Kurz nach meiner Abreise aus Tunis hat die französische
Regierung versucht, die verwickelte Eigenthumsfrage durch einen
Gewaltschritt zu lösen und hat die Acte Torrens eingeführt.
Dieses zunächst für die australischen Kolonien geschaffene Gesetz
erleichtert die Uebertragung von Grundeigenthum in der denkbar
möglichsten Weise. Der Grundbesitzer, welcher seinen Besitz
verkäuflich machen will, erklärt dies bei dem Bureau d ’ Enre-
g i s t r eme n t und legt seine Besitztitel vor; das Bureau prüft
dieselben und erlässt dann sowohl in den Zeitungen, als in der
betreffenden Gemeinde eine Aufforderung zur Anmeldung etwaiger
Besitzansprüche. Erfolgt kein Einspruch, so wird das Besitzrecht
in ein Grundbuch eingetragen und gilt für legal. Von da ab
genügt zur Uebertragung die einfache Erklärung der Parteien
vor dem Maire; auf ein von ihm legalisirtes Dokument mit den
nöthigen Unterschriften hin erfolgt sofort die Ueberschreibung;
das Dokument kann auch mit rechtsgültiger Wirkung verpfändet
und beliehen werden, ohne dass besondere Kosten entstehen, kurzum,
Kauf und Verkauf von Grundbesitz sind so leicht und bequem
bald die Verkaufssumme und ergriff Besitz. Der Generalkonsul R o u s t a n
wollte Gewalt brauchen, aber die tunisischen Beamten wichen vor den
Dokumenten Levys zurück. Es kam zur Klage; das zuständige hanefitische
Tribunal hätte Levys Ansprüche unbedingt anerkannt, aber auf Drängen
Roustans entzog der Bey ihm die Angelegenheit und wies sie an das male-
kitische, das die Schufa verwirft und somit den Franzosen Recht gab. Diese
setzten sich trotz Levys Protest mit Gewalt in Besitz, aber nun trat der
englische Konsul für ihn in die Schranken und der Streit begann von Neuem.
Endlich entschloss sich die Gesellschaft, Levys Ansprüche für eine bedeutende
Summe abzukaufen, aber als sie das Gütchen, auf welches er seine Rechte
gründete, in Besitz nehmen wollte, traten ein paar Araber auf und erklärten
die Besitztitel für gefälscht. Levy war mittlerweile gestorben; seine
Wittwe verfocht ihre Ansprüche gegen die Gesellschaft, die ihr natürlich .’]
die Abfindungssumme verweigerte und so kam es Zu einem neuen Process, -
der auch in der bekannten Affaire Roustan-Rochefort eine Rolle spielte.
E r ging erst im vorigen Jahre während unseres Aufenthaltes in Tunis zu
Ende, indem die Dokumente für falsch erkannt und die Wittwe mit allen
Ansprüchen abgewiesen wurde. Es hat fast zehn Jahre gedauert, bis die
Gesellschaft, trotzdem sie den allmächtigen Generalkonsul auf ihrer Seite
hat, in den ungestörten Besitz der Enfida kam und sie wird dessen nicht
froh; trotz der ungemeinen Fruchtbarkeit decken die Einnahmen kaum die
Betriebskosten. Man will es jetzt mit Kolonisiren versuchen und hat in der
Mitte der Dömaine eine Anzahl Malteser angesiedelt. Der Erfolg bleibt
abzuwarten.
gemacht, wie nur möglich. Wer den verwickelten und umständlichen
Geschäftsgang in Ländern kennt, welche unter dem Hypothekengesetz
des Code Napoleon stehen, wird begreifen, dass den
alten französischen Beamten bei dem Gedanken an eine solche
radikale Umwälzung die Haare zu Berge stehen; man hat darum
trotz aller Beschwerden und Petitionen hoch nicht gewagt, die Acte
Torrens in Algerien einzuführen. Tunis, wo die französischen
Interessen viel geringer sind, ist zur Versuchsstation ausersehen,
und ich muss gestehen, ich bin recht begierig auf den Erfolg
dieses kühnen Schrittes. Ob er aber das französische Element in
Tunis kräftigen wird, bezweifle ich.
Das englische Konsulat rangirt zwar Dank der Malteser,
was die Zahl seiner Untergebenen anbelangt, unmittelbar nach
dem italienischen, aber sein Einfluss ist bei Weitem nicht mehr
der wie zu den Zeiten Achmed Beys, wo nichts ohne die .Einwilligung
von Sir Thomas Re ade geschah. Die eigentliche
englische Kolonie ist in Tunis auffallend schwächer, als in anderen
Mittelmeerhäfen und tritt in keiner Weise besonders hervor.
Das deutsche Element ist in Tunis bei Weitem nicht so stark
vertreten, wie man bei den ausgedehnten Handelsbeziehungen erwarten
sollte. Es mag das zum guten Theil an'der ungeeigneten
Vertretung liegen, welche Deutschland lange Jahre hindurch gehabt
hat. .Herr T u l i n de la Tunisi e verstand zwar trefflich
für sich selber zu sorgen, kümmerte sich aber um die Deutschen
nicht mehr, als er unbedifigt musste. Auch Nach ti g al , das
lässt sich bei aller Achtung vor seinen Leistungen nicht in Abrede
stellen, hatte kein Verständniss für die Bedeutung Tunisiens
als Absatzgebiet für deutsche Produkte und die Bilanzziffern des
deutsch-tunisischen Geschäftes sind ihm immer dunkel geblieben;
seinem Vertreter aber, den ich in Tunis antraf, warf, man ganz
offen vor, dass er in erster Linie darauf bedacht sei, sich keine
Arbeit zu machen und deshalb jede Gelegenheit benutze, um
Angehörige anderer Nationen vor den Deutschen zu bevorzugen.
Das französische Protektorat sieht natürlich die Entwicklung des
deutschen Handels mit Tunis nichts weniger als gern, aber Italiener,
Maure und Jude kaufen jederzeit lieber deutsches Fabrikat als
französisches und somit ist Tunis für tüchtige deutsche Geschäftsleute
durchaus kein ungünstiger Boden, zumal durch die Florio-
dampfer und die Gotthardbahn der Import über Genua ohne Be-
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