wohl bis zur Erde beugen, aber nicht entwurzeln, und nur an
ihrem gedrungenere^ Wuchs und den etwas einseitig nach Süden
und Südwesten hin entwickelten Zweigen erkennt man die Wirkungen
eines schweren Kampfes ums Dasein. Auch die Bahn ist
nach Nordosten hin von einer dichten Cypressenh'ecke eingefasst,
die ununterbrochen bis nach Marimas reicht. Allerdings kommt
man auch hier durch eine der ödesten Abtheilungen der Crau.
Nur hier und da hat man versucht, den genügsamen Mandelbaum
anzupflanzen; ausserdem stehen im Schutz der Cypressenhecke
einzelne Strandkiefern, aber sie sind kümmerlich und ausnahmslos
nach Süden geneigt. Nur in den Löchern, aus denen man
den Kies für den Bahndamm genommen, gedeiht die Feige, von
den Bahnwärtern angepflanzt, freudig, aber sie erhebt ihre Blattspitzen
niemals über den Rand und drückt sich ängstlich an die
Wand der Grube, Hier und da nur passirt man ein Landhaus
und Felder, auf denen man neben Getreide früher besonders
Krapp baute, ehe die Alizarinfabrikation diesen Erwerbszweig
vernichtete. Sonst dient das ganze Land, das man durchfährt,
ausschliesslich der Schafzucht. Lange niedere Steinhäuser bieten
den Mutterschafen und ihren Lämmern Schutz, während die Häm-
mel sich, so gut es geht, hinter niederen Trockenmauern aus zusammengelesenen
Steinen schützen müssen. Die Bahn ist auf ihrer
ganzen Länge mit Draht. eingezäumt, die Uebergänge sind durch
Thore gesperrt, aber nur in den seltensten Fällen führen sie über
die Geleise hinüber. ¡Wo es einigermassen anging, hat man vorgezogen,
die Verbindung unter der Bahn hindurch herzustellen,
gerade eben hoch genug, dass die Schaffe durchpassiren können;
der Schäfer muss auf allen Vieren durchkriechen. Ist auch die7
Zahl der Schafe gegen früher erheblich zurückgegangen, so werden
doch im Winter noch gegen 180,000 Stück in der Crau gehalten;
sie bleiben bis zum Juli, dann ziehen sie auf alten, gesetzlich bestimmten
Pfaden, über deren Einhaltung der von den Schäfern
erwählte Ba i l l i e zu wachen hat, nach den Alpen, um erst Ende
Oktober zurückzukehren. Es ist das genau dieselbe Weidewirth-
schaft, -wie wir sie überall in schwachbevölkerten Ländern finden,
wo steppenartige Ebenen an Gebirge stossen. So wandert der
Schäfer aus Estremadura und der Mancha im Sommer in die
Sierra Morena, der Pugliese in die Abruzzen, der Beduine - der
Wüste auf die Hochplateaux von Algerien ; die Wanderungen
sind in. den Naturverhältnissen bedingt 0 und e- s ist mir nochn lange
nicht zweifellos, ob die Versuche, sie zu Gunsten einer rationelleren
Kultur der Ebenen zu beschränken, wie sie eben auf dem Tavogliere di
Puglia durchgeführt werden, einen wirklichen Fortschritt bedeuten.
Sie vermehren allerdings den* Ertrag des Ackerbaues und die
Summe des anbaufähigen Bodens, aber sie entziehen auch den
ohnehin schon armen Gebirgsbewohnern die Grundlage ihrer Existenz,
weil deren Land nicht Winterfutter genug hervorbringt,
und zwingen sie schliesslich, der Heimath den Rücken zu kehren
und anderswo ihren Lebensunterhalt zu suchen.
Bis' nach Miramas *) bleibt sich der Charakter der Gegend
gleich, dann treten Bäume und Gärten auf und die Bahn durchschneidet
mehrere Ketten felsiger Hügel. Die Nacht bricht schon
herein, aber es ist hell genug, um zu erkennen, dass es ächte
Ga r r i g u e s sind, wie.man sie überall in der Provence findet,
kahle Kalkmassen, von der Verwitterung zerfressen, nur in
den Spalten mit Thymian und anderen starkduftenden Lippen-
blüthlern bewachsen. Diese Kräuter sind es, deren Wohlgeruch
sich dem Fleisch der provenyalischen Schafe mittheilt und es
überall in Frankreich so besonders beliebt macht. Eine ausgedehnte
Wasserfläche leuchtet aus der Tiefe herauf; wir begrüssen
sie anfangs freudig als Meer, aber es ist nur der Et a n g de
B e r r e, das prächtige Binnenmeer, das einen der schönsten Häfen
der Welt abgeben würde, wenn eben nicht das nahe Marseille
allen Handel an sich zöge. Eine geringe Vertiefung des Kanals,
welcher es bei Martigues mit dem Gol fe de Foz verbindet,
würde es sogar für Kriegsschiffe zugänglich machen; die meisten
Kauffahrtheischiffe können heute schon einlaufen, aber Marseille
wacht eifersüchtig über sein Monopol, Martigues wie Berre bleiben
auf den Fischfang und die Salzgewinnung angewiesene kleine
Städtchen und auf der weiten Wasserfläche tummeln sich nur die
Fischerboote und die Vergnügungsfahrzeuge der reichen Marseil-
leser, die an den steilen Ufern mit Vorliebe ihre Landhäuser
anlegen. Die Fischer von Martigues sind es vorzugsweise, welche
den Fischmarkt von Marseille verproviantiren, sie beschränken sich
aber nicht auf den Etang, sondern gehen weit ins offene Meer hinaus
; neben denen vonla Ciotat zwischen Marseille und Toulon haben
*) Ich finde dieses Städtchen bald Miram.as, bald Marimas geschrieben.