbeit in erster
Linie zu verdanken habe, — gelang es nicht, jene Form auch nur in einem Exemplar zu erbeuten.
Infolgedessen mußte die Aufzucht von Nachkommen der Form y unterbleiben.
Bei der völligen Übereinstimmung des Baues der Formen ß und y möchte es mir scheinen,
als seien beide nicht prinzipiell von einander verschieden. Wie wir sahen, kamen mir vielfach Tiere
vor, welche ich, da sie frei beweglich umherschwammen, ohne Zögern der Form ß zurechnete, deren
Körperlänge aber manchmal eine ziemlich große, bis zu 50 mm war und deren Segmentzahl mitunter
die für die Form ß durchschnittliche (65—70 Rudersegmente) weit überschritt, indem sie bis
zu 87 stieg. Sollte man diese die normale Größe der Form ß überschreitenden Individuen nicht als
Übergänge zwischen den beiden heteronereiden Formen ansehen können?
Ausschlaggebend wäre hier wohl in erster Linie die Art der Entwicklung- der befruchteten
Eier der Formy, über die wir noch gar nichts kennen. V o n W i s t i n g h a u s e n behauptet, die
Eier der Form y würden in Tuben abgelegt. Doch sagt er dieses nur in jener oben angeführten Stelle.
Es geht nun in keiner Weise aus seiner Arbeit, die sich im weiteren lediglich mit, der Furchung der
nereidogenen Eier beschäftigt, hervor, ob er zu dieser Behauptung auf Grund von eigenen Beobachtungen
gekommen ist, oder sie nur aus den Angaben C l a p a r e d e s abgeleitet hat. Da die Eier
der beiden heteronereiden Formen nicht verschieden von einander sind, und andererseits v o n
W i s t i n g h a u s e n in jenem oben (S. 89) zitierten Absatz selbst meint, daß sie sich wohl m i t
M e t a m o r p h o s e entwickeln, so möchte ich eher annehmen, daß auch die Eier der großen heteronereiden
Form außerhalb der Röhren abgelegt und befruchtet werden und sich dann in derselben Weise
wie die der Form ß unter Bildung eines Nectochaeta-Stadiums weiterentwickeln. Die beiden Geschlechter,
welche zwar nicht schwimmen, könnten sich ja auch außerhalb ihrer Röhren in ihrem Wohnbezirk
treffen und ablaichen. Außerdem kommt der Art der Eiablage, ob innerhalb oder außerhalb
der mütterlichen Wohnröhre, keine so wichtige Bedeutung zu wie dem Entwicklungsmodus, ob mit
oder ohne Nectochaeta. Die endgültige Entscheidung dieser Frage muß späteren Untersuchungen,
überlassen bleiben.
Während nach meinen Erfahrungen die Form y von Nereis dumerüii in Neapel das eine Jahr
verhältnismäßig häufig, das andere Jahr wieder gar nicht oder sicher sehr selten aufzutreten pflegt,
hören wir von D e S a i n t - J o s e p h (1888), daß er an der Küste der Bretagne die heteronereide
Leontis dumerüii, wie er unseren Wurm nennt, nur in der großen, nicht schwimmfähigen Form antraf.
Die Männchen waren 4—6 cm lang, die Weibchen im allgemeinen noch etwas größer. Erstere besaßen
74—80, letztere 83—85 borstentragende Segmente. Im Juli traf er in den Vertiefungen von Austernschalen
junge Nereiden mit 9 Rudersegmenten von 0,8 mm Länge, die er für die Nachkommen jener
hält und deren weitere Entwicklung er beschreibt, wie bereits auf S. 9 angegeben wurde. Sollten
diese jungen Würmer wirklich zu unserer Art gehört haben, wie es ja allen Anschein hat, so wäre
die Tatsache, daß sie sich mit erst 9 Rudersegmenten schon frei umher bewegten, ein weiterer Beweis
für eine Entwicklung mit Metamorphose bei den Nachkommen der Form y.
Wie verschiedenartig die Lage und die Verhältnisse des Aufenthaltsortes unseren Wurm beeinflussen,
zeigt auch die Mitteilung von L a n g e r h a n s, der bei Madeira unter vielen Hunderten
von gefangenen N er eis dumerüii niemals eine heteronereide oder eine in Umwandlung begriffene fand.
Wir sehen also schon aus den verhältnismäßig spärlichen Angaben in der Literatur über die Faunistik
unserer. Form, daß im Golf von Neapel und bei Messina alle drei Geschlechtsformen nebeneinander,
an der Küste der Bretagne nur die Formen a und y, bei Madeira nur die Form a Vorkommen. Allerdings
ist zu berücksichtigen, daß an den anderen Orten nicht so lange Zeit hindurch beobachtet
worden ist als bei Neapel, so daß bei einer genaueren Durchsicht dort vielleicht auch noch die fehlenden
Formen gefunden werden können.
Leider haben meine Zuchten keinen Aufschluß über das Vorleben der großen nereiden Form,
der „phase epigame“ C l a p a r e d e s gegeben. Selbst Würmer, die */4 Jahr in der Gefangenschaft
lebten, zeigten kein Merkmal, aus dem sich entnehmen ließ, daß sie bis zu jener Größe heranwachsen,
und sich dann umwandeln wollten. Es bestehen zwei Möglichkeiten für die Form y; entweder mögen
manche der aus den Eiern hervorgehenden Würmer direkt heranwachsen bis zur Größe der Nereis
der „phase epigame“ und sich dann umwandeln in die Form y, oder sie mögen dazwischen erst einmal
geschlechtsreif werden in der Form a, so daß wir abermals eine Dissogonie vor uns hätten. Die Form ß
als Endstadium eines Nereiden-Lebens kommt nicht in Frage. Nach Analogie mit dem Schicksal
der Form ß müssen wir dann annehmen, daß auch die Form y ein das Leben des Individuums beendendes
Stadium ist.
Von weiteren möglichen Zusammenhängen'der drei im Golf von Neapel auftretenden Geschlechtsformen
von Nereis dumerüii wird am Schlüsse dieser Arbeit noch einmal zusammenfassend
die Rede sein.
E. Die hermaphrodite Form.
Mit den drei getrenntgeschlechtlichen Formen a, ß und y ist nun die Reihe der Reifezustände
unserer Art noch nicht erschöpft. Es gibt eine weitere Form, die ich mit 8 bezeichnen will, welche
hermaphrodit ist. Sie wurde allerdings bisher im Golf von Neapel nicht gefunden, sondern ist nur von
Marseille und der Küste bei San Remo und Villefranche sowie von der Nordküste der Normandie
bekannt.
In der Literatur wurde diese Form zuerst von M o q u i n - T a n d o n (1869) als Nereis massi-
liensis erwähnt. M e c z n i k o w entdeckte sie im November des Jahres 1869 auch bei San Remo
und Villefranche und erkannte ihre Identität mit Nereis dumerüii. C l a p a r e d e (1870) hat die Form
dann ausführlicher beschrieben.
Die 40, 50 oder 60 Segmente zählenden Würmer enthielten sowohl Eier als Sperma in ihrer
Leibeshöhle. Dort werden auch die mit gelbem Dotter versehenen Eier befruchtet, so daß sie sich
zu entwickeln beginnen, nachdem sie sich mit einer Gallerthülle umgeben haben (01p. Taf. IV Fig. 7).
Eine Umwandlung in eine heteronereide Form scheint nicht vorzukommen, da sich während des
Dezember, Januar und Februar keine Anzeichen hierfür fanden.
Neuerdings haben C a u l l e r y e tM e s n i l (1898) diese hermaphrodite Form in der „Anse
de Saint-Martin“, einer Bucht an der Nordküste der Normandie in der Nähe von Cherbourg, gefunden,
ebenso auch F a u v e 1 (1900) bei Bretteville und Fort Flamands in derselben Gegend. Die ersteren