dem die Franzosen Ahnen Gleichberechtigung verschafft haben, ist
der Bazar von Algier sehr schnell in ihre Hände übergegangen,
alle Villen der Umgegend gehören ihnen, und was von Mauren
noch übrig, ist zum Kleinhandwerker, zum Hausirer oder noch
tiefer herab gesunken. Es herrscht darum auch bei den Mauren
nicht nur, sondern bei den Eingeborenen überhaupt eine furchtbare
Erbitterung gegen die Juden. Die Händler hatten, wie sie selbst
-sagten, keine andere Ursache zu Klagen gegen die Regierung, als
dass sie die Jhudis beschütze. Nicht dass sie von diesen ausgebeutet
würden, sondern nur dass sie dieselben als gleichberechtigt anerkennen
sollen, ist es, was die Mohammedaner sov furchtbar aufbringt.
Sonst hatten sie immer noch Jemand, auf den sie herabblicken,
an dem sie ungestraft ihr Müthchen kühlen konnten,
und nun ist dem ein Ende gemacht und der seitherige Paria
kann sich sogar ihnen gegenüber als französischer Bürger aufspielen
; das ist, was ihnen unerträglich dünkt. Aber auch eine
französische Partei entblödet sich nicht diesen Hass zu nähren.
Die trüben Wellen der antisemitischen Bewegung _ schlagen bis
herüber ; dieselben brodneidischen Geschäftsleute, die in Deutschenfresserei
machen und von Zeit zu Zeit in den Blättern als Helden-
that pomphaft verkünden lassen, dass sie einem Commis voyageur
prussien die Thüre gewiesen, hetzen auch gegen ihre jüdischen
Konkurrenten, und der saubere „Radical algérien“ sucht sich durch
antisemitische Brandartikel die geringe Abonnentenzahl zu vermehren.
Die Erbitterung der Franzosen rührt daher, dass die
Juden, welche Dank der Bemühungen von Crémieux ja alle französische
Bürger sind, in den meisten Städten zahlreicher sind, ;
als die sonstigen Stimmberechtigten und darum die Gemeindeverwaltungen
häufig völlig unter dem Einfluss des Rabbiners
stehen. Die Hetzereien haben rasch blutige Früchte getragen.
Als die Turkos in Constantine im April 1884 nach Tonkin beordert
wurden, benutzten sie den ihnen gestatteten dienstfreien
Tag zu einem regelrechten Angriff auf das Judenquartier und es
kam zu einem erbitterten Strassenkampf zwischen ihnen und
den gegen sie aufgebotenen Znaven. Auch in Algier kam es
im Juni oder Juli zu einer blutigen Judenhetze, über die man
aber ausserhalb nur unbestimmte Gerüchte gehört hat; dem energischen
Auftreten der Behörden gelang es, die Wiederholung
ähnlicher Auftritte in anderen Städten zu verhindern.
Um die Mauren ist es eigentlich schade, dass sie so zurückgehen,
aber ihr Schicksal ist überall da, wo ihre Vorrechte aufgehoben
werden, besiegelt. Es ist ein biederer, ehrlicher
Menschenschlag, freundlich und entgegenkommend bei allem Eifer
für den Islam, und mit Sinn für Kunst und Wissenschaft, soweit
das mit dem Koran vereinbar ist. Lernt man sie näher kennen,
so glaubt man gerne, was die alten Chronisten von der Pracht
und Herrlichkeit der maurischen Fürstenhöfe und Residenzstädte
berichten. W er ab er sin d die Mauren?*) Die wenigen Schriftsteller,
die überhaupt die verschiedenen Bevölkerungsklassen Nord-
afrikäs unterscheiden, haben in ihnen bald civilisirtere Beiber,
bald ansässig gewordene Araber, bald Mischlinge von beiden gesehen,
und der letzteren Ansicht habö auch ich mich früher zugeneigt.
Nun habe ich den ächten Araber, den Mauren und den
unvermischten Kabylen genauer kennen gelernt, und je mehr ich
mich mit der Frage beschäftige, um so lebhafter drängt sich mir
die Ueberzeugung auf, dass keine der- oben angeführten Ansichten
aber die ethnologische Stellung der Mauren richtig ist. Ebensowenig
die Annahme, dass sie die Nachkommen der in Spanien
hispanisirten und dann von dort vertriebenen Muhamedaner sind.
Solche gibt es freilich auch an verschiedenen Punkten in Nordafrika,
doch weit weniger, als man gewöhnlich annimmt, da die
Auswanderer vielfach einen sehr schlechten Empfang fanden und
nur ,in einzelnen Städten wirklich Wurzel fassen konnten. Dort
sind sie aber als La n d a lu s s heute noch scharf von den übrigen
Mauren zu unterscheiden und halten sich für vornehmer als diese.
Aber auch, wenn wir für alle nordafrikanischen Mauren spanischen
Ursprung annehmen wollten, würde damit die Frage nach ihrer
ethnologischen Stellung durchaus nicht beantwortet sein. Wer
aber die Mauren eigentlich sind, das geht aus einem kurzen
Rückblick über die Völkerbewegung in Nordafrika ziemlich deutlich
hervor.
. Unsere Kenntniss der Geschichte von Nordafrika reicht weiter
zurück, als man gewöhnlich annimmt. Bis vor zwei Decennien
waren wir allerdings für die älteste Epoche auf die spärlichen
*) Die Mauren belegen sich nicht mit diesem Namen, sondern nennen
sich Hadar, Hausbewohner, inv Gegensatz zum Hai bit eschschäar, dem
Zeltbewohner, dem Beduinen, den sie auch Rahhala, den Umherschweifenden,
nennen.