Treiben und das unheimliche Dröhnen der Minen verscheucht
h a t ; wir sahen nur noch, einen einzigen gefangenen, den ein
Arbeiter am Seil führte. Die Schlucht wird nach oben hin
immer malerischer und wilder; um die Schiffaschlucht zu übertreffen,
fehlt ihr aber eins: kein Wasserfall stürzt von den
Kalkfelsen herab. .Erst dicht am Ausgange, wo man den letzten
Vorsprung in einem Tunnel durchbrechen musste, rauschen von
der rechten Seite her ein paar Silberfäden herunter und fallen
über- den überhängenden, eine Höhle bildenden Felsrand direkt
in den Isser. Am Ausgang überschreitet man auf einer ein-
bogigen Eisenbrücke den Fluss und hier findet man auch eine
Quelle dicht an der Strasse. Dann erweitert sich das Thal zu
einem grünen Becken, wo der Isser einen ausgedehnten See
gebildet haben muss, ehe er die Schranke durchgenagt hatte.
Noch eine halbe Stunde zieht sich die Strasse am Hanon hin,'
dann erscheint auf einer Höhe, die weit in’s Thal hinein vorspringt
und den Fluss zu einem grossen Umweg zwingt, das
freundliche Dorf P a l e s t r o , zu dem uns ein tiefer Ravin, den
man eben mit einer prächtigen Eisenbrücke überspannt, hinaufleitet.
Das Dorf, das man schon beinahe ein Städtchen nennen
kann, ist eines der am besten gedeihenden in Algerien und nur
das Marmordenkmal I auf dem öffentlichen Platz, unserem Hotel
gerade gegenüber, erinnert an die furchtbare Katastrophe, die. es
1871 in einen Aschenhaufen verwandelte. Damals wohnten in
der noch ganz jungen Ansiedelung gegen 100 Europäer, fast
ausschliesslich Italiener, die sich mit ihren kabylischen Nachbarn
des besten Einvernehmens erfreuten. Als in 1871 auf die Kunde
von den französischen Niederlagen die Kabylen sich zu regen
begannen, und die Kolonisten selbst aus der Metidscha hinter den
Wällen Algiers Zuflucht suchten, glaubten diese Italiener ruhig
aushalten zu können, hatten sie ja doch ihren Nachbarn nie
etwas zu Leide gethan. Sie wussten freilich nicht, daSs das
Gebiet von Palestro altes kabylisches Erbe war, _ von der Regierung
nach einem Aufstande konfiscirt, und dass die früheren
Ei igenthümer nur auf eine Gelegenheit warteten,7 die EindringO lingOe
zu vertreiben.
Der Kabyle hält seinen Boden so zäh fest, wie wenig andere
Nationen; unter keiner Bedingung darf ein Stück Land der
Dorfgemeinschaft entfremdet werden, und’während er sonst die
Frau viel höher hält, als der Araber, hat er ihr trotz des Koran
das Erbrecht entzogen, damit nicht einmal durch Heirath ein •
Stück Land in die Hand eines »Ausmärkers« komme. (Eine verwandte
Sitte beobachtete Rohlfs in der von ächten Berbern
bewohnten Oase Sokna. Ein Araber, welcher die Erbtochter
einer reichen Berberfamilie heirathet, kann wohl deren Besitz an
Palmen und anderen Bäumen erben, aber niemals den Grund
und Boden, welcher an die Gemeinde zurückfallen würde, wenn,
was aber in Berberoasen fast undenkbar, gar keine Seitenverwandten
mehr da sein sollten.)
Kaum hatte el Mo k r a n i , der sich der Abstammung von
einem französischen Montmorency rühmte und die Lilien der
Bourbonen als Wappen führte, die Stämme der grossen Kabylie
zum Aufstand gerufen, als sie auch schon vor dem unglücklichen
Kolonistendorf erschienen. Trotz der ungeheuren Uebermacht
beschlossen die Italiener, auf Entsatz hoffend, sich nicht zu
ergeben, und drei Tage, vom 19.—22. April, vertheidigten sie
sich tapfer in der Mairie, dem Pfarrhaus und der Schule. Aber
der gehoffte ■ Entsatz blieb aus, obwohl ein Truppencorps von
Algier aus auf der Militärstrasse, die am Bou Zegsa vorüberführt
und die Defileen des Isserthales zu vermeiden gestattet, in dieser
Zeit- recht gut hätte, anlangen können. Der Aufstand war aber
so unerwartet gekommen, dass man in Algier vollkommen rathlos
war und die Insurgenten ohne Widerstand bis an die Thore von
Maison Carree Vordringen konnten. Endlich ging die Munition
aus ' und nun wurden" die unglücklichen Kolonisten von den
erbitterten Kabylen auf schauderhafte Weise geschlachtet, zum
Theil lebendig verbrannt; nur wenige .wurden durch die Führer
©g erettet,7 um als Geiseln zu dienen. Das Dorf aber wurde von
Grund aus. zerstört.
Das Denkmal stellt einen Kolonisten dar, die Flinte in der
Hand, die Energie der Verzweiflung im Gesicht; seine Frau ist
neben ihm niedergesunken, den Säugling an die Brust drückend;
ein kleiner Knabe umklammert ängstlich das Knie des Vaters.
Die Gruppe ist realistisch ausgeführt, aber so ergreifend, dass
dem Beschauer unwillkührlich die Thränen kommen. Es mahnt
daran, dass die Kolonisten hier auf einem Vulkan wohnen, der
jeden Augenblick wieder ausbrechen kann, so lange gerade dem
Ausgang des Dorfes gegenüber der Dschurdschura noch zum Himmel