
Im Südende des nur wenig über 2 km langen Mirower Sees dagegen fehlte B. c. berolinensis; ebenso in
allen weiter kanalabwärts folgenden Seen. An der geschilderten Verbreitung der B. c. berolinensis
ist mehreres bemerkenswert. Erstens scheint mir das Vorkommen der wenigen Exemplare von
B. c. berolinensis im Nordende des Mirower Sees (und zwar direkt an der Einmündung des Kanals
in den Mirower See) und das Fehlen dieser Form im Südende ein sicherer Beweis dafür zu sein, daß die
gefundenen Exemplare durch die Kanalströmung in den Mirower See verschleppt waren. Zweitens ist
das Vorkommen von B. c. berolinensis in derart flachen (2—6,5 m), zum großen Teil in Versumpfung
und Verlandung begriffenen Seen, wie es die Kanalseen sind, äußerst auffallend. Ich kenne nur einen
einzigen Parallelfall dafür, daß B. c. berolinensis gelegentlich in ähnlich flachen Seen lebt; es sind
dies die zwei Dahmeseen: Langersee und Trüber Dolgensee (3,4 und 3,8 m tief). Doch dürfte das
Vorkommen von B. c. berolinensis in diesen Seen zum Teil auf Verschleppung (durch die Dahme),
zum Teil darauf zurückzuführen sein, daß die betreffenden flachen Seen von der Dahme durchströmt
werden, wodurch natürlich ganz andere physikalisch-chemische Bedingungen geschaffen werden,
als in flachen, stagnierenden Seen bestehen.1) Alle übrigen Seen, in denen bisher B. c. berolinensis
gefunden wurde, sind tiefer und meist auch größer als die erwähnten Dahme- und Müritz-Havelkanal-
Seen. Daraus möchte ich den Schluß ziehen, daß nicht nur die wenigen Exemplare aus dem Nordende
des Mirower Sees, sondern überhaupt die Berolinensis-Tiere der Kanalseen k e i n e a u t o c h -
t h o n e n Bewohner derselben sind, sondern erst nach Fertigstellung des Müritz-Havelkanals durch
die Kanalströmung v o n d e r M ü r i t z i n d i e K a n a l s e e n e i n g e s c h l e p p t sind.
Die Möglichkeit für eine solche Verschleppung ist dadurch gegeben, daß der Spiegel der Müritz bedeutend
(ca. 3,5 m) höher liegt als der der Kanalseen, und also die konstante Stromrichtung in den Kanalseen
von der Müritz ausgeht. Dabei bleibt es eine offene Frage, ob B. c. berolinensis noch gegenwärtig
fortwährenden Nachschubes von der Müritz her bedarf, um sich in den Kanalseen zu halten, oder
ob sie wenigstens in einem Teile derselben schon völlig eingebürgert ist. Ersteres dürfte mit Sicherheit
für den Mirower See zutreffen, wo B. c. berolinensis nur nahe der Einmündung des Kanals gefunden
wurde, letzteres eventuell für den (tieferen!) Leppinsee, in dem B. c. berolinensis am häufigsten vertreten
war. Eine interessante Aufgabe wäre es, festzustellen, ob sich B. c. berolinensis im Laufe der
Jahre noch weitere Seen des Müritz-Havelkanals erobert, und ob es sich in der geschilderten Verbreitung
von B. c. berolinensis überhaupt um einen stationären Zustand handelt oder ob- derselbe Schwankungen
unterworfen ist!
Was die Verbreitung der B. c. coregoni f. diaphana, die im Müritzsee sowohl wie in allen Kanalseen
bis herab zur Havel vorkommt, anbetrifft, so ist nicht zu entscheiden, ob dieselbe ebenfalls
durch den Kanal in die Kanalseen verschleppt oder hier autochthon ist, da sie überhaupt eine äußerst
anspruchslose, auch sehr flache Seen bewohnende Form ist und in sehr vielen mecklenburgischen
Seen vorkommt, so daß sie als dominierende Form in der mecklenburgischen Seenplatte anzusprechen
ist (vgl. S. 110 Anm.).
In einem der Lychener Seen, in denen B. c. coregoni f. diaphana auch verbreitet ist, nämlich
im Zenssee, scheint übrigens eine selbständige Lokalrasse der B. c. coregoni f. diaphana zu existieren.
Dieselbe ist dadurch ausgezeichnet, daß sie einen deutlicheren (an Matiles Zeichnung von B. lillje-
borgii erinnernden) Mucro besitzt als die übrigen Formen der mecklenburgischen Seen. Gerade
A) Das von L. Keilhack und mir konstatierte Vorkommen des Bythotrephes longimanus in 6 flachen Seen der mecklenburgischen
Seenplatte dürfte zum Teil darauf zurückzuführen sein, daß unsere neuen Fundorte von der oberen Havel resp. der
Woblitz durchflossene Seen sind. Vgl. L. Keilhack und F. E. Rühe: „Uber das Vorkommen des Bythoirephes longimanus Leydig
in Norddeutschland.“ Internat. Revue, Bd. II I, 1910, p. 187.
für diesen See aber ist das Bestehen einer Lokalrasse ohne Schwierigkeiten auf Grund der Strömungsverhältnisse
verständlich, da derselbe zwar zum Havelsystem hin entwässert, selbst aber keinen
Zufluß aus höher gelegenen Seen bekommt. Es liegt auf der Hand, daß dieser einseitige Zusammenhang
mit den Havelseen biologisch für die Planktonten mit Isolation gleichbedeutend ist, und daß
damit die Möglichkeit zur Bildung einer Lokalrasse gegeben ist. Diese Vorbedingung für die Herausbildung
von Lokalrassen: Isolation, besteht bei den meisten übrigen Havelseen nicht, da dieselben
vom Havelstrom bzw. dessen Nebenbächen durchflossen werden, und ihre Fauna naturgemäß von der
der höher liegenden Seen in großem Maße beeinflußt ist.
Auch an dem sehr komplizierten zusammenhängenden Seengebiet der Vereinigung von
Spree, Dahme und Havel in der Umgebung von Berlin (vgl. die Kartenskizze auf p. 124) läßt
sich der Einfluß der Strömungsverhältnisse auf die Verbreitung der Bosminen feststellen. Besonders
erschwert wird das Studium der Verbreitung von B. coregoni in diesem Gebiete dadurch, daß sich
hier folgende fünf Subspezies von B. coregoni nebeneinander finden: B. c. coregoni (f. rotunda), B. c.
berolinensis. B. c. longicornis, B. c. thersites, B. c. kessleri. Von der Einmündung der Spree in die
Havel bei Spandau kommen havelabwärts alle erwähnten Formen mit Ausnahme von B. c. kessleri
nebeneinander vor, und zwar von Spandau bis zum Plaueschen See „in allen mit der Havel in offener
Verbindung stehenden Uferseen“. In allen Seen des Gebietes findet sich B. c. coregoni f. rotunda.
Im wesentlichen auf die Havel vom Havelsee abwärts beschränkt ist B. c. longicornis, doch ist sie von
Hartwig auch im Kriensee bei Rüdersdorf,' der zur Spree hin entwässert, gefunden worden. B. c.
kessleri fand ich nur im Scharmützel- und Storkower See; sie wird nicht in die zur Dahme hin entwässernden
übrigen Storkower Seen und in die Dahme selbst verschleppt. B. c. thersites stammt aus
dem Wolziger See, der über den Langen See bei Dolgenbrodt zur Dahme hin entwässert, und findet
sich vom Trüben Dolgensee bei Dolgenbrodt abwärts in allen Dahmeseen, in der Spree unterhalb
der Dahmemündung und der Havel unterhalb der Spreemündung bei Spandau. In dem oberhalb der
Einmündung der Dahme in die Spree gelegenen Müggel- und Dämeritzsee findet sich B. c. thersites
allerdings auch, doch erklärt sich dies Vorkommen unschwer insofern, als von dem zum Dahmesystem
gehörigen Seddinsee und Krossin-Wernsdorf er See Verbindungsgräben zur Spree und zwar
zum Dämeritzsee führen. B. c. berolinensis verfolgte ich spreeaufwärts bis zum Dämeritzsee und traf
sie außerdem in dem zur Spree entwässernden Kalksee1) an. Dahmeaufwärts fand ich sie bis zum
Trüben Dolgensee bei Dolgenbrodt (oberhalb dessen die Dahme nicht mehr lakustren Charakter besitzt)
und außerdem in den zur Dahme hin entwässernden Storkower Seen, die (stromaufwärts gerechnet)
folgende Namen tragen: Langer See bei Dolgenbrodt, Wolziger See, Storkower See und Scharmützelsee.
Auch in dem oberhalb der Einmündung der Spree in die Havel gelegenen, mit der Havel in offener Verbindung
stehenden Tegeler See traf ich B. c. berolinensis an, doch liegen hier besondere Verhältnisse
vor, die ich als Beweis für noch h e u t i g e n t a g s v o r s i c h g e h e n d e V e r ä n d e r u n g e n
u n d V e r s c h i e b u n g e n in d e r P l a n k t o n f a u n a u n s e r e r S e e n im folgenden eingehender
behandeln will.
Als ich am 22. September 1909 im Havelsee bei Heiligensee (also in der Havel oberhalb des
Tegeler Sees) nur B. c. longicornis und B. c. coregoni, dagegen nicht B. c. berolinensis fand, war ich
sehr überrascht; denn nach meinen im Jahre 1908 und 1909 im Tegeler See gemachten Fängen, bei
l ) Ziemlich häufig fing ich B. c. berolinensis hier am 17. X. 09, in nur 3 E xemplaren dagegen in einem reichhaltigen P lanktonfange
vom V III. 1910. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß B. c. berolinensis in den Kalk-See vom Dämeritz-See und durch
dessen Vermittlung von der Dahme her eingeführt ist, zumal da B. c. berolinensis in d en höher gelegenen Seen der Rüdersdorf er
Seenkette fehlt.
Zoologien. H e f t 63.