Unter Kheireddin athmete Tunis, wieder etwas auf, aber es
war für seine Rettung zu spät ; die Commi s s i o n f i n a n c i è r e
hatte mittlerweile die Finanzen des bankerotten Staates unter
ihre Obhut genommen und liess sich ihr Opfer nicht wieder ent-
reissen. Tunis verdankt Kheireddin manche Verbesserung, auch
die Anlage des schönen Bazars vor dem Dar el Bey, *) aber Mohamed
es-Sadok könnte ihm nie verzeihen, dass er zum Sturz des
Khasnadar mitgeholfen und sobald Kheireddin sich den französischen
Anforderungen entgegenzustellen wagte, gelang es einem
neuen Günstling, Mustapha ben Ismail, sehr rasch, ihn zu
stürzen. Auch ihm war der Tod zugedacht, aber er hatte verstanden,
sich rechtzeitig in Stambul Freunde zu machen, ,und als
er abgesetzt wurde, forderte ihn alsbald der Sultan vor sein Gericht.
Mustapha, der eine Zeit lang von der Pforte Schutz gegen
die immer deutlicher hervortretenden Annexionspläne Frankreichs
und Italiens hoffte, wagte keinen Widerspruch, Kheireddin wurde
ausgeliefert und in Konstantinopel dazu verurtheilt, als Grossvezier
das türkische Reich zu regieren, allerdings eine harte Strafe,
die aber nicht allzulang dauerte.
Für Tunis begann aber nun die allerschlimmste Zeit. Must
a p h a ben Ismaül , — verflucht sei sein Name," sagt der Tuniser
, wenn er ihn erwähnt, — und der französische Konsul
Ro u s t a n , oder richtiger die von ihm geschützte Gaunerbande,
welche ihn durch seine Freundin, die Dame E l i a s M a s u l l i ,
völlig beherrschte, sogen das Land um die Wette aus, soweit
das noch möglich war. In der Hauptsache war allerdings ein
Riegel vorgeschoben ; nach der Erklärung des Bankerottes hatte
der Bey die Finanzverwaltung an eine europäische Kommission
abtreten müssen, welche die Interessen seiner europäischen Gläubiger
vertrat, und somit war der grössere Theil der Einkünfte
dem Einfluss der würdigen Herren entzogen. Die Schulden betrugen
nominell 275 Mill. Franken; Herr Villet, welcher die
Liquidation leitete, hatte sie freilich auf 125 Mill. reducirt, aber
auch davon konnte das Land die Zinsen kaum aufbringen.' Ueber
die Hälfte der Einkünfte waren der Kommission direkt über-
*) Dieser Bazar, Souk e l - I s l am genannt, weil die Juden von ihm ausgeschlossen
bleiben sollten, hat seinen eigentlichen Zweck niemals ganz erfüllt;
nach dem Sturz Kheireddins wurden die Bureaus der verschiedenen
Ministerien in die Räume verlegt.
wiesen, so dass nach Abzug der Civilliste mit 1,200 000 Frs. für
die Bedürfnisse des Landes selbst in guten Jahren kaum 2 1/a
Millionen blieben,*) was natürlich selbst für die dringendsten Bedürfnisse
nicht ausreichte. Man kann sich nun denken, welche
Erpressungen und Betrügereien Mustapha anwenden musste, um
seine Geldgier zu befriedigen, und wie entsetzlich das Land unter
seinem-Regiment zu leiden hatte. Nur eine Sorge gab es für ihn, er
musste sich mit der Madame Masulli auf gutem Fusse halten, der
Frau eines Kopten, der es in Tunis zum General und ersten Dolmetscher
gebracht hatte und dann freilich wegen frecher Betrügereien
und Unterschlagungen kassirt und seines Vermögens beraubt worden
war. Es ist ein ewiger Schandfleck für' die französische Republik,
dass ihr Vertreter die Wiedereinsetzung dieses Menschen erzwang
und ihn auch trotz der Verachtung, welche selbst der schwache
Mohamedihm bei jeder Gelegenheit bezeigte, in seinem einflussreichen
Amte erhielt. Schamloser ist vielleicht niemals die Ausbeutung eines
Landes und der Schacher mit Aemtern und Konzessionen betrieben
worden, als damals in Tunis, der Process Roustan-Rochefort hat nur
einen kleinen Theil des Skandals ans Licht gezogen, und es kann
Herrn Roustan nicht entschuldigen, dass er persönlich keinen Vortheil
davon gehabt haben soll und arm aus Tunis gegangen ist.
Die französischen Protektoren haben in den seit der Besetzung
verflossenen vier Jahren noch nicht viel ausrichten können,- um
so weniger, als ihnen durch die Verträge zwischen Tunis und
den europäischen Staaten die Hände gebunden waren und sie anfangs
auch noch mit der Erhebung sämmtlicher Stämme südlich
von Zaghouan zu kämpfen hatten. Die Enthüllung der Roustan’-
schen Intriguen, die Finanzspekulationen, die seine Freunde in
sicherer Voraussicht des Einmarsches der französischen Armee
unternommen, und verschiedene ähnliche Geschichten hatten in
Frankreich eine tiefe Missstimmung gegen die tunisische Politik
der Regierung hervorgerufen und auch das lähmte das Vorgehen
gegen die eingewurzelten- Missbräuche. Erst im Winter 1883/84
gelang es, die unbedingt nöthigste Maassregel im französischen
Parlament durchzusetzen. Frankreich übernahm die Garantie
für die tunisische Schuld, und damit wurde die Commission
*) Die Gesammteinnahmen waren für 1883/84 auf 10 218,501 Fcs. veranschlagt,
für 1881/82 nach Charmes auf 10 760 000 Fcs. Die Schuld beanspruchte
davon 6 307 520 Fcs.